Drohbrief statt Asylpaket
In der Großen Koalition liegen die Nerven blank
Täglich überbieten sich Koalitionspolitiker mit Forderungen nach einem härteren Vorgehen gegen ausländische Straftäter. Was in diesem populistischen Überbietungswettkampf untergeht: Das Asylpaket 2, das zahlreiche Rechtsverschärfungen für Flüchtlinge vorsieht, ist immer noch nicht verabschiedet. Bereits Mitte November hatte das Bundesinnenministerium den Entwurf fertig. Er soll Asylverfahren beschleunigen und Abschiebungen erleichtern. Doch der Streit um den Familiennachzug verhinderte bislang eine Umsetzung. Die Union will den Nachzug auch für Syrer einschränken, die SPD ist dagegen. Nach Informationen von »RP Online« soll der Knoten am Donnerstag »bei einem Treffen der drei Parteichefs durchschlagen werden«. Die drei Vorsitzenden Angela Merkel, Horst Seehofer und Sigmar Gabriel werden am Donnerstag vor dem Bund-Länder-Spitzentreffen zur Flüchtlingspolitik im Kanzleramt zusammenkommen.
Allerdings sind die Vorzeichen alles andere als günstig: Die Koalition ist heillos zerstritten und die Konfliktlinien verlaufen dabei quer durch die politischen Lager.
Aktuellstes Beispiel ist der am Dienstag veröffentlichte Drohbrief aus Bayern. In dem seit längerem angekündigten Schreiben, den das CSU-Kabinett am Dienstag beschlossen hatte, fordert der Freistaat eine wirksame Sicherung der deutschen Grenze und eine Obergrenze für Flüchtlinge von 200 000 im Jahr. Sollte die Bundesregierung nicht handeln, will Ministerpräsident Horst Seehofer (CSU) vor das Bundesverfassungsgericht ziehen. Als Grundlage für den bayerischen Vorstoß dient ein Rechtsgutachten des langjährigen Richters am Bundesverfassungsgericht, Udo di Fabio. Darin kommt der Jurist zu dem Schluss, dass der Bund aus verfassungsrechtlichen Gründen verpflichtet sei, »wirksame Kontrollen der Bundesgrenzen wieder aufzunehmen«, wenn das EU-Grenzregime nicht mehr funktioniert.
Heftige Kritik am Drohbrief kam am Dienstag von der SPD. »Ich sage ganz klar: Was Herr Seehofer da macht, läuft auf Koalitionsbruch hinaus«, so SPD-Fraktionschef Thomas Oppermann. Es sei ein einmaliger und unerträglicher Vorgang, dass der CSU-Chef gegen die Flüchtlingspolitik der eigenen Koalition vor Gericht ziehen wolle. »Das ist eine Klage von Horst Seehofer gegen Angela Merkel«, meinte Oppermann. »Vor solchen Parteifreunden muss Frau Merkel beschützt werden.« Die CSU sollte sich überlegen, ob sie nicht besser in der Opposition aufgehoben wäre. Die Retourkutsche aus München folgte umgehend: »Ich kenne keine Prognose vom Herrn Oppermann, die jemals in Erfüllung gegangen ist«, ätzte Seehofer.
Ein weiterer Streitpunkt ist der Flüchtlingsplan von CDU-Vizechefin Julia Klöckner. Diese zeigte sich am Dienstag trotz der zurückhaltenden Reaktion von Kanzlerin Merkel zuversichtlich, dass die Bundesregierung ihren »Plan A2« umsetzen wird. »In der Koalition geht die CDU voran, die SPD läuft hinterher«, teilte die rheinland-pfälzische Spitzenkandidatin mit. In ihrem Plan schlägt sie Tageskontingente und grenznahe Erstaufnahmezentren vor. Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) hält dies für nicht umsetzbar: »Die von ihr vorgeschlagenen Zentren haben wir schon vor Monaten diskutiert und verworfen«, so Steinmeier am Dienstag. Nicht ganz zu unrecht werfen ihr die Sozialdemokraten vor, das Thema für den eigenen Wahlkampf in Rheinland-Pfalz zu missbrauchen. Die Kanzlerin wollte Klöckner nicht vollständig abblitzen lassen und ließ ihren Sprecher Steffen Seibert erklären, dass sie den Vorstoß »vorerst« nicht zu einem Teil der Regierungsarbeit machen werde.
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