Die großen Dinge werden wichtiger
Angelique Kerber legt ihren Fokus auf Grand-Slam-Turniere - in Australien erreichte sie so erstmals das Halbfinale
Das Wochenende vor Beginn der Australian Open ist immer für die Presserunden mit den Stars der Tennisbranche reserviert. Die Top Ten bei Frauen und Männern berichten, wie sie die Vorbereitung verbracht haben und was sie vom ersten Grand-Slam-Turnier der Saison erwarten. Als Nummer sechs der Welt hätte auch Angelique Kerber ein solcher Termin zugestanden, doch die Nachfrage an der deutschen Nummer eins war offenbar nicht groß genug.
Kerber wird darüber nicht sonderlich böse gewesen sein, die kleine Anekdote sagt aber einiges über ihren Stellenwert auf der Tour aus. Die Kielerin wird für ihren Kampfeswillen und ihre Konstanz auf dem Platz geschätzt, großes Interesse löst sie aber nicht aus. Was vor allem daran liegt, dass sie bei den vier Grand-Slam-Turnieren zuletzt nicht in Erscheinung trat.
2015 schied sie in Melbourne bereits in der ersten Runde aus, in Paris, Wimbledon und New York kam sie nicht über die dritte Runde hinaus. Viel zu wenig, um von der breiten Öffentlichkeit wahrgenommen zu werden. Da halfen auch die vier Turniertitel im Verlauf des Jahres nicht.
Im Urlaub auf den Malediven und danach während der Vorbereitung in der Akademie ihrer Großeltern im polnischen Puszczykowo kam Kerber zur Erkenntnis, dass sich dies von nun an ändern müsse. 2016 wolle sie es bei den Grand Slams »krachen lassen«, sagte Kerber Ende des vergangenen Jahres der »Süddeutschen Zeitung«. Fortan wolle sie sich mehr auf die großen Turniere konzentrieren, da, wo es darauf ankommt, ihr bestes Tennis zu zeigen. Ihr Vorbild Roger Federer macht das schon seit Jahren so. Auch Steffi Graf, mit der sie im vergangenen Jahr in den USA trainierte und mit der sie sich hin und wieder austauscht, war eine Meisterin darin, den Fokus auf die wichtigen Dinge im Laufe einer langen Saison zu legen.
Erstes Anzeichen, dass Kerber es mit ihren Plänen ernst meint, war ihre Aufgabe beim WTA-Turnier in Sydney vor der zweiten Runde. Kerber war nach ihrem Finaleinzug in Brisbane in der Woche zuvor müde und plagte sich mit Magenproblemen herum. Mit Blick auf die Australian Open wolle sie nichts riskieren, teilte sie mit. Lektion gelernt.
Als sie in Melbourne in der ersten Runde gegen die Japanerin Misaki Doi einen Matchball gegen sich hatte, schienen alle guten Vorsätze fast schon wieder verflogen. Doch Kerber überstand den kritischen Moment und stürmte danach erstmals in Melbourne ins Halbfinale, wo sie Donnerstagmorgen deutscher Zeit auf die Engländerin Johanna Konta trifft.
Kerber präsentiert sich derzeit noch fitter als sonst. Sie hat ein paar Kilo abgenommen, ihre Ernährung umgestellt, reist jetzt mit Trainer Torben Beltz und einem festen Physiotherapeuten um die Welt. 2016 soll ihr Jahr werden - der Anfang in Melbourne ist schon einmal vielversprechend.
Die Art und Weise, wie sie ihre Angstgegnerin Victoria Asarenka am Mittwoch im Viertelfinale zum ersten Mal im siebten Duell besiegte, war beeindruckend. Druckvoll, mutig, variabel und vor allem nervenstärker als oft in der Vergangenheit präsentierte sich Kerber in der Rod Laver Arena. Sie schaffe »es auch bei einem großen Rückstand, die Nerven zu behalten und weiter an sich zu glauben«, erklärte Boris Becker.
So kann es weitergehen, auch beim Fed-Cup-Duell mit der Schweiz Ende der kommenden Woche. »Der Fed Cup hat für mich eine hohe Priorität«, sagte Kerber. Was bedeutet, dass sie auch da ihr bestes Tennis zeigen will. dpa/nd
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