Weder Herr noch Knecht!
Hegels berühmte Herr-Knecht-Dialektik wurde in verschiedenen politischen und historischen Kontexten als philosophische Grundlegung von Befreiung herangezogen. Die in Herr und Knecht auseinandergelegt Dialektik wurde aber auch zur Geschichte der Emanzipation und Befreiung und zu eigenen Erfahrung in Beziehung gesetzt – oder zum Scheitern von Emanzipation und Befreiung. Entstanden ist dadurch ein Korpus an Interpretationen, die, wie etwa die von Marx, Adorno und Horkheimer, Kojève, Fanon und Beauvoir, bis heute wirksam sind. Und noch immer ist Hegels Herr-Knecht-Dialektik Bezugspunkt für das Nachdenken über Befreiung. Wir wollen und in dem Workshop an zwei Tagen dem Text selbst sowie aktuellen Interpretation und Aneignungen widmen; Adaptionen, die Hegels klassischen Text zu Wirklichkeit in Beziehung setzen.
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Programm
Samstag, 14.12.2024, 11 bis ca. 18Uhr: Close Reading Herrschaft und Knechtschaft
Am Samstag wollen wir uns von 11 bis ca. 18 Uhr in einer intensiven Lektüre Hegels Herr-Knecht-Dialektik widmen. Unter Anleitung von David Jacobs werden wir das berühmte Kapitel aus Hegels Phänomenologie des Geistes Absatz für Absatz gemeinsam lesen und diskutieren.
Das Angebot richtet sich an alle, die noch nicht mit Hegel vertraut sind oder ihre Kenntnisse noch einmal auffrischen möchten.
Gegen 12:30 wird es eine Mittagspause und gegen 15:30 Uhr eine Kaffee-Pause geben.
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Sonntag 15.12.2024
Am Sonntag wird es dann 5 Vorträge geben, die mit Marx und Derrida, Butler und Malabou, BDSM und Feminismus Aktualisierungen von Hegels Kapitel und der Dialektik von Herrschaft und Knechtschaft vornehmen. An die Vorträge schließt jeweils eine Diskussion an.
Die beiden Tage können einzeln besucht werden. Im Seminarbeitrag von pro Tag 15 bzw. 10 Euro ermäßigt (Schüler_innen, Azubis, Studierende, Grundsicherung) sind jeweils ein Mittagessen plus Kaffee, Tee und Kekse enthalten.
10:00 – 11:10 Uhr:
Sprache und Befreiung
David Jacobs
Idealtypisch kann im Kontext zeitgenössischer kritischer Theorie zwischen Auffassungen unterschieden werden, welche Sprache und Diskurs als Vermittlungsformen von Herrschaft oder als Residuum der Befreiung begreifen. Einerseits ist es offensichtlich, dass der real-existierende Diskurs zur Verfestigung von diversen Herrschaftsformen beiträgt. Andererseits hängt gerade Befreiung von der Möglichkeit ab, gesellschaftliche Beziehungen einem sprachliche vermittelten kollektiven Aushandlungsprozess zu unterstellen. Wohnt beiden Positionen ein Moment von Wahrheit inne, so gilt es diese als Einheit zu fassen. Meine These ist, dass ein entsprechendes Model anhand von Hegels Herr-Knecht-Dialektik entwickelt werden kann.
Kurze Pause
11:15 – 12:30 Uhr:
Absolute Loslösung und absolutes Verhaftetsein: Malabou und Butler über Herr und Knecht
Lilja Walliser
Der Vortrag wird die Re-Lektüren der Herr-Knecht-Dialektik von Judith Butler und Catherine Malabou besprechen. Butler hat in Psyche der Macht (1997) eine innovative Lesart der Herr-Knecht-Dialektik vorgelegt, die das Thema der Substitution des Körpers und des endlichen in der Welt-seins des Herren durch die Delegation körperlicher Arbeit an den Knecht behandelt. Anschließend an diesen Gedanken der Ablösung vom eigenen lebendigen Körper durch Substitution entwickelt Butler die These, dass die Internalisierung des Herren durch den Knecht die Angst vor einem unendlichen Prozess der Enteignung und Überschreibung ist. Denn während der Knecht seine eigene Signatur in den bearbeiteten Dingen zu finden scheint, wird diese Signatur doch zugleich durch die Übergabe an den Herrn stetig überschrieben und enteignet. Dies gelingt wiederum nur, weil Herr und Knecht die stillschweigende Vereinbarung eint, die Substitution nicht offenzulegen. In ihrem dialogischen Austausch (You Be My Body For Me. Body, Shape and Plasticity in Hegel’s Phenomenology of Spirit (2011)) über die Möglichkeit und Unmöglichkeit solcher Distanzierung und Substitutionen des eigenen (und anderen) Körpers und seiner Arbeit befragen Butler und Malabou die Herr Knecht Dialektik mit Blick auf die Möglichkeit von absoluter Distanzierung und absolutem Verhaftetsein am eigenen Leben, am eigenen Körper und seiner plastischen (Selbst-)Transformation. Die Diskussion der beiden Autor*innen ist bestens geeignet, den Sinn verschiedener Formen von Negation (abstrakter, bestimmter, absoluter usw.) und vor allem von Selbstnegation in Hegels berühmtem Text zu diskutieren.
12:30 – 13:45 Uhr Mittagspause
13:45 – 15:00 Uhr: Zur Dialektik von Dominanz und Submission.
Dr. Tobias Wieland
Die Frage nach erotischer Freiheit ist keine, die sich Hegel im Verlauf der Gestalten des Bewusstseins in der Phänomenologie des Geistes bewusst stellen würde. Der Text enthält – darauf weisen psychoanalytisch geschulte Autor*innen wie Derrida, Butler und Benjamin hin – eindeutig zweideutige Passagen zum Verhältnis von Begierde und Befriedigung. Aber eine Ethik sexueller Freiheit ist kein Gegenstand von Hegels Reflexionen. Nun gibt es ein umfangreiches Korpus an Interpretationen, die die Dialektik von Herrschaft und Knechtschaft entlang der großen Achsen sozialer Herrschaft – Klasse (Marx), Rassifizierung (Fanon) und Gender (Beauvoir) – für Emanzipationsbestrebungen in Stellung bringen. Was passiert, wenn wir Fragen sexueller Dynamik und Machtspiele an den Text herantragen? Was lässt sich hier im Hinblick auf Konsens und Sex systematisch gewinnen? Lassen sich Figuren wie das power bottom und der service top, wie sie im zeitgenössischen BDSM und in konsensuellen Formen erotischen Spiels kultiviert werden, als Gestalten des Bewusstseins im Sinne einer Phänomenologie des erotischen Geistes lesen?
Kurze Pause15:10 – 16:25 Uhr:
"Die Knechtschaft und die Tyrannei sind also in der Geschichte der Völker eine notwendige Stufe": Zu Hegels Konzeption der Befreiung
Gregor Schäfer
Freiheit ist für Hegel in ihrer geschichtlichen Wirklichkeit wesentlich Befreiung. Jeder befreite Zustand artikuliert sich mithin als die bestimmte Negation eines Zustands relativer Unfreiheit. Der Vortrag untersucht einige Aspekte von Herrschaft und Knechtschaft bei Hegel im Zusammenhang mit dieser Konzeption einer Befreiungsgeschichte.
16:25 – 16:45 Uhr: Kaffee Pause
16:45 – 18:00 Uhr
Der „absolute Herr“. Die Verdrängung des Todes durch die Ökonomie seines Aufschubs oder: Hegel mit Derrida und Marx
Dr. Frank Engster
Gemeinhin werden Herr und Knecht in einer gediegenen klippklapp Dialektik als Figuren interpretiert, die in ungleicher Stellung und qua Arbeit und Aneignung ein Anerkennungsverhältnis eingehen. Die Pointe scheint zu sein, dass der Herr Selbständigkeit und Anerkennung erlangt nur durch die materielle Abhängigkeit von einem Knecht, der materiell wiederum ohne den Herrn existieren, mithin Selbständigkeit erlangen könnte. Indes ist nicht „der Herr Knecht des Knechts“, sondern beide dienen dem gleichen „absoluten Herrn“, dem Tod, der Gestalt absoluter Negativität. Sie dienen ihm, indem der „Kampf um Leben und Tod“ die Ökonomie der Anerkennung dieses absoluten Herrn qua Verdrängung in Kraft setzt und der Tod auf diese indirekte, ebenso nachträgliche wie aufschiebende Weise doch eintritt und doch anwesend wird. Herr und Knecht sind daher nicht, wie in Kojèves berühmter Interpretation, von Urszene bürgerlicher Intersubjektivität auf das kapitalistische Herrschafts- und Klassenverhältnis zu übertragen, sondern mit Marx und Derrida auf ein Kapitalverhältnis, das beide Klassen derselben Notwendigkeit aussetzt und dem sich beide unterziehen, wenn auch in unterschiedlicher Stellung und mit unterschiedlichen Funktionen.
Kosten: 15/10 (erm.) Euro pro Tag
Anmeldung erforderlich