Sturm aufs Luftschloss
Polizei statt Gespräche - das Flensburger linke Projekt wurde jetzt gewaltsam geräumt
Das seit rund zweieinhalb Jahren bestehende alternative Wohn- und Kulturprojekt Luftschlossfabrik (LSF) in Flensburg (Schleswig-Holstein) ist am Mittwoch durch die Polizei geräumt worden. Die bisherigen Platzbesetzer an der Harniskaispitze wollten bis zuletzt eine friedliche Einigung mit der Stadt erzielen, doch diese war mehr an einem ordnungspolitischen Muskelspiel interessiert.
Bei der mehrstündigen Aktion prallten Polizeikräfte und LSF-»Verteidiger«, die auch von außerhalb angereist waren, aufeinander - eine Situation, die die LSF-Aktivisten vermeiden wollten. Sie hatten der Stadt angeboten, einen befristeten Zwischennutzungsvertrag abzuschließen. Als am Dienstagnachmittag bei einer Hauptausschusssitzung im Rathaus noch über eine politische Lösung diskutiert wurde, war die vom Gerichtsvollzieher angesetzte Räumung jedoch längst ausgemachte Sache: Die zusammengezogenen Einsatzkräfte waren bereits im Stadtbild sichtbar.
Die Grünen hatten im Hauptausschuss einen Antrag vorgelegt, die bevorstehende Räumung auszusetzen. Flensburgs Oberbürgermeister Simon Faber vom Südschleswigschen Wählerverband (SSW) machte in dem Gremium aber unmissverständlich deutlich, dass er einen Aufschiebungsbeschluss als nicht rechtskonform ansehe. Nach einer Sitzungsunterbrechung zogen die Grünen dann ihren Antrag zurück, weil sie bei einer sich abzeichnenden mehrheitlichen Ablehnung am Ende durch die Abstimmung nicht noch die Räumung legitimieren wollten.
Einige der betroffenen LSF-Aktivisten aus Flensburg hatten sich mit festem Wohnsitz bei der Stadt angemeldet und zahlten einwandfrei ihre Gebühren für Strom und Wasser. Ihnen wurde kein Räumungstitel vorgelegt, sondern offenbar nur gegenüber der Pächterin des Grundstücks. Aus Sicht von Hendrik Schulze, Anwalt für das LSF-Projekt, ist dies ein klares Versäumnis, das nicht zum Nachteil der nun geräumten Bewohner ausgelegt werden dürfe. Er kündigte eine zivilrechtliche Prüfung des städtischen Vorgehens an.
Die Räumung wurde zu einem der größten Polizeieinsätze in Flensburgs Geschichte. Bereitschaftspolizei aus Eutin war mit Räumpanzern und Wasserwerfern angerückt, das Gelände wurde hermetisch abgeriegelt. Am hartnäckigsten widersetzten sich lange zwei LSF-»Verteidiger«, die sich vor Ort angekettet hatten.
Die Bewohner selbst hatten bereits Anfang der Woche ihre Bauwagen vom Gelände entfernt, weil sie ein Zeichen der Gesprächsbereitschaft setzen wollten, aber auch Zerstörungen bei der Räumung fürchteten. Tatsächlich fuhren im Laufe des Tages auch Fahrzeuge eines Abrissunternehmens auf das Areal. Die Aufgabe: Die dort befindlichen Räumlichkeiten dem Erdboden gleich zu machen und damit vollendete Tatsachen zu schaffen. Der schleswig-holsteinische Landesverband der LINKEN kritisierte das Vorgehen von Stadt und Polizei als völlig unverhältnismäßig. Landessprecherin Marianne Kolter: »Ohne Not haben die Verantwortlichen den Weg der Gewalt gewählt, statt in den Dialog zu treten.«
Sarah Leichnitz, Sprecherin der LSF-Kulturinitiative, ist enttäuscht davon, dass die Stadt keine Bereitschaft für ein Entgegenkommen mehr gezeigt habe, zumal die Behörden für die Fläche derzeit weder eine konkrete Nutzung ins Auge gefasst hätten noch ein Konzept vorliegt. Leichnitz ist nicht gerade zuversichtlich, dass es Faber & Co ernst meinen, wenn sie davon reden, mit den Aktivisten nun gemeinsam nach einer Alternative suchen zu wollen, zumal bisherige Gespräche keine Lösung gebracht hätten. Skater, Musiker und andere Kulturschaffende von der LSF stehen jedenfalls vorerst auf der Straße.
OB Faber erklärte am Nachmittag auf einer Pressekonferenz, er bedauere die eingetretene Entwicklung und vor allem, dass die Polizei härter habe eingreifen müssen als geplant. Polizeieinsatzleiter Jörn Tietje sprach von über 200 eingesetzten Beamten, die nicht mit so viel Widerstand gerechnet hätten. Insgesamt 17 Personen seien in Gewahrsam genommen worden. Faber, der sich im Wahlkampf für seine Wiederwahl befindet, kündigte an, die Stadt wolle noch diesen Monat einen Ideenwettbewerb für die nun freigeräumte Fläche ausrufen. Und auch das war im Rathaus zu hören: Ein Wachdienst soll das Gelände vor einer neuerlichen Besetzung schützen. Die Aktivisten bereiteten sich unterdessen für weitere Demonstrationen in der Stadt vor.
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