Aus den Hotspots kommt kein Heil
Italien streitet mit der EU um Erstaufnahmeeinrichtungen und Flüchtlingsverteilung
Die italienische Flüchtlingsproblematik ist aus den internationalen Schlagzeilen verschwunden. Man beschäftigt sich mit Griechenland und der Balkanroute, vergisst dabei aber, dass auch im Jahr 2015 über 150 000 Menschen an den italienischen Küsten gelandet sind, neun Prozent weniger als 2014. Die Zahl der Menschen, die bei ihrer Überfahrt von Libyen den Tod fanden, betrug 3279. Und obwohl sich die Lage in Italien leicht entspannt hat, reißen die Polemiken zwischen der EU und Italien nicht ab, sie drohen sich sogar zu verschärfen.
Hauptstreitpunkt scheinen die sogenannten Hotspots zu sein, besondere Erstaufnahmeeinrichtungen, in denen die Ankömmlinge sofort identifiziert werden sollen, um dann auch auf andere EU-Länder verteilt zu werden. Mehrere Menschenrechtsorganisationen halten diese Hotspots auch juristisch für äußerst fragwürdig.
Die italienische Regierung weicht diesem grundlegenden Problem eher aus, ist aber kritisch. »Die Hotspots sind ein schwieriges Thema«, sagte im Januar Domenico Manzione, Staatssekretär im Innenministerium und für Flüchtlingsfragen zuständig. »Die anderen Staaten scheinen diesen Einrichtungen Wunderheilskräfte zuzumessen, aber so ist es nicht. Für uns sind es Strukturen, in denen wir das tun, was wir schon immer getan haben, aber die Migranten auch gleichzeitig identifizieren. Doch leider weigern sich viele dieser Menschen und in unserem Land besitzen wir keine Handhabe, die es uns gestatten würden, sie dort länger festzuhalten.«
Tatsächlich gibt es auf dem Papier in Italien drei solcher Zentren - aber einen großen Einfluss haben sie nicht. Das wirkliche Problem ist hingegen - um es weniger diplomatisch zu sagen -, dass Italien sauer darüber ist, dass die sogenannte Relocation, also die quotenmäßige Umverteilung der Flüchtlinge auf alle EU-Staaten, die Italien im vergangenen Jahr zugesichert worden war, überhaupt nicht funktioniert. Bisher wurden weniger als 300 Personen »verteilt«. Insgesamt sollen Italien und Griechenland um 160 000 zu versorgende Menschen erleichtert werden.
Die schleppende Umsetzung hat verschiedene Gründe. Auf der einen Seite weigern sich bekanntlich nicht wenige Staaten, in ihren Ländern für die Schutzsuchenden zu sorgen. Auf der anderen ist es auch so, dass in den letzten Monaten kaum mehr Syrer nach Italien kommen, weil sie den Weg über die Türkei und Griechenland wählen. In Italien sind 2015 vor allem Menschen aus Eritrea, Nigeria, Somalia und Sudan angekommen. Diese Länder gelten in einigen europäischen Staaten als »sicher« oder weniger »gefährlich«.
Außerdem ist es offensichtlich, dass man in vielen europäischen Ländern lieber Menschen aus Syrien aufnimmt, die oft gut ausgebildet und auch relativ wohlhabend sind (Außerdem fallen sie im Straßenbild nicht so auf!). Die Einrichtung von funktionierenden Hotspots und die Zahlungen an die Türkei, damit man sich dort um die Flüchtlinge »kümmert«, werden also zu Druckmitteln, die Italien gegenüber der EU einzusetzen versucht. Bisher mit wenig Erfolg.
Ein erster Erfolg wurde hingegen bei der Bekämpfung der Schlepperbanden verkündet, die mit den Flüchtlingen viel Geld verdienen und sie dabei unmenschlich behandeln und enormen Gefahren aussetzen. Am Montag wurden in Palermo - zum ersten Mal in Italien - sechs Mitglieder eines Schleuserrings zu mehrjährigen Haftstrafen verurteilt. Sie sollen unter anderem für den Tod von 366 Geflüchteten verantwortlich sein, da das Boot mit Menschen aus Eritrea und Somalia, das sie von Libyen nach Italien bringen sollte, nur wenige Seemeilen vor der afrikanischen Küste gesunken war.
Doch die Hintermänner des Menschenhandels bleiben ungestraft. Drei Personen aus Eritrea, Äthiopien und Sudan sind untergetaucht. Ungeklärt bleibt auch, ob die sizilianische Mafia oder andere kriminelle Organisationen aus Italien in dieses verbrecherische Business verwickelt sind.
Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.
Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.
Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.
Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.