Ausverkauf der Werte
Israels Rechtskoalition geht gegen arabische Abgeordnete und kritische Öffentlichkeit vor
Es war ein kurzes Treffen. Nur knapp eine Stunde saß man zusammen, redete über dies und das, und an einem Punkt wurden die Anwesenden gebeten, sich zu erheben. Doch weil es drei Abgeordnete der Arabischen Liste im israelischen Parlament waren, die sich mit den Familien von drei palästinensischen Attentätern trafen, die bei der Verübung von Anschlägen getötet wurden, waren die Reaktionen heftig: Die Parlamentarier hätten die Getöteten als »Märtyrer« bezeichnet, sogar an einer Schweigeminute teilgenommen, wird ihnen nun vorgeworfen.
Über 300 Beschwerden von Bürgern gingen bei der Knesset ein, deren Ethikausschuss reagierte und die Drei für mehrere Monate von der Parlamentsarbeit ausschloss. Sie dürfen in dieser Zeit keine Reden mehr halten oder Initiativen einreichen, aber weiterhin abstimmen.
Israels Rechtskoalition geht dies allerdings nicht weit genug. In aller Eile wurde eine Gesetzesvorlage eingebracht, die es ermöglichen soll, Abgeordnete, die zum Rassismus anstiften, vollständig aus dem Parlament auszuschließen. Grundsätzlich sei ein solches Gesetz sinnvoll, sagen Abgeordnete der linken und zentristischen Oppositionsparteien, und verweisen dabei auf den Tonfall, der in den vergangenen Monaten in Politik und Öffentlichkeit immer öfter in offene Hetze umschlägt. »Doch dieses Gesetz besteht nur aus zwei Worten«, kritisiert Miki Rosenthal von der Zionistischen Union. »Araber raus!« Der Entwurf sei so formuliert, dass das Gesetz in der Praxis nur auf arabische Abgeordnete angewendet werden könne.
Dementsprechend wird die Initiative von Bürgerrechtsorganisationen als ein weiterer Versuch der Rechtskoalition gewertet, Linke und Araber zu »kriminalisieren«, so ein Sprecher des »Israel Democracy Institute«. »Abgeordnete sollen dadurch in ihrer parlamentarischen Arbeit auf das beschränkt werden, was dem von der Koalition dominierten Ethikausschuss genehm ist.«
In den Monaten zuvor hatte sich diese Koalition Menschenrechtsorganisation wie Betselem und Peace Now vorgenommen. Deren Mitarbeiter sollen in öffentlichen Gebäuden Sticker tragen, auf denen vermerkt ist, dass ihre Organisation Geld von ausländischen Regierungen erhält; der Gesetzesentwurf hat nun mit knapper Mehrheit die erste Lesung im Parlament überstanden.
Und schon jetzt wird kulturellen Einrichtungen die staatliche Unterstützung gekürzt, wenn sie sich kritisch mit dem Staat auseinandersetzen - ein Schritt, der dazu geführt hat, dass Theater bestimmte Stücke nicht mehr aufführen. Darüber hinaus wurden auch die Lehrpläne der Schulen nach Inhalten durchforstet, die, so das Bildungsministerium, »zum Rassismus anstiften« könnten. Prominentestes Beispiel: Dorit Rabinyans »Borderline« (deutsche Übersetzung noch nicht verfügbar), in dem es um eine Liebe zwischen arabischen und jüdischen Jugendlichen geht. »Dieses Buch könnte zu Spannungen zwischen Schülern führen«, so die Begründung des Ministeriums, das von Naftali Bennett, dem Vorsitzenden von Jüdisches Heim, geführt wird.
Kritik daran kommt auch aus der Koalition selbst. Im Likud, der Partei von Regierungschef Benjamin Netanjahu, hat sich eine Gruppe von Abgeordneten gebildet, die diese Einschränkung als »Ausverkauf der Werte der Partei« kritisiert. Der Likud sei einmal eine liberale Partei gewesen, die für möglichst weitreichende bürgerliche Freiheiten eingetreten sei, und müsse dies wieder werden.
Was sich bei jenem Treffen zwischen den Abgeordneten und den Familien der Attentäter zugetragen hat, ist derweil längst nicht klar. Die Parlamentarier sagen, sie hätten nur teilgenommen, um die Überführung der Leichen auszuhandeln und so zur Entspannung beizutragen - mit Billigung des Büros des Premierministers.
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