Facebook zensiert im Sinne Erdogans
Immer wieder werden kurdisch-solidarische Seiten gesperrt oder gelöscht
Am Mittwoch ging ich auf Facebook.com, um mich über Zensur bei Facebook informieren zu lassen. Am Montag war die Facebook-Seite der »Antifaschistischen Revolutionären Aktion Berlin« (ARAB) komplett gesperrt worden. Mit 10.000 Likes handelt es sich um eine der wichtigsten Seiten der Berliner Antifa-Szene und ein Bindeglied zwischen der deutschen und der türkisch-kurdischen Linken. Wie der Zufall es wollte, bekam ich die Nachricht, dass meine eigene Pinnwand eben zensiert worden war. »Wir haben etwas, das du gepostet hast, entfernt.«
Das soziale Netzwerk blockierte einen Nachrichtenartikel über das Massaker der türkischen Armee in der Stadt Cizre - bis zu 60 Zivilisten sollen ermordet worden sein. Ich hatte einen Link ein paar Tage vorher gepostet, viele türkische Nationalisten hatten sich darüber aufgeregt. Aber was an dieser Nachricht, die in allen großen Zeitungen abgedruckt wurde, verstieß gegen die »Gemeinschaftsstandards« des US-amerikanischen Konzerns?
Ein Blick auf diese »Community Standards« half überhaupt nicht. Dort heißt es, dass »Kritik« an öffentlichen Figuren erlaubt ist, »Hass« jedoch nicht. Facebook gibt sich mehr oder weniger hilflos, wenn es darum geht, gegen rassistische Hetze im Netz vorzugehen. Immer wieder erfahren Nutzer, dass Verunglimpfungen von Asylbewerbern »nicht gegen die Gemeinschaftsstandards« verstoßen. Dagegen wird gegen die Darstellung nackter Haut hart vorgegangen. Noch rigoroser ist die Zensur gegen alles, was mit dem Kampf der Kurden gegen Unterdrückung zu tun hat.
»Es gibt halt viele türkische Aktivbürger, die Inhalte melden«, so Jonas Schießer, der die gesperrte Seite der ARAB betreibt. Kommen genug Meldungen zusammen, greift ein Algorithmus ein und die Seite verschwindet. Laut Schießer greift die Zensur jedoch nur beim Thema Kurdistan. Bei einem Blick auf die dort übliche Kommunikation zeige sich, dass man problemlos dazu aufrufen könne, Polizisten zu erschießen, sagt der Antifa-Aktivist. »Aber wo es um Kurdistan geht, werden wir seit der Schlacht von Kobane ständig gesperrt.« Er vermutet gezielte Aktionen von türkischen Nationalisten oder von staatlichen Stellen. Denn die ARAB-Seite wird immer kurz vor Mobilisierungen gegen das türkische Regime blockiert - Interessierte können den Termin dann nicht finden.
Nach einem Widerspruch wurde die ARAB-Seite schließlich freigeschaltet. Aber Nutzer können jetzt keine Beiträge teilen. »Praktisch nutzlos« sei die Seite dadurch geworden, so Schießer.
Florian Wilde machte ähnliche Erfahrungen mit der von ihm betriebenen Seite »PKK-Verbot aufheben«. Letztes Jahr habe Facebook ohne Angabe von Gründen die Reichweite dieser Seite auf null gesetzt, so dass nur die Administratoren die Inhalte sahen. Wilde wusste gar nicht, an wen er sich wenden konnte.
Ein Whistleblower veröffentlichte 2012 interne Richtlinien einer Firma, die die Zensur bei Facebook organisiert. In der Tabelle verbotener Inhalte gibt es ein eigenes Unterkapitel zur Türkei. Unerlaubt sind demnach »Angriffe auf Atatürk«, »Karten von Kurdistan (Türkei)« oder »brennende türkische Fahnen«. Solche Regeln gelten jedoch nicht für andere Länder - brennende US-Fahnen sind kein Problem. Abbildungen von der PKK und Öcalan sind verboten, »solange sie nicht klar gegen diese gerichtet sind«. Deswegen werden etwa Fotos von kurdischen Kundgebungen verboten, wenn ein Bild von Öcalan auftaucht. Rojhat Dersim, der die Seite »Kurdische Nachrichten« betreibt, berichtet, dass Bilder von kurdischen Peschmerga-Kämpfern im Irak - die von der Bundeswehr ausgebildet werden - blockiert werden.
Ob diese Richtlinien heute in der Form noch gelten, kann nur vermutet werden. Facebook äußert sich nicht dazu und unterhält offenbar nicht mal eine richtige Pressestelle in Deutschland - Anrufe werden schlicht nicht beantwortet. »Erschreckend, dass ein US-amerikanischer Konzern die freie Meinungsäußerung in Deutschland in einem solchen Maße einschränken kann«, so Florian Wilde. Dennoch wird die kurdische Solidaritätsbewegung kaum auf das soziale Netzwerk verzichten können.
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