Von Flugversuchen und echt heißen Öfen

Seit Januar gibt es mit dem neuen Airport Olsztyn-Mazury eine schnelle Verbindung von Berlin in die Masuren

  • André Micklitza
  • Lesedauer: 6 Min.

Die Polen haben wirklich einen Vogel! Eröffnen ihren Airport Olsztyn-Mazury und damit eine ihrer - so hofft man - zukünftig wichtigsten Flugdestinationen, die Masuren, mitten im Winter! Und Ende Februar soll bereits entschieden werden, ob die erste regelmäßige Verbindung zwischen Berlin und Olsztyn auch im Sommer aufrechterhalten wird. Man kann es nur hoffen, egal wie die Auslastungszahlen der Flüge im Winter sind. Denn jetzt kommen zwar ein paar Eissegler, Schlittschuhläufer oder auch Geschäftsleute über die neue Flugverbindung zügig an ihr Ziel. Aber die große Masuren-Fangemeinde will das östliche Wasserwunderland im Sommer erleben.

Interessant ist, wie zügig die Polen, ganz ohne großes Tamtam, einen funktionierenden und architektonisch ansprechenden Airport in rekordverdächtigen eineinhalb Jahren in die Landschaft gesetzt haben. Dies sich mal mit eigenen Augen anzuschauen, rechtfertigt allein die 90-Minuten-Reise von Berlin-Tegel in das Herz Masurens. Unabhängig davon, ob die Verbindung zwischen Berlin und Olsztyn auf Dauer bestehen bleibt, eine starke Zunahme des Flugverkehrs dürfte ab Frühjahr sicher sein. Denn schließlich zieht es jeden fünften Storch auf der Welt nach Polen, und die meisten werden auch in diesem Jahr wieder in Masuren landen.

Dr. Robert Kempa, Direktor der Touristinformation in Giżycko, hat keinen Vogel. Für Eissegler kennt er die besten »Flugplätze«, das sind die Stellen mit den idealen Bedingungen, zu denen es auch die internationale Szene lockt. Wie auf ein geheimes Zeichen kommen die Freaks blitzschnell, denn alles muss passen: Eisdicke, Windstärke und wenig, oder besser, gar kein Schnee. »Dann segeln oder fahren die Profis nicht, sondern sie fliegen, mit bis zu 150 km/h übers gefrorene Wasser«, sagt Kempa. Der Unterschied zum Segeln besteht darin, dass die kleinen Boote jetzt Kufen tragen und viel schneller als im Wasser über die Seen sausen.

Ein international bekanntes Eissegelzentrum befindet sich im Dorf Rydzewo (Rotwalde). Hier kann man das Equipment ausleihen und am Ufer gleich Quartier im Gasthaus »Zum Schwarzen Schwan« nehmen. Wer es geruhsamer mag, stapft über die verschneiten Seen, gleitet sanft auf Langlaufskiern dahin oder läuft mit Schneeschuhen querfeldein durch die sanft hüglige Landschaft. Außer dem Knirschen des Schnees unter den Füßen ist kein Geräusch zu hören. Petrijünger frönen hier dem Eisangeln. Stundenlang sitzen sie geduldig vor einem Loch im Eis und hoffen auf einen großen Fang. Nach der Kälte sitzt man am Kachelofen, trinkt einen »Bärenfang« - das ist Honig mit Wodka angesetzt - oder aalt sich in der nagelneuen Ermländischen Therme bei Lidzbark Warmiński (Heilsberg), die mit reichlich EU-Mitteln erbaut und erst Anfang Januar eröffnet wurde.

Wer in das winterliche Masuren reist, muss sein Glück nicht mit Massen von Touristen teilen. Hotels in historischen Gemäuern, wie im einstigen Bischofspalast das »Krasicki« in Lidzbark Warmiński, finden sich einige. Für 15 Millionen Euro restauriert, zählt es derzeit zu den schönsten Herbergen des Landes. Die zahlreichen Museen in der Region sind geöffnet, aber nur wenige Besucher kommen im Winter, und kann es passieren, dass man im ehemaligen Arbeitszimmer von Nikolaus Kopernikus auf der Burg von Olsztyn ganz allein ist. Kunstexperten aus aller Herren Länder fliegen hierher, nur um ein Gemälde von Cornelius Janson van Ceulen d. J. (1593-1661) zu studieren: Das »Porträt einer jungen Dame«. Sie diskutieren stundenlang angeregt über ihre feinen Locken und den ungewöhnlich schönen Faltenwurf des Kleides.

Dass Piotr Ciszek einen Vogel hat, glaubten viele seiner Freunde und Bekannten, als sich der ehemalige Computerexperte aus Warschau vor über 20 Jahren auf machte, um in der Provinz einen Ort für eine neue Existenz zu suchen. Er fand sie im Schloss von Nakomidy (Eichmedien) bei Kętrzyn, dem früheren Rastenburg. Eine für Masuren so typische schmale, von alten Linden gesäumte Allee leitet den Besucher in den Ort. Die schwere Barocktüre des Schlosses lässt sich nur behäbig öffnen. Über einen abgewetzten Stiegenaufgang, liebevoll konserviert, sind über drei Jahrhunderte lang die Bewohner nach oben und unten geeilt. Selbst kleine Details wie Türschlösser, Scharniere und Fenstergriffe werden hier in Szene gesetzt. Jetzt im Winter haben die wenigen Gäste das Schloss fast für sich alleine. Neun Doppelzimmer stehen zur Auswahl, jedes ist anders.

Eines heißt Rabenzimmer und erinnert an jene Zeit, als der damalige Hausherr tatsächlich zwei Vögel hatte. Die beiden Rabenküken waren aus dem Nest gefallen. Ein freies Zimmer verwandelte sich in eine Rabenkinderstube, wo die Bewohner die Tiere so lange pflegten, bis beide das Fliegen gelernt hatten. Freigelassen, schaffte es der eine, der andere nicht. Für den Unglücksraben endete der Ausflug in einem Gewitter, man fand ihn später verletzt im Schlossgarten. Wieder aufgepäppelt, lebte Krunio noch sechs Jahre. Der Rabe lernte das Imitieren von Schimpfkanonaden der Bauarbeiter oder den Ruf des Hausmeisters nach dem Hund. Nur mit dem Fliegen klappte es nicht mehr. Im Rabenzimmer hängt Krunios Porträt über dem Bett, das Bad dekorieren Fliesen mit seinem Konterfei, und aus dem Fenster blickt der Besucher auf jenen Baum, aus dem die beiden Küken herabfielen.

Um 1704 gründeten die damaligen Besitzer des Anwesens eine kleine Ziegelei, um es zu erweitern. Heute beherbergt sie eine Schlossmanufaktur, in der Piotr Ciszek vor allem originale Kopien barocker Kachelöfen und Wandfliesen herstellen lässt.

»Ich hab dich so lieb. Ich würde dir ohne Bedenken eine Kachel aus meinem Ofen schenken«, reimte einst Joachim Ringelnatz. Dieser Liebesbeweis lässt sich steigern: In Nakomiady kann man seiner Angebeteten einen ganzen Ofen kaufen. In Form einer stilechten Miniatur, die in der Manufaktur hergestellt wird. Innen ist Platz für ein Teelicht, das das Öfchen tatsächlich erwärmt. Nur 30 Zentimeter hoch, passt solch ein Danziger Barockofen locker ins Handgepäck.

Infos

Polnisches Fremdenverkehrsamt: www.polen.travel


Flugbuchung:
Gegenwärtig gibt es erst zwei regelmäßige Flugverbindungen vom Airport Olsztyn-Mazury: drei Mal wöchentlich von und nach Berlin-Tegel (Preise zwischen 37 und 87 Euro für den einfachen Flug) sowie nach Kraków. Geplant sind Verbindungen ab München, Düsseldorf und Dortmund.
www.sprintair.eu

Übernachten:
www.nakomiady.pl
www.hotelkrasicki.pl

Ermlandtherme: www.termywarminskie.pl

Literatur: »Polen - Ostseeküste und Masuren«, Reise Know How Verlag, 22,50 €

Leserreisen: »neues deutschland« bietet 2016 mehrere Leserreisen in die Masuren an. Informationen unter: www.nd-aktuell.de/ leserreisen oder Tel.: (030) 29 78 16 20 (Frank Diekert)

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