Eine Liebeserklärung in Stein
Von Legenden um den Taj Mahal und Menschen, die seine Schönheit erhalten. Von Heidi Diehl
Für viele mag das eine romantische Vorstellung sein: Liebe bis in alle Ewigkeit - und die ganze Welt darf daran teilhaben. So wie bei Romeo und Julia eben! Doch wer weiß schon, ob das berühmteste Liebespaar aller Zeiten nicht liebend gern auf diesen Ruhm verzichtet und, unerkannt glücklich bis ans Ende seiner Tage gelebt hätte, statt (getrieben von der intoleranten Umwelt) jung zu sterben und in die Geschichte einzugehen.
Prinz Shah Jahan, von 1628 bis 1658 Großmogul in Indien, hatte da ganz andere Ambitionen. Für seine große Liebe fand er nichts angemessener als Unsterblichkeit, zumindest in der Erinnerung der Menschheit. 1607 hatte er sich mit der bildschönen Arjumand Banu Begum verlobt - da war er gerade mal 15, sie noch ein Jahr jünger. 1612 heirateten die beiden, und 1628, als er den Thron bestieg, gab er seiner Frau den Namen Mumtaz Mahal, was soviel bedeutet wie »Erwählte des Palastes«. 17 Jahre lebte das Paar glücklich miteinander, in denen sie ihm 14 Kinder gebar. Die letzte Geburt allerdings überlebte Mumtaz nicht - Shah Jahan war untröstlich. Doch er versprach ihr auf dem Sterbebett, ein ihr angemessenes Mausoleum errichten zu lassen. 1648 war es fertig - der Taj Mahal in Agra.
Soweit die romantische Legende über die schönste »steingewordene Liebeserklärung der Welt«, die der indische Dichter Rabindranath Tagore poetisch beschrieb als »eine ewige Träne, die vom Himmel abstieg auf das Haupt der Zeit«. Wohl auch deshalb gehört der Taj Mahal zu den weltweit meistbesuchten Pilgerstätten Jungverliebter und Frischverheirateter - sie alle hoffen auf eine Liebe, wie sie das indische Herrscherpaar angeblich verband. Die Wahrheit um das 1983 zum Weltkulturerbe ernannte Bauwerk stellt sich jedoch ein wenig unromantischer dar. Zwar ist die Liebesgeschichte zwischen dem Großmogul und Mumtaz tatsächlich überliefert. Doch dass Shah Jahan noch mit 72 weiteren Frauen verheiratet war und etliche Kinder hatte, deren Schicksal ihm letztlich mehr oder weniger egal war, gehört auch zur Wahrheit. Genauso, wie es als gesichert gilt, dass nicht er der am Kindbettfieber Sterbenden ein Mausoleum versprach, sondern diese ihm das Versprechen abnahm, sie standesgemäß zu bestatten. Dass Mumtaz damit solch ein prunkvolles Mausoleum meinte, darf getrost angezweifelt werden, denn sie galt als ebenso klug wie als Frau, die sich zeit ihres Lebens für die Armen und Bedürftigen eingesetzt hatte. Eine Eigenschaft, die ihrem Gatten völlig fremd war: Der war vielmehr stets darauf bedacht, selbst im besten Licht dargestellt zu werden, auch und insbesondere für die Nachwelt. Um seine Größe und Herrlichkeit für alle Ewigkeit zu manifestieren, war ihm das Beste gerade gut genug. Koste es, was es wolle.
Er beauftragte die angesehensten Architekten und Künstler aus Persien und Indien mit dem Bau und dessen Ausgestaltung, für den aus ganz Asien die kostbarsten Materialien herangeschafft wurden. Rund 20 000 Arbeiter waren auf dem Bau beschäftigt. Auch 1000 Elefanten, die die bis zu 25 Tonnen schweren Marmorblöcke aus dem 300 Kilometer entfernten Makrana nach Agra zogen. Zig Gewerke hatten 16 Jahre lang alle Hände voll zu tun, bis das in allen Proportionen perfekte Mausoleum mit seiner Fassade aus dem wertvollsten Marmor der Welt, in den Ornamente aus 28 verschiedenen Edel- und Halbedelsteinen eingelassen sind, 1648 vollendet war. Doch der Bau verschlang Unsummen, für die der Herrscher seine Untertanen zur Kasse bat. Die Folgen waren Unruhen und Aufstände im Land. 1657 wird Shah Jahan vom eigenen Sohn vom Thron geputscht und muss den Rest seines Lebens eingesperrt im Roten Fort von Agra am anderen Flussufer verbringen, allerdings mit einem Logenplatz, von dem aus er das Mausoleum ständig im Blick hatte. Nach seinem Tod 1666 fand er seine letzte Ruhe neben Mumtaz.
Rund vier Millionen Menschen kommen alljährlich, um den Taj Mahal einmal im Leben mit eigenen Augen zu sehen. Niemand kann sich der Schönheit des auf einem 100 mal 100 Meter großen Marmorpodest stehenden Bauwerks entziehen. Je mehr man sich ihm nähert, desto detailreicher erzählt es von der Kunstfertigkeit der Altvorderen. Insbesondere die prächtigen farbenfreudigen Einlegearbeiten aus Achat, Karneol, Lapislazuli und vielen anderen Edelsteinen sind eine Augenweide - überwiegend Pflanzenmotive wie Tulpen, Lilien und Narzissen.
Rund 3000 Nachfahren der Intarsienkünstler arbeiten bis heute nach den gleichen Mustern und in der gleichen Technik. Sie sorgen nicht nur dafür, dass die Einlegearbeiten im Taj Mahal gepflegt und erhalten werden, sondern fertigen nach den alten Vorlagen auch neue Lieblingsstücke. Wer will, kann - nur wenige Straßenzüge vom Taj Mahal entfernt - einigen der Künstler in einer Schauwerkstatt der Manufaktur »Akbar International« bei ihrer filigranen Arbeit zuschauen. Zunächst färben sie den weißen Makrana-Marmor mit Henna ein und zeichnen die Muster auf, die dann etwa 1,5 Millimeter tief in Handarbeit ausgekratzt werden. Weil das nicht nur absolute Präzision und Konzentration erfordert, sondern auch körperlich extrem anstrengend ist, müssen die Männer aller 30 Minuten eine zehnminütige Pause einlegen. Sind die Ornamentformen fertig, wird das Motivpuzzle aus unzähligen geschliffenen winzigen Edelsteinteilchen passgenau mit einem Spezialkleber eingeklebt. Nun bleibt nur noch, das Kunstwerk fein zu polieren und schon kann man es nach Hause tragen: als Tisch, Tablett, Wandbild, Schale oder - etwas preiswerter - als Glasuntersetzer. So gesehen ist der Taj Mahal sogar käuflich - als ein Stück steingewordene Liebesgeschichte für alle Ewigkeit.
Infos
Manufaktur Akbar International:
www.akbarinternational.com
Der Studienreiseveranstalter Studiosus bietet zahlreiche Reisen nach Rajasthan mit Besuch des Taj Mahal an.
www.studiosus.com
Literatur:
Indien - Der Norden, Dumont Reise-Handbuch, 24,95 €
Rajasthan, Trescher Verlag, 19,95 €
Indien, der Norden, Reise Know How Verlag, 24,90 €
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
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