Schwul und missachtet
Von Rechten bedroht, von der Politik diskriminiert: Homosexuelle in der Ukraine leben gefährlich
»Ich bin schwul. Und mein Land missachtet mich.« Mit diesen Worten löste der ukrainische Journalist Maxim Eristavi eine große öffentliche Debatte aus. Für die Brüsseler Zeitung »Politico Europe« schrieb er im Herbst 2015 »die persönlichste Kolumne seines Lebens«, um auf die Probleme der Lesben, Schwulen, Bi- und Transsexuellen (LGBT) in der Ukraine aufmerksam zu machen. Eristavi, der 2014 den englischsprachigen Auslandsdienst »Hromadske International« gründete, ist eine der wenigen öffentlichen Personen in der Ukraine, die sich offen als schwul bekennen. So ein Outing kann teils schwerwiegende Folgen haben.
»Wenn man sich in einem europäischen Land mit 45 Millionen Einwohnern zu seiner Homosexualität bekennt, kann man nicht nur das eigene Leben verbocken. Es ist auch möglich, dieses Leben zu verlieren«, betont der Journalist. Eristavi hat durchaus Recht: Allein im Jahr 2015 gab es in der Ukraine mehrere Gewaltausbrüche gegen die LGBT-Gemeinschaft. So wurde in der ukrainischen Hauptstadt Kiew am Lichtspielhaus Schowten (Oktober) Feuer gelegt, während ein Film über Schwule ausgestrahlt wurde.
Im Juni wurde dann die Demonstration Homo- und Transsexueller »KievPride« in der ukrainischen Hauptstadt von rechten Gruppierungen brutal angegriffen. Das Ergebnis: Viele Verletzte - und 30 Festgenommene, deren Schicksal bis heute unklar ist. Eine ernsthafte strafrechtliche Verfolgung der Täter scheint ausgeschlossen. In anderen Regionen des Landes, darunter in Odessa und in Krywij Rih, gab es ähnliche Vorfälle.
Einer, der die Situation in der Ukraine ändern will, ist der Deutsche Sven Stabroth. Seit zwei Jahren arbeitet er als Berater für die Initiative »Tergo«, die vor allem Eltern von lesbischen, schwulen und transsexuellen Kindern vereint. »Die ukrainische Gesellschaft weiß immer noch nicht viel über LGBT. Deswegen ist es wohl unsere wichtigste Aufgabe, die Menschen, vor allem die Eltern selbst, mit zuverlässigen Informationen zu versorgen. Denn 70 Prozent der Ukrainer glauben noch, dass die Homosexualität eine Krankheit ist«, erklärt Stabroth.
Die Zusammenarbeit mit dem ukrainischen Staat ist sehr schwierig, wie Jelena Globa, Leiterin von »Tergo«, unterstreicht. Aber sie läuft: Vor kurzem wurden sogar die ersten Gespräche mit dem ukrainischen Bildungsministerium geführt.
Außerdem fand 2015 eine erste Konferenz statt. Die Tätigkeit von »Tergo« wurde auf die Regionen des Landes ausgeweitet. »Es ist schwer - und nicht viele Leute sind bereit, auch im vertrauten Umfeld über ihr Problem zu reden. Aber wir machen Schritte nach vorn, auch wenn es an Toleranz im unserem Land deutlich fehlt«, erzählt Globa. Sie selbst brauchte viele Jahre, bis sie die Homosexualität ihres Sohnes Bohdan akzeptieren konnte.
Nun demonstrierte sie im letzten Jahr selbst bei »KievPride« mit. »Die Teilnehmer gingen nachher in ein Café, das aber verweigerte die Bedienung. Die Manager wollten Ärger vermeiden. Dafür habe ich aber nur wenig Verständnis. Denn sie haben gesehen, dass unsere Leute auf der Straße durch die Rechten in große Gefahr gebracht wurden und ließen die Teilnehmer im Stich. Das sagt vieles«, klagt Globa. Sie bleibt jedoch optimistisch - wie auch Sven Stabroth: »Zumindest haben wir nicht die gesetzlichen Einschränkungen, die Kollegen in Russland nun haben. Sie können da fast nichts machen.« »Die gesetzliche Lage ist hier besser, das stimmt«, bestätigt Eristavi.
Die Abstimmung über den Zusatzantrag gegen Diskriminierung, den die EU für die Visafreiheit mit der Ukraine forderte, war im ukrainischen Parlament aber erst im neunten Versuch erfolgreich, erinnert er. Wolodymyr Grojsman, Vorsitzender des Parlaments, kommentierte die Abstimmung mit den Worten: »In der Ukraine wird es niemals die gleichgeschlechtlichen Ehen geben, Gott wird uns helfen.« Der Weg, den die Ukraine noch vor sich hat, scheint nicht viel kürzer zu sein als der für Russland.
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