Das IKEA-Modell: Du kaufst, wir sparen Steuern
Studie: IKEA-Modell als »Blaupause« für Steuervermeidung großer Konzerne in der EU / Zwischen 2009 und 2014 entgingen EU-Staaten geschätzt rund eine Milliarde Steuern - durch einen Konzern
Vom komplett durchgestylten Katalog über optimierte Kundenführung in den Märkten bis zum obligatorischen Du in der Ansprache - das Unternehmen IKEA greift den Lebensstil einer ganzen Generation auf und prägt ihn laut Karl-Martin Hentschel von Attac weltweit. Hentschel ist der Verfasser einer Studie unter anderem über die Steuerpraktiken des Unternehmens, die Ende 2013 das »Modell Ikea« umfassend darstellte. Auf ihr basiert eine von der Fraktion der Grünen/EFA im Europäischen Parlament in Auftrag gegebene Studie (englisch), die belegt, wie der schwedische Konzern seit Jahren Steuerzahlungen in der Europäischen Union reduziert.
Die Studie skizziert grob drei Wege, mithilfe derer der Konzern seine Steuerschuld drückt: Zunächst ist der Konzern selbst in eine Vielzahl von nominell unabhängigen Einzelunternehmen aufgesplittet. Die Steuervermeidung funktioniert dabei hauptsächlich über die Zahlung von Gebühreneinnahmen: Diese können vom Eigentümer aus der Verwertung oder der Nutzung seines Werke oder Eigentums im Rahmen von Konzessionen, Lizenzen, Patenten, Warenzeichen oder Urheberrechten erhoben werden. Kurz gesagt: Die Firmen, die den Umsatz durch den Möbelverkauf erwirtschaften, drücken ihren Gewinn durch die Zahlung an den Inhaber dieser Rechte, im Falle von IKEA einer angenommenen niederländischen Zweckgesellschaft. Diese muss die Einnahmen aus den Lizenzgebühren nur zu einem sehr geringen Prozentsatz versteuern – viel geringer als der zu versteuernde Gewinn jeweils in den Staaten wäre, in denen beispielsweise Möbel tatsächlich verkauft werden. Dabei geht es um immense Summen: Die Autoren der Studie gehen davon aus, dass zwischen 1991 und 2014 84 Prozent der Gesamtsumme von 14,3 Milliarden Euro aus den Gebühreneinnahmen nicht besteuert worden sind. Die Rechercheergebnisse legten nahe, dass diese Einnahmen über die Niederlande oder Belgien dann in Steuerparadiese wie Liechtenstein transferiert worden sein sollen.
Allein zwischen 2009 und 2014 seien den EU-Mitgliedsstaaten so Steuereinnahmen in geschätzter Höhe von rund einer Milliarde Euro entgangen. Und die angekündigten Schritte der EU-Kommission unter Jean-Claude Juncker, die sich nach den »Lux Leaks«-Enthüllungen zur Bekämpfung solcher Praktiken gezwungen sah, würden an diesen Praktiken nicht wirklich etwas ändern können, richten sich diese Schritte doch vor allem gegen die Verlagerung von Gewinnen in »Off-shore«-Gebieten und Steueroasen: den Steuerwettbewerb innerhalb der EU selbst gehen sie nicht direkt an.
Die Fälle von Steuervermeidung betreffen nicht nur IKEA, sondern auch andere große internationale Konzerne. Anhand von IKEA zeigt die Studie aber exemplarisch auf, wie durch eine bestimmte Konzernstruktur auf der einen und das Ausnutzen nationaler Steuergesetzgebungen auf der anderen Seite diese »Steueroptimierung« möglich wird.
Vereinfacht ausgedrückt besteht der Konzern aus zwei Unternehmen, der Inter IKEA Group und der IKEA Group. Beide werden von Holdings in Luxemburg und den Niederlanden kontrolliert, die in Besitz von zwei Stiftungen sind, die von Vertrauten und Familienangehörigen des IKEA-Gründers Ingvar Kamprad kontrolliert werden. Diese Stiftungen sind laut Studie wiederum in Liechtenstein und den Niederlanden angesiedelt.
Der Inter Ikea Group gehört vereinfacht ausgedrückt unter anderem das »geistige Eigentum« von Ikea, also beispielsweise das Logo. Die Ikea Group ist für den Betrieb der über 300 Märkte in über 25 Staaten zuständig – als Franchisenehmer der Inter Ikea Group. Die Märkte zahlen drei Prozent des Umsatzes als Gebühren an die Inter Ikea Group – somit ist ihr Gewinn schon einmal gemindert. Die Inter Ikea Group wiederum profitiert von niederländischen Steuerregelungen. Zunächst hat die Niederlande als EU-Mitglied eine Reihe von Doppelbesteuerungsabkommen – das verhindert, dass die Gebühren im Ausgangsland, also dort, wo sich der Markt tatsächlich befindet, noch einmal versteuert werden müssen. In den Niederlanden selbst werden dann nur rund fünf Prozent Steuern auf die Gebühren erhoben – anstelle von rund 25 Prozent, die im Schnitt auf Unternehmensgewinne fällig würden. Steuern bei diversen Transaktionen zwischen Konzernmüttern und Töchtern werden nicht fällig, auch wenn das dann gering versteuerte Geld ins Ausland transferiert, zum Beispiel in Steueroasen, wird keine Steuer mehr fällig.
Laut Attac ist das »Modell Ikea« mittlerweile eine Blaupause für große Unternehmensberatungen und zahlreiche internationale Konzerne – die die Methoden dieses System übernommen haben. Bekannt in Deutschland wurden in jüngster Zeit laut Attac insbesondere Eon, Bayer Leverkusen, die Deutsche Bank, aber auch US-Firmen wie Apple, Amazon und Google. Attac schätzt, dass sich die gesamte Steuervermeidung von Konzernen allein in Deutschland auf geschätzt insgesamt auf zehn bis 30 Milliarden Euro beläuft – pro Jahr. Das globalisierungskritische Netzwerk fordert deshalb unter anderem die Offenlegung von Steuervereinbarungen zwischen Finanzämtern und Firmen, aber auch gegenüber der EU-Kommission. Die Einführung von europaweiten Mindeststeuern und eine Konzerngesamtbesteuerung könnten ebenfalls helfen, den Steuerwettbewerb innerhalb der EU zu minimieren.
Die Niederlande haben derzeit die EU-Ratspräsidentschaft inne, die Bekämpfung von Steuervermeidung hat sie offiziell auf ihre Agenda gesetzt. Die Studie kommt jedoch zu dem Schluss, dass die Ende Januar 2016 von der EU-Kommission beschlossenen Maßnahmen im Rahmen des Anti-Tax Avoidance Package (ATAP) noch längst nicht ausreichen. Die Grünen im Europaparlament schlagen deshalb ähnliche Schritte wie die von Attac empfohlenen vor – und fordern außerdem weitere Ermittlungen im Falle IKEA.
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