Eine halbe Niederlage für die Atomlobby

Stiftung für Atomausstieg vom Tisch / Experten kritisieren fehlende Nachschusspflicht der Energiekonzerne

  • Simon Poelchau
  • Lesedauer: 3 Min.
Die Atomkonzerne haben bisher Rückstellungen in Höhe von 38 Milliarden Euro für die Ewigkeitskosten der Kernkraft gebildet. Ausreichen wird dies vermutlich nicht.

Würde man die Menschen hierzulande fragen, wer für die Folgekosten der Atomkraft aufkommen soll, wäre die Entscheidung eindeutig: 70 Prozent meinen, die Konzerne sollen die Zeche zahlen, wie vor kurzem eine Umfrage der Meinungsforscher von TNS-Emnid herausfand. Auch die Politik gibt vor, die Bürgerinnen und Bürger nicht statt der Atombetreiber schröpfen zu wollen. Doch der Teufel steckt dabei im Detail, wie die Reaktionen von Experten, Opposition und Umweltschützern auf die jüngsten Aussagen des Vorsitzenden der Atomkommission, Jürgen Trittin, zeigen.

Dabei hatte der ehemalige Bundesumweltminister und Co-Chef der Grünen eigentlich den Atomkonzernen eine Absage erteilt: «Bei der Stiftungsidee der Unternehmen würden sie komplett aus der Haftung für mögliche Kostensteigerungen entlassen. Das ist mit dem Verursacherprinzip nicht zu vereinbaren», bestätigte Trittin am Montag gegenüber der «Rheinischen Post» Gerüchte, dass die von den Energieversorgern favorisierte Lösung mittlerweile vom Tisch sei.

Diese Idee hatten die AKW-Betreiber bereits im Mai 2014 ins Spiel gebracht. Ähnlich wie bei der RAG-Stiftung für die Ewigkeitskosten des Steinkohlebergbaus wollten die Konzerne dabei ihre Rückstellungen für AKW-Rückbau und Endlagerung in einen privat-rechtlichen Fonds einfließen lassen. E.on und Co. wären damit fein raus gewesen. Das Risiko von Kostensteigerungen hätten die Steuerzahler tragen müssen.

Seit November vergangenen Jahres berät eine 19-köpfige «Kommission zur Überprüfung der Finanzierung des Kernenergieausstiegs» unter der Leitung von Trittin, Ole von Beust und Matthias Platzeck (beide SPD), wie die Folgekosten der Kernkraft bewältigt werden sollen, wenn 2022 das letzte AKW stillgelegt wird. Nun soll zumindest ein Teil der Rückstellungen in einen öffentlich-rechtlichen Fonds eingezahlt werden.

Für die Energieexpertin des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW), Claudia Kemfert, geht dies «schon mal in die richtige Richtung». «Es gibt allerdings noch viele offene Fragen, zum Beispiel wie der Fonds ausgestattet werden soll», so Kemfert gegenüber «nd».

So bewertet der der atompolitische Sprecher der LINKEN im Bundestag, Hubertus Zdebel, die bekanntgewordenen Pläne als ein Alarmsignal für die SteuerzahlerInnen und einen «weiterer Schritt in Richtung Bad Bank», «um den Atomkonzernen Rabatte bei den Kosten für die Atommülllagerung zuzuschanzen». Nach den Milliardengeschenken bei den Braunkohlekraftwerken werde nun das nächste Milliardengeschenk für die Stromkonzerne vorbereitet.

Trittin fordert zwar, dass die Konzerne ihre Rückstellungen in Form von Geld und nicht in Aktien in den Fonds einzahlen, weil ihre Börsenwerte zum Teil nur noch die Höhe ihrer Verpflichtungen erreichen. Doch auch dies reicht vermutlich nicht aus. Denn bisher haben sie lediglich Rückstellungen in Höhe von rund 38 Milliarden Euro gebildet. Das DIW schätzt die nötigen Finanzmittel jedoch auf bis zu 82 Milliarden Euro. Die Kostenrisiken für die Gesellschaft seien also noch immer da, weil die Kosten der Atomkraft «unkalkulierbar hoch» seien, so Kemfert.

«Mit dem versprochenen ›Verursacherprinzip‹ hat das nichts mehr zu tun, meint dazu auch Matthias Weyland von der Anti-Atom-Organisation »Ausgestrahlt«. Der Atomkraftgegner fordert wie Opposition und Experten, deswegen eine unbegrenzte Nachschusspflicht der Konzerne für den Fonds festzuschreiben sei, weil andernfalls alle Kostensteigerungen an der Allgemeinheit hängen blieben. Ein weiterer Schritt in die richtige Richtung könnte es sein, den Atomkonzernen zu verbieten, an ihre Aktionäre Dividenden auszuschütten, wie es LINKE-Politiker Zdebel fordert.

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