Bad Aibling: War Fahrdienstleister an Zugunfall Schuld?

Staatsanwaltschaft präsentiert neue Ermittlungsergebnisse / Signal vermutlich eigenmächtig auf Grün gesetzt

  • Lesedauer: 3 Min.

Bad Aibling. Seit einer Woche schon fährt kein Zug mehr in Richtung Bad Aibling, doch die Signalanlage an den Gleisen ist noch immer in Betrieb. Das Signal steht auf freie Fahrt - so wie am verheerenden Faschingsdienstag. Inzwischen bestätigt die Staatsanwaltschaft, was seit Tagen spekuliert wird: Der Fahrdienstleiter hat offenbar eigenmächtig ein Signal auf Grün gesetzt und damit die Katastrophe mit elf Toten ausgelöst.

Am Montag kam der mit fast 20 Berufsjahren als erfahren geltende Mann mit seinen Verteidigern zu den Ermittlern, wie Oberstaatsanwalt Wolfgang Giese schildert. In den Tagen unmittelbar nach dem Zusammenstoß der zwei Züge der Bayerischen Oberlandbahn hatte er noch geschwiegen, obwohl die Ermittler ihn laut Giese schon kurz nach dem Zusammenstoß unter Verdacht hatten. Nun wollte sich der 39-Jährige wohl die Schuld von der Seele reden.

Mehrere Stunden habe der Mann ausgepackt, bis er irgendwann nicht mehr konnte und die Vernehmung abgebrochen werden musste, berichten die Ermittler. Die Essenz der Vernehmung fasst Oberstaatsanwalt Jürgen Branz so zusammen: »Er hat ein Sondersignal gegeben, das nicht hätte gegeben werden dürfen.«

Der Fahrdienstleiter habe das sogenannte Signal ZS 1 gegeben. Damit setzte er das eigentlich geltende Rotlicht auf der Strecke eigenhändig außer Kraft - eine fatale Entscheidung, die zum ungebremsten Zusammenstoß der beiden Regionalzüge führte. Hätte der Mann sich an die Regeln gehalten, so die Ermittler, wäre es nicht zu der Katastrophe gekommen.

Branz will sich vorerst nicht dazu äußern, ob tatsächlich nur eine einzelne fatale Fehlentscheidung solch ein Unglück auslösen konnte. Ein Bahnverantwortlicher, der nicht namentlich genannt werden wollte, sagte der Nachrichtenagentur AFP aber, dies könne nicht der Fall gewesen sein. Vor dem Signal ZS 1 habe der Mann noch mindestens zwei andere Signale eigenmächtig verstellt haben müssen.

Die Staatsanwaltschaft äußert sich auch nicht dazu, aus welchem Grund es zu der fatalen Signalstellung kam. Es gibt demnach keine Hinweise, dass der Fahrdienstleiter unter einem besonderen Stress stand; er sei auch nicht alkoholisiert gewesen und habe nicht unter Drogen gestanden

Womöglich wollte der Mann eine Verspätung ausbügeln: Der aus Richtung Rosenheim kommende Zug, der das fatale Sondersignal bekam, habe »drei, vier Minuten« Verspätung gehabt, erläutern die Ermittler. Der Fahrdienstleiter habe zwar noch gemerkt, dass seine Signalgebung zur Katastrophe führen wird - zwei Notrufe seien aber ins Leere gegangen.

Der Mann wurde von seinen Verteidigern laut den Ermittlern an einen sicheren Ort gebracht. »Ihm geht es nicht gut«, sagt Oberstaatsanwalt Branz. Vorsatz werfen die Ermittler dem Beschuldigten nicht vor, weshalb sie auch keinen Haftgrund sehen. Sollte es zu einem Prozess gegen den Mann kommen, drohen ihm bis zu fünf Jahre Haft.

Während die Ermittler mit der Aussage des Beschuldigten und etlichen Zeugenvernehmungen einen großen Schritt bei der Aufklärung der Katastrophe gemacht haben, gehen an der Unfallstelle bei Bad Aibling noch immer die Aufräumarbeiten weiter. Nach wie vor steht ein entgleister Waggon neben den Gleisen, ein weiterer, zertrümmerter Waggon liegt einige Meter daneben in der Böschung.

Gut ein Dutzend Bahnarbeiter waren auch am Dienstag damit beschäftigt, die Gleisanlage so weit zu präparieren, dass ein Spezialzug die letzten Trümmer von der wohl noch für mehrere Tage gesperrten Strecke abtransportieren kann.

Und in Bad Aibling versuchen die Menschen weiterhin, ihre Trauer zu verarbeiten. Im Kondolenzbuch im Rathaus gibt es täglich neue Einträge. »Warum? Es ist sehr tragisch«, heißt einer der jüngsten Beiträge. Zumindest die Frage, wie es zur Katastrophe kam, dürfte nun aber geklärt sein. AFP/nd

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