»Die Sozialwohnungen reichen nicht«

Andreas Geisel über Flüchtlingsunterkünfte, Plattenbauten und Verdichtung

  • Lesedauer: 7 Min.

Herr Geisel, wohnen Sie zur Miete oder in einer Eigentumswohnung?
Ich wohne im Eigentum, in einem alten Reihenhaus in Karlshorst aus den 1930er Jahren.

In Karlshorst boomt auch heute der Bau von Eigentums- und höherpreisigen Wohnungen.
Das kann man so nicht sagen. In Karlshorst hat gerade die Wohnungsbaugesellschaft Howoge mit den Treskow-Höfen über 400 Wohnungen fertiggestellt in den unterschiedlichsten Preissegmenten. Das beginnt bei 6,50 Euro pro Quadratmeter und reicht bis elf Euro. Wir achten darauf, dass überall dort, wo Wohnungsbau stattfindet, auch Sozialwohnungen gebaut werden.

Andreas Geisel

Andreas Geisel (SPD) ist seit Dezember 2014 Senator für Stadtentwicklung und Umwelt und damit Amtsnachfolger des jetzigen Regierenden Bürgermeisters Michael Müller. Zuvor war der gebürtige Karlshorster, der von Beruf Fernmeldetechniker und Diplomökonom ist, Bezirksbürgermeister von Lichtenberg. Mit dem 49-Jährigen sprachen Bernd Kammer und Nikolas Šustr.

Sie haben sich den Neubau auf die Fahne geschrieben. 12.000 Wohnungen wurden im vergangenen Jahr fertig. Angesichts des Bedarfs reicht das immer noch nicht aus. Der Verband Berlin-Brandenburgischer Wohnungsunternehmen fordert den Bau von mindestens 20.000 Wohnungen. Ist das zu schaffen?
Im Jahr 2011, nach zehn Jahren Rot-Rot, wurden 1500 Wohnungen gebaut. Das haben wir schrittweise gesteigert. Für dieses Jahr haben wir uns 15.000 Wohnungen vorgenommen. Wenn man die Unterkünfte, die wir für 25.000 Flüchtlinge errichten wollen, hinzurechnet, sind wir sogar oberhalb der 2. 000 Wohnungen. Um diese Größenordnung zu verstetigen, brauchen wir allerdings eine deutliche Personalverstärkung in den bezirklichen Bauämtern und in der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Umwelt. Wir werden dazu eine Art »Bebauungsplan-Fabrik« mit 50 zusätzlichen Stellen einrichten.

Trotzdem wird anderswo schneller gebaut: In Hamburg entstehen auf 1000 Bestandswohnungen sechs neue Wohnungen, in München sogar acht.
Der Vergleich beruht auf den Zahlen von 2014. Mit den Fertigstellungen in diesem Jahr erreichen wir dieses Niveau. Mit dem Unterschied, dass unsere Mieten deutlich unter denen in diesen Städten liegen.

Das wird viele Berliner nicht trösten, die zehn Euro aufwärts pro Quadratmeter für eine neue Wohnung kaum zahlen können. Knapp sind vor allem bezahlbare Wohnungen, die ja künftig auch von Flüchtlingen verstärkt nachgefragt werden. Wie wollen sie darauf reagieren?
Indem wir mehr bauen und mehr fördern. Wir haben die Wohnungsbauförderung verdreifacht: in diesem Jahr entstehen 2500, im kommenden Jahr 3000 Sozialwohnungen mit Mieten um 6,50 Euro pro Quadratmeter.

Reicht das? Theoretisch hat ja jeder zweite Berliner Anspruch auf eine Sozialwohnung.
Theoretisch sucht nicht jeder zweite Berliner eine Wohnung. Aber mir ist klar, dass 3000 geförderte Wohnungen nicht ausreichen. Deren Anzahl muss höher werden. Ich rechne damit, dass wir ab 2018 wenigstens 5000 neue Sozialwohnungen brauchen. Und für die Flüchtlinge bauen wir jetzt modulare Unterkünfte für 25.000 Menschen, um sie aus den Turnhallen und Notquartieren herauszubekommen.

Wann werden diese Unterkünfte fertig sein?
Die Arbeiten für die ersten beiden Bauten beginnen im nächsten Monat in Marzahn. Dann geht es zügig weiter in den anderen Bezirken. Zum Jahresende werden wir alle im Bau haben und die ersten werden fertig sein. Die jetzige Debatte um die Standorte finde ich nicht akzeptabel, weil sich dadurch der Baubeginn verzögern kann.

Die Bezirke kritisieren vor allem die unausgewogene und mit ihnen nicht abgestimmte Verteilung der Unterkünfte.
Wir achten darauf, dass die Verteilung über die Stadt ausgewogen ist. Die Ballungen, die es ursprünglich in Hohenschönhausen, in Buch und in Marzahn-Hellersdorf gegeben hat, gibt es nicht mehr, da habe ich selbst dafür gesorgt. Für Hohenschönhausen waren zehn Standorte vorgesehen, heute sind es vier. Voraussetzung für die Festlegung aller Standorte ist, dass diese Grundstücke mindestens 5000 Quadratmeter groß und in Landesbesitz sind. In Mitte stehen solche Flächen nicht zur Verfügung, am Rand der Stadt schon. Auf der einen Seite zu sagen, wir wollen keine Massenunterkünfte in den Tempelhof-Hangars und keine Unterbringung in Sporthallen, und jetzt eine solche Debatte zu beginnen, passt nicht zusammen.

Denken Sie, dass 2017 das nächste Modul-Programm aufgelegt werden muss?
Ja, das wird sicherlich notwendig sein.

Für wie viel Unterkünfte?
Das hängt davon ab, wie viele Menschen 2016 nach Berlin kommen. Derzeit haben wir etwa 65.000 Flüchtlinge in der Stadt. Deswegen errichten wir weitere Containerbauten, in denen bis zu 15.000 Menschen befristet auf drei Jahre untergebracht werden können. Container klingt nicht schön, aber wir schaffen damit eine annehmbare Wohnsituation für die Menschen, die bereits in der Stadt sind.

Die modularen Bauten sollten etwa 1000 Euro pro Quadratmeter kosten. Bleibt es dabei?
Wir liegen bei den ersten zehn Standorten bei 1470 Euro pro Quadratmeter Bruttogeschossfläche. Das hat mit der Höhe der Standards zu tun wie z.B. hohe Anforderungen an Sicherheit und Aufzüge. Es gibt Sozialräume, um auch die Betreuung der Flüchtlinge zu ermöglichen. Wir bauen also nicht irgendwelche Baracken in Gewerbegebieten, sondern Wohnungen an integrierten Standorten. Die Häuser sollen in zehn Jahren in normale Wohnungen, Senioren- oder in Freizeiteinrichtungen umgebaut werden, sind also Keimzellen für neue Wohngebiete.

Apropos integrierte Standorte: Einige Containerdörfer sollen als sogenannte Pionierbauten in der Elisabethaue in Pankow oder den Buckower Feldern in Neukölln entstehen. Wie soll auf der Grünen Wiese Integration möglich sein?
Wer sagt, dass wir auf der grünen Wiese bauen und keine Schule und keine Verkehrsanbindung planen?

Dann wird zur Elisabeth-Aue die Straßenbahn fahren, wenn die Flüchtlinge dort einziehen?
Die Elisabethaue ist groß. Wir planen die Unterkünfte natürlich dort, wo wir solche Anbindungen haben und die Infrastruktur zur Verfügung steht. Und wo nicht, planen wir sie.

Werden in diesem Jahr dort schon Container errichtet?
Das kann ich nicht sagen, aber wir können auch nicht bis 2018 warten, wenn wir die Turnhallen und Hangars freiziehen wollen.

Manche sehen die Flüchtlingsunterkünfte in der Elisabethaue oder Neukölln nur als Trick, um dort die von Anwohnern abgelehnte Bebauung durchzusetzen.
Es ist keine Idee von mir, auf der Elisabethaue zu bauen. Das Areal ist seit über 30 Jahren als Baugebiet ausgewiesen. Es wird einige Jahre in Anspruch nehmen, um solche Standorte zu lebendigen Wohngebieten zu entwickeln. Aber in jedem Wohngebiet wird ein erstes Haus errichtet, ob dort Flüchtlinge aus Syrien einziehen oder Menschen aus Prenzlauer Berg, ist erst einmal egal. Mir ist nicht klar, warum Flüchtlinge nicht die Ersten sein sollen.

Vielleicht, weil für sie keine Wohnungen, sondern vor allem Gemeinschaftsunterkünfte gebaut werden. Der Flüchtlingsrat fordert die Unterbringung in Wohnungen.
Der Flüchtlingsrat fordert Wohnungen, in der Elisabethaue soll grundsätzlich nicht gebaut werden, in der Michelangelostraße fordern die Anwohner den Erhalt der Parkplätze, in Mitte sollen Freiflächen bleiben. Man kann sich noch eine Weile im Kreis drehen und Sorge auf Sorge häufen. Ich bin eher jemand, der das Problem zu lösen versucht.

Stichwort Verdichtung: Sie haben kürzlich in Hohenschönhausen ein Studentenprojekt vorgestellt, bei dem es um eine dichtere Bebauung des Plattenbaugebiets geht. Zu unserem Bericht darüber erhielten wir eine Menge Leserbriefe von nicht gerade erfreuten Hohenschönhausenern. Ähnliche Reaktionen gibt es von Anwohnern der Karl-Marx-Allee. Zumindest als Umweltsenator müssten Sie doch auf deren Seite sein?
Die Innenhöfe an der Karl-Marx-Allee sind an die 6000 Quadratmeter groß. Wenn da ein Haus reingebaut wird, bleiben noch 3500 Quadratmeter. Ich finde es nicht unzumutbar, einen 3500 Quadratmeter grünen Innenhof zu haben. Wir können nicht so großzügig weiterbauen wie bisher. Wenn wir die Parks und Freiflächen erhalten wollen, müssen wir dichter und höher bauen. Und wenn wir bezahlbare Wohnungen wollen, müssen wir auf landeseigenen Grundstücken bauen.

Sehen Sie noch andere Möglichkeiten, für bezahlbare Wohnungen die Kosten zu dämpfen?
Bei Sozialwohnungen bin ich dagegen, Standards abzusenken. Weil sie über Jahrzehnte attraktiv bleiben sollen. Ein Beitrag zur Kostensenkung könnte in der seriellen Bauweise liegen. Ich jedenfalls halte die Großsiedlungen im Ostteil der Stadt für attraktiv. Wer in der elften Etage aus dem Fenster schaut, wird das verstehen.

Welche Vision haben Sie von der Stadt?
Ich trete für eine sozial gerechte Stadt ein. Sozialer Ausgleich kommt nicht von allein, sondern muss organisiert werden. Wenn wir eine Entwicklung wie in London verhindern wollen, damit weiterhin auch Menschen mit relativ geringem Einkommen überall wohnen können, dann müssen auch in der Mitte der Stadt Sozialwohnungen gebaut werden. Dafür müssen heute die Weichen gestellt werden.

Das klingt wie eine Bewerbungsrede zu den kommenden Wahlen. Rechnen Sie damit, dass Sie auch nach dem 18. September 2016 Stadtentwicklungssenator sein werden?
Ja.

In welcher Koalition?
In jeder unter Führung der Sozialdemokraten. Ich denke, dass die Berliner unsere soziale Wohnungspolitik honorieren werden.

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