Bush steht vor seinem Saigon
USA-Wahl: Der Wähler lässt sich nicht mehr in Angststarre halten
Die Amerikaner haben einen republikanischen Präsidenten erlebt, der auf Alleingang, Vereinfachung und die Gewissheit setzte, dass die Vereinigten Staaten Gottes Musterknaben sind. Mit diesem Reisegepäck sind sie nach den Terroranschlägen vom 11. September ohne Zögern nach Afghanistan und ohne Beweise nach Irak marschiert. Mit dieser Orientierung teilt Bush die USA-Bürger bis heute in jene ein, die gegen den Terrorismus sind, und solche, die ihn in Ordnung finden. In jene, die in Irak gewinnen wollen, und in Defätisten. Schließlich in solche, die ihr Land lieben, und solche, die an seiner Führung zweifeln. Er ist ein Mann einfacher Raster: Wir oder sie, gut oder böse, Amerika oder die Terroristen.
Im Umfragen-Tiefflug
Mit diesem Kompass hat es der 43. Präsident bis kurz vor sein politisches Saigon gebracht. In Vietnam haben die USA anderthalb Jahrzehnte gebraucht, ehe am 30. April 1975 (nach drei Millionen toten Vietnamesen und 58 000 gefallenen USA-Soldaten später) die letzten Amerikaner vom Dach der Botschaft in Saigon mit gefalteter USA-Flagge im Hubschrauber die Ausreise antraten. Die Todeszahlen in Irak liegen noch unter denen Vietnams, aber das Verhältnis der amerikanischen und der irakischen Opfer heute ist ähnlich wie vor drei Jahrzehnten, als sich der Gigant Amerika im Dschungel verrannte und - wie heute - sein Ansehen in der Welt in kaum für möglich gehaltene Tiefen schickte. Und das seines Präsidenten mit.
Schon vor der Wahl am Dienstag, der letzten vor Bushs Abtritt im Januar 2009, hat Bush - trotz Todesurteils für Saddam Hussein 72 Stunden vor Öffnung der Wahllokale - mit Billigungsquoten von zeitweise 31 Prozent Tiefstände der Unpopularität erreicht, wie sie von Präsidenten in zweiter Amtszeit nach dem Zweiten Weltkrieg nur einmal überboten wurden: von Nixon im Watergate-Skandal (24 Prozent). Die anderen Präsidenten, die wie Bush zwei Amtsperioden hatten, verzeichneten Tiefpunkte, die gegenüber denen des heutigen Amtsinhabers wie Auszeichnungen anmuten: Eisenhowers betrug 48, Reagans (in der Iran-Contra-Affäre) 43 und Clintons Hänger auf dem Höhepunkt der Monica-Lewinsky-Affäre 53 Prozent. Kurz vor der Wahl ergab eine repräsentative Umfrage in Großbritannien, dass der USA-Präsident nur mit seinen erklärten Feinden gut mithält. Gefragt, welcher Führer die größte Gefahr für den Weltfrieden darstelle, antworteten bei den Briten: Osama bin Laden - 87 Prozent, George W. Bush - 75 Prozent, Kim Jong Il - 69 Prozent. Das war eine Meinungsumfrage im Land von Amerikas engstem Verbündeten!
Einer der bemerkenswerten Aspekte der jüngsten USA-Wahl wird im Vergleich zu den beiden vorangegangenen deutlich. Er zeigt, dass sich ähnlich wie durch den Vietnamkrieg eine qualitative Verschiebung der Wählermeinung aufbaut: Die Wahlen 2002 (ein Jahr nach Nine-Eleven) und 2004, bei denen Bushs Republikaner siegten, waren Wahlen, in denen das Weiße Haus mit der verständlichen Angst vieler Bürger vor dem Terrorismus spielte und einen Freibrief zur Kriegführung erwartete. Die Rechnung ging auf. Bush und seine Mannschaft kassierten den Lohn der Angst. Im Herbst 2006 hat dieses Kalkül ausgedient. Bei der Wahl, die wie keine zweite seit dem Vietnamkrieg von außenpolitischen Sorgen der Wähler bestimmt war, ließ sich die ängstliche Wählerseele mehrheitlich nicht mehr von den bisherigen Erklärungen zum Kampf gegen den Terrorismus überzeugen.
Obgleich die Republikanische Partei immer über mehr Wahlkampfgelder verfügt als die Demokraten und die trickreicheren und schmutzigeren Wahlkämpfer sind, sieht die Mehrheit der USA-Bürger heute keinen Zusammenhang mehr zwischen dem Irak-Einsatz der Vereinigten Staaten und dem von der Regierung ausgerufenen Krieg gegen den Terrorismus. Das ist ein grundlegender Wandel in der öffentlichen Meinung zu 2002 und 2004. Der Gang der Dinge in Irak und Afghanistan hat - freilich mit erheblicher Verspätung und tragischen Opfern - inzwischen jedem Amerikaner, der einen Intelligenzquotienten oberhalb der Zimmertemperatur besitzt, klar gemacht, dass der Irak weiter denn je davon entfernt ist, jene befriedete, liberale Demokratie zu sein, die das Weiße Haus bei Beginn des Krieges versprach.
Abzug der Truppen?
Die Wahl 2006 war vor allem eine Irak-Wahl und ein Referendum über den konkreten Kriegskurs des Präsidenten. Er wurde mehrheitlich als gescheitert eingestuft. Dieser Umstand bringt Bush seinem Saigon viel näher, als er glauben machen will. Bisher hatte er es ausnahmslos mit einem Kongress im Capitol zu tun, in dem im Unter- (House of Representatives) wie im Oberhaus (Senate) die Präsidentenpartei die Mehrheit und das Sagen hatte. Das ist nun anders und wird den Präsidenten in neuer Weise unter Druck setzen - die Demokraten allerdings auch.
Vor allem jedoch wird die Lage in Irak selbst einen Druck auf die USA-Führung ausüben, der wahrscheinlich schon bis Jahresende zu einer Kursänderung führt - siehe Rumsfelds Entlassung am Tag nach der Wahl. Die mit Billigung beider großen Parteien und des Präsidenten eingesetzte Arbeitsgruppe unter Leitung von James Baker, dem einstigen Außenminister von Präsident Bush senior (1989-1993), wird sehr rasch ihre Irak-Empfehlungen vorlegen.
Was immer dieses Gremium, dem auch der neue Verteidigungsminister und Vertraute von Bush-Vater, Robert Gates, angehört, gegen weiteren amerikanischen Gesichtsverlust im Einzelnen vorschlagen wird, dreierlei scheint sicher: Eine bloße Fortsetzung der bisherigen Irak-Strategie wird es nicht geben. Zweitens ist die Wahlniederlage eine Schlappe für den lange dominierenden neokonservativen Flügel bei den Republikanern. Zum dritten dürfte die Kommission mit dem Alt-Bush-Mann Baker Schritte vorschlagen, die auf diplomatische Vorstöße in Richtung UNO, USA-Alliierte, aber auch in Richtung Syrien, Iran und letztlich auf schrittweisen USA-Rückzug aus Irak hinauslaufen.
Wie der Jazz ist auch die Diplomatie am Ende nicht totzukriegen. George W. Bush steht vor seinem Saigon, auch wenn die USA weiter von Sieg, von Umgruppierung der Kräfte und Erfolgen im Kampf gegen den Terrorismus reden werden. Doch Saigon bleibt Saigon, nur dass es jetzt Bagdad heißt.
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