Die Misshandelten müssen zahlen
Tagessätze in Frauenhäusern sind hoch, viele können sich das nicht leisten
Seit 40 Jahren gibt es Autonome Frauenhäuser in Deutschland. Der erste Schutzraum für geschlagene Frauen entstand 1976 in Berlin. Heute gibt es bundesweit rund 350 dieser Einrichtungen. Ihre Zahl war in den letzten Jahren rückläufig, weil es seit Inkrafttreten des Gewaltschutzgesetzes im Jahre 2002 die Möglichkeit gibt, gewalttätige Partner der gemeinsamen Wohnung zu verweisen. Trotzdem sind es fast 18 000 Frauen mit ebenso vielen Kindern, die alljährlich in einem Frauenhaus Schutz suchen. »Sie flüchten vor der Misshandlung durch ihre Ehemänner, Lebenspartner oder Väter. Frauen werden erniedrigt, beschimpft, isoliert, bedroht und massiv in ihrem Selbstwertgefühl verletzt«, heißt es bei der Zentralen Informationsstelle für Autonome Frauenhäuser (ZIF) in Bonn.
Das eigentliche Problem der Gewaltopfer sind nicht grapschende Nordafrikaner, sondern Familienväter, die in den eigenen vier Wänden zum Täter werden. Die Zahlen, die das Bundesfamilienministerium zusammentragen ließ, sprechen eine deutliche Sprache: Demnach wurden etwa in Bremen und Berlin fast 40 Prozent aller Frauen Opfer häuslicher Gewalt. In Hessen, Rheinland-Pfalz und Hamburg traf es immer noch jede Dritte. Kein Wunder, dass der Bedarf an Plätzen oft größer ist als das Angebot. Vor allem in den Großstädten und Ballungsgebieten fehlt es an Kapazitäten. Etwa in Berlin, wo im Jahre 2014 insgesamt 827 Frauen abgewiesen werden mussten, weil es keine freien Plätze mehr gab. Lediglich 77 von ihnen und 93 Kinder konnten an Frauenhäuser außerhalb von Berlin vermittelt werden. Nicht wenige mussten zurück zu ihren Peinigern. Laut einer deutschlandweiten Erhebung des Bundesfamilienministeriums aus dem Jahre 2011 konnten die Einrichtungen aus Platzmangel in »knapp 9000 Fällen schutzsuchende Frauen nicht aufnehmen«. Wobei die Dunkelziffer noch höher lag, weil nicht alle Frauenhäuser an der Erhebung teilgenommen hatten.
Doch es sind nicht nur Kapazitätsprobleme, mit denen Frauenhäuser zu kämpfen haben. Genauso drängend sind finanzielle Fragen. Die Zentrale Informationsstelle Autonomer Frauenhäuser (ZIF) startet deshalb am Freitag eine bundesweite Protesttour. Die Aktivistinnen wollen in 16 Tagen durch 16 Bundesländer reisen, um so ihrer Forderung nach einer »einzelfallunabhängigen und bedarfsgerechten Finanzierung auf gesetzlicher Grundlage« Nachdruck zu verleihen.
Was viele nicht wissen: Der Aufenthalt in einem Frauenhaus ist nicht kostenlos. Zudem fehlt auch 40 Jahre nach Gründung des ersten Hauses eine gesetzliche Grundlage für die Finanzierung. Eva Risse, Mitarbeiterin von ZIF in Bonn, erläuterte am Mittwoch gegenüber »nd« die Hintergründe. »Derzeit ist es so, dass die Frauen ihren Aufenthalt in den Häusern selbst bezahlen müssen.« Die Tagessätze liegen zwischen 30 und 100 Euro. »Somit werden die Betroffenen für ihre erlittene Misshandlung auch noch zur Kasse gebeten.« Zwar übernehmen die Jobcenter die Kosten, falls ein Hartz-IV-Anspruch besteht. »Aber für Flüchtlingsfrauen, Studentinnen, Azubis oder Normalverdienerinnen kommt das Amt nicht auf«, so Risse. So könne es passieren, dass Frauen abgewiesen werden. Die Häuser selbst sind oft unterfinanziert und abhängig von der Haushaltslage der Länder und Kommunen. Deshalb drängt die ZIF auf eine grundlegende Neuorientierung. »Die Frauenhäuser sollten ein bedarfsgerechtes Jahresbudget erhalten, um so eine kostenlose Unterkunft bieten zu können.« Schließlich, argumentiert Risse, handele es sich bei häuslicher Gewalt um ein gesellschaftliches Problem, nicht um ein individuelles Verschulden der betroffenen Frauen.
Auch die Linksfraktion im Bundestag hat sich der Sache angenommen. Das Parlament wird sich heute erstmals mit dem Antrag zur »bundeseinheitlichen Finanzierung« von Frauenhäusern beschäftigen. Allerdings favorisiert die LINKE ein anderes Modell als die ZIF. Die frauenpolitische Sprecherin der Linksfraktion, Cornelia Möhring, erklärte am Mittwoch: »Wir fordern einen Rechtsanspruch auf Schutz für von Gewalt betroffene Frauen und ihre Kinder.« Er solle die abstrakte Schutzaufgabe des Staates im Grundgesetz »zu einer konkreten und einklagbaren Leistungspflicht« machen. Der Antrag sieht vor, dass die Ansprüche »unabhängig von Einkommen, Aufenthaltstitel, Herkunftsort, gesundheitlicher Einschränkungen oder Behinderungen für die betroffenen Frauen und deren Kinder« gelten sollten. Zudem dürften die Bestimmungen keine Nachweispflichten enthalten, »die die betroffenen Frauen zusätzlich belasten«. Eva Risse meldete am Mittwoch Zweifel an. »So verschiebt man die Angelegenheit auf die Verwaltungsebene.« Damit wären die Frauen abhängig von der Entscheidung eines Sachbearbeiters, kritisierte sie.
Und was meint das für Frauen zuständige Bundesfamilienministerium? Auf »nd«-Nachfrage betonte eine Sprecherin von Ressortleiterin Manuel Schwesig (SPD), dass dem Bund hier »verfassungsrechtliche Grenzen gesetzt« seien. Man habe zwar »Hinweise auf punktuelle Versorgungslücken und Zugangsschwierigkeiten«, allerdings sei die Finanzierung von Frauenhäusern »bei den Bundesländern und Kommunen« angesiedelt und solle dort »auch grundsätzlich verbleiben«. Angesichts der angespannten Haushaltslage vieler Kommunen sicher keine keine optimale Lösung. Die Sprecherin verwies zudem auf eine »länderoffene Arbeitsgruppe«, in der Vorschläge zur »bedarfsgerechten Ausgestaltung des Frauenunterstützungssystems« entwickelt werden sollen. Ihre Ergebnisse werde die Gruppe »voraussichtlich im Laufe dieses Jahres vorlegen«. Ob dabei etwas rauskommt, bleibt abzuwarten.
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