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- Kriegsverbrechen in Gaza
Zweite Anzeige gegen israelische Soldaten in Deutschland
Belgische Stiftung verfolgt Doppelstaatsbürger wegen mutmaßlicher Kriegsverbrechen in Gaza und fordert Haftbefehle
Die belgische Hind-Rajab-Stiftung hat nach eigener Aussage eine Strafanzeige gegen einen israelischen Panzerkommandanten in Deutschland gestellt. Der Soldat soll schwere Kriegsverbrechen in Gaza begangen haben. Der auf der Webseite der Stiftung namentlich genannte Mann besitzt demnach auch die deutsche Staatsbürgerschaft und könnte sich in Berlin aufhalten. Darauf deuten Fotos hin, die Mitarbeiter*innen der Stiftung in Accounts in sozialen Medien gefunden haben wollen.
Seine Videoaufnahmen zeigen angeblich das Beschießen von Wohngebieten und ziviler Infrastruktur. Als Beweisstück gilt auch ein brennendes Zivilfahrzeug, das offenbar von einem Merkava-Panzer ins Visier genommen wurde. Für diese israelischen Panzer liefern deutsche Firmen Teile und Munition.
Am 5. März hat die Stiftung bereits eine Strafanzeige gegen ein Mitglied einer israelischen Brigade eingereicht und diese mit Videobeweisen untermauert, die den Soldaten beim Beschuss ziviler Gebäude mit einem schweren Maschinengewehr zeigen. In weiteren Postings prahlt der Brigadist mit den Taten. Er könnte sich laut dem Bericht in München aufhalten und besitzt möglicherweise ebenfalls die deutsch-israelische Doppelstaatsbürgerschaft.
Die Hind-Rajab-Stiftung argumentiert, dass deutsche Behörden aufgrund des Prinzips der universellen Gerichtsbarkeit eine Zuständigkeit und Verpflichtung zur Untersuchung haben. Beide Anzeigen stützen sich auf Paragrafen des deutschen Strafgesetzbuches, die Mord und Beihilfe zum Mord unter Strafe stellen. Angeführt werden auch Völkermord, Verbrechen gegen die Menschlichkeit sowie Kriegsverbrechen nach dem Völkerstrafgesetzbuch. Die Stiftung fordert die Ausstellung europäischer Haftbefehle und eine Koordination mit Interpol, damit sich die Beschuldigten nicht der deutschen Justiz entziehen können.
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Seit ihrer Gründung im vergangenen Herbst in Brüssel hat die Hind-Rajab-Stiftung Anzeigen in verschiedenen Ländern eingereicht, darunter Brasilien, Frankreich und Südafrika. Sie gilt als juristischer Arm der propalästinensischen Bewegung des 30. März, die an den »Land Day« von 1976 erinnert. An jenem Tag protestierten arabische Israelis gegen Pläne der Regierung, große Landflächen zu konfiszieren. Benannt wurde die Organisation nach der sechsjährigen Hind Rajab, die im Januar 2024 vom israelischen Militär in Gaza getötet wurde. Das Mädchen befand sich in einem Auto, das mit 335 Kugeln beschossen wurde und telefonierte dabei dreieinhalb Stunden verzweifelt mit dem Palästinensischen Roten Halbmond.
Es ist nicht der erste Versuch von Menschenrechtsorganisationen und Betroffenen, deutsches Recht gegen aktuelle israelische Verbrechen in Stellung zu bringen. Ein Strafantrag gegen Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) und andere Regierungsvertreter wegen Beihilfe zum Völkermord wurde jedoch eingestellt. Als angeblich unbegründet zurückgewiesen haben Verwaltungsgerichte außerdem drei Klagen von Palästinenser*innen, die Deutschland für genehmigte Exporte von Rüstungsgütern nach Israel vor Gericht bringen wollten.
»In Deutschland wird der Rechtsstaat zunehmend ausgehöhlt. Wir können dies an einer Fülle von Fällen anti-palästinensischer Repression durch deutsche Behörden deutlich beobachten. Im Gegensatz dazu weigern sich dieselben Behörden jedoch beharrlich, israelische Kriegsverbrechen zu verfolgen«, sagt der Berliner Rechtsanwalt Alexander Gorski vom European Legal Support Center, das einige Klagen von Palästinenser*innen in Deutschland unterstützt hat.
Juristisch brisant ist deshalb auch die Ankündigung des designierten Bundeskanzlers Friedrich Merz (CDU), der »Mittel und Wege« finden will, um Israels Premierminister Benjamin Netanjahu nach Deutschland einzuladen – trotz eines Haftbefehls des Internationalen Strafgerichtshofs wegen mutmaßlicher Kriegsverbrechen und einer Verpflichtung Deutschlands als Vertragsstaat des Römischen Statuts zur Zusammenarbeit mit dem Gericht.
Besonders im Vorfeld des 60. Jahrestags der deutsch-israelischen Beziehungen ist von Bedeutung, ob die neue Bundesregierung das Völkerrecht oder eine »Staatsräson« gegenüber Israel höher gewichten wird. »Die deutschen Staatsanwaltschaften sind verpflichtet die Rechtsstaatlichkeit zu wahren, und sich nicht als ›Staatsräson‹ in den Dienst Israels zu stellen«, sagt Anwalt Gorski dazu dem »nd«.
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