Zwischen Rotem Teppich und Hartz IV

Viele Filmschaffende können weder eine Familie ernähren, noch vorsorgen - aufhören will dennoch keiner

  • Katharina Dockhorn
  • Lesedauer: 4 Min.
Niedriglöhne, 13-Stunden-Tage - die Arbeit in der Filmbranche ist alles andere als schillernd. Ein neues Förderprogramm des Bundes könnte die Situation sogar noch verschärfen.

»Beim Dreh meines nächsten Films möchte ich meine Crew ordentlich bezahlen, ohne deren Engagement und Leidenschaft ich nicht hier stehen würde«, bedankte sich die junge Filmemacherin Anne Zohra Berrached nach der umjubelten Premiere von »24 Wochen« im Berlinale-Palast. Mit ihrer Low-Budget-Produktion hat es die in Erfurt geborene Regisseurin in den Wettbewerb geschafft. Tariflöhne konnte sie nicht zahlen. Das kann auch Axel Ranisch nicht. Der in Babelsberg ausgebildete Regisseur sorgte mit Komödien wie »Dicke Mädchen« für Furore. »In den ersten zehn Jahren arbeiten wir umsonst, wir lernen eine beschissene Arbeitsmoral kennen«, brachte der Berliner bei der Verleihung des »FilmFair Award« die Situation auf den Punkt. Der Preis wird von der Vereinigung der Filmschaffenden für die besten Produktionsbedingungen vergeben. 105 Film- und Fernsehproduktionen wurden bewertet, 31 000 Stimmen gaben die Beschäftigten ab. Sieger wurde »SMS für Dich«, das Regiedebüt von Karoline Herfurth. Die Komödie wurde von Christoper Doll und Lothar Henninger produziert.

Das Geld des Steuerzahlers aus der Filmförderung war auch an den Sets von »Rico, Oskar und der Diebstahlstein« und »Radio Heimat - Damals war auch Scheiße!« zur Zufriedenheit ihrer Mitarbeiter angelegt. Allerdings sind Fördermillionen noch längst keine Garantie für bessere Arbeitsbedingungen, wie die letzten Plätze im Ranking beweisen: Unter ihnen ist der acht Millionen Euro teure Kino-Tatort von Til Schweiger »Tschiller - Off Duty« sowie der Kinderfilm »ENTE GUT. Mädchen allein zu Haus«, der bei der Berlinale Premiere feierte und zu den Projekten gehört, die innerhalb der Initiative »Der besondere Kinderfilm« besonders hoch gefördert wurden.

Die Arbeitsbedingungen an deutschen Filmsets, die Bezahlung und die Rahmenbedingungen wurden bei der Berlinale abseits von Glanz und Glamour heiß diskutiert. Im Zentrum mehrerer Runden stand der Neuentwurf des Urhebervertragsrechtsgesetzes von Bundesjustizminister Heiko Maaß, der den Kreativen mehr Rechte einräumt, eine angemessene Bezahlung einzufordern.

Fernsehsender, Filmförderer und Politiker wissen seit Jahren, dass Filme mit Dumpinglöhnen und unter Selbstausbeutung aller Beteiligten entstehen. Durch das gut gemeinte Programm zur Förderung des Kulturellen Films, das Kulturstaatsministerin Monika Grütters für das Jahr 2016 auflegt, könnte sich die Situation verschärfen. Sie will Filmproduktionen mit bis zu einer Million Euro unterstützen, 80 Prozent und in Ausnahmefällen sogar 100 Prozent des Budgets werden subventioniert. Nur wer Tariflöhne zahlt, kalkuliert für einen 90-minütigen Spielfilm mit 23 Drehtagen 1,5 Millionen Euro.

Die Folgen der Selbstausbeutung sind verheerend. Vier von zehn Filmschaffenden können nicht von ihrem Job leben, fand Lisa Basten für ihre Uni-Abschlussarbeit heraus. Nur jeder Zehnte hat für das Alter vorgesagt. Zwei Drittel der Betroffenen würden es gerne tun, können es sich aber nicht leisten. 80 Prozent der Befragten geben an, von ihren Einkünften keine Familie ernähren zu können.

Filmschaffende leben zwischen Rotem Teppich und Hartz IV. Wenn sie drehen, sind sie angestellt und zahlen in die Arbeitslosenversicherung ein. Einen Anspruch auf Arbeitslosengeld erwirbt jedoch nur, wer auf die erforderliche Zahl von Tagen im Jahr kommt. Und das sind zu wenige. Auch die 2009 eingeführte Sonderregelung für Künstler und Publizisten half nicht grundlegend. Die Verbände der Kreativen fordern deshalb seit Jahren Nachbesserungen. In dieser Legislaturperiode bleiben sie aus. Die unbefriedigenden Regeln wurden gerade bis 2018 festgeschrieben.

Produzenten scherten sich oft nicht um gesetzliche Regelungen, zahlten zum Beispiel keine Nachtzuschläge, berichtete Außenrequisiteur Ingo Weerts beim Berlinale-Gespräch von ver.di. Sie können nicht zahlen, denn viele Budgetkalkulationen seien ein Lügengebäude. Dies beklagen die Produzenten auch selbst. Ihr Lobbyverband, die Produzentenallianz, feierte zu Beginn des Filmfestivals die »Eckpunkte für ausgewogene Vertragsbedingungen und eine faire Aufteilung der Verwertungsrechte« mit der ARD. Aufträge im Wert von 700 Millionen Euro vergibt der Sender im Jahr, von 2017 bis 2020 werden 40 Millionen Euro draufgelegt. Das ist kaum der Inflationsausgleich.

Die öffentlich-rechtlichen Sender zwingen die Produzenten zu schummeln. Und die geben den Druck an die Kreativen weiter. Seit der Änderung des Urhebervertragsrechts 2002 haben sie einen Anspruch auf faire Vergütung. Doch nur fünf Vergütungsvereinbarungen wurden zwischen Sendern, Produzenten und Kreativen seitdem geschlossen.

Viele Filmschaffende trauen sich nicht, die vereinbarten Honorare einzufordern. Sie haben Angst, nicht mehr beschäftig zu werden. Das weiß der Bundesjustizminister. Deshalb will er ein Verbandsklagerecht festschreiben. Die Produzenten wettern besonders gegen seinen Plan, dass sie jedem Kreativen künftig jährlich Auskunft über die Verwertung des mit ihrer Kreativität geschaffenen Werkes geben sollen. Damit sich nicht endlose Prozesse häufen, wie sie Jost Vacano, Kameramann des Klassikers »Das Boot«, gerade hinter sich hat. Nach jahrelangem Streit mit der Bavaria liegt der Vergleichsvorschlag eines Münchner Gerichts vor. Knapp 700 000 Euro stehen dem 84-Jährigen zu. Vacano ist kein Einzelfall. Die ARD vertröstet die Filmschaffenden seit Jahren, sie könne die Übernahmen von Produktionen innerhalb der Senderkette nicht abrechnen, da ihr die entsprechende Software fehle.

Doch trotz all der Widrigkeiten und Drehtagen, bei denen mehr als 13 Stunden täglich gerackert wird: Keiner will die Branche verlassen, fand Lisa Basten bei ihrer Befragung heraus.

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