Das falsche Spiel mit der Erdgas-Karte
Daniel Hiß sieht mit dem Ausbau der Erdgasförderung in Europa die Chancen schwinden, die Erderwärmung zu begrenzen
Erdgas als Partner der Erneuerbaren Energien und klimafreundliche fossile Brücke in eine regenerative Energieversorgung – diese Marketingsprüche der Konzerne sind längst zum Leitbild der Politik geworden. Und die Branche legt nach. Der deutsche Wirtschaftsverband Erdöl- und Erdgasgewinnung (WEG) hat in dieser Woche beim Jahrespressegespräch seine Botschaft klar formuliert: Erdgas ist und bleibt auf absehbare Zeit Energieträger Nummer eins. Daher gelte es auch die seit Jahren rückläufige heimische Produktion weiter zu fördern – und zwar durch ein Gesetz, das in Deutschland die Rahmenbedingungen für den Einsatz des umwelt- und gesundheitsgefährdenden Fracking schafft. Auch für die EU-Kommission ist Erdgas langfristig der wichtigste Energieträger in der Europäischen Union. Mit einem vergangene Woche veröffentlichten Maßnahmenpaket hat sie Richtlinien und Strategien auf den Weg gebracht, um die Versorgungssicherheit mit Erdgas zu gewährleisten. Das soll vor allem durch den Bau neuer Pipelines und Terminals für Flüssiggas, Diversifizierung der Erdgasimporte sowie die Förderung der heimischen Erdgasproduktion geschehen.
Vor allem die Vorstellung von Erdgas als Brückentechnologie kommt an – lässt sie doch den eingeschlagenen Weg der Energiewende nur halb so steinig und schwer erscheinen. All dem liegt allerdings ein großer Irrtum zugrunde: Erdgas ist nicht der erhoffte Klimaretter, sondern ein weiterer fossiler Klimakiller. Statt zur zeitlich befristeten Brücke taugt Erdgas wohl eher zur fossilen und unbegrenzten Stütze der konventionellen Energiewirtschaft. Sicher, in der Verbrennung erzeugt Erdgas weniger CO2 als Kohle. Der Klimavorteil gegenüber anderen fossilen Energieträgern gilt aber nur, solange Methanemissionen bei Produktion und Transport ausgeklammert sind. Methan ist um ein 30-Faches klimaschädlicher als CO2. Zudem zeigen Studien, dass Erdgas nicht nur Kohle, sondern auch Erneuerbare Energien vom Markt drängen würde. Ergebnis: Die CO2-Emissionen aus der Energieerzeugung steigen.
Daniel Hiß arbeitet beim Deutschen Naturschutzring zu den Themen Fracking, Bergbau und Ressourcenschutz.
Klimapolitisch fällt eine Erdgas-basierte Energiepolitik also sogar als »kleineres Übel« durch. Insbesondere vor dem Hintergrund des Klimaschutzabkommens von Paris sind die Pläne der EU-Kommission und auch die Pläne der Bundesregierung, in Deutschland Fracking den Weg zu bereiten, nicht nachvollziehbar. In Paris hat sich die internationale Staatengemeinschaft darauf verständigt, die Erderwärmung auf unter 2 bis 1,5 Grad zu beschränken. Damit ist ein guter Ausgangspunkt geschaffen, um die katastrophalsten Folgen des Klimawandels abzuwenden. Doch dem Bekenntnis zum Klimaschutz müssen konsequente Schritte folgen. Schon um das 2-Grad-Ziel zu erreichen, müssten weltweit 50 Prozent der bekannten Erdgasvorkommen im Boden bleiben. Für das 1,5-Grad-Ziel wären es sogar 75 Prozent der Vorkommen. Dennoch setzt die EU-Kommission alles auf die Erdgas-Karte und auch die Bundesregierung versucht nach wie vor das tote Pferd Fracking zu reiten.
Die gegenwärtigen Vorhaben zur Sicherung der Erdgasversorgung in der EU und auch das Fracking-Gesetzespaket der Bundesregierung widersprechen dem Geist des Klimaschutzabkommens von Paris und lassen Zweifel an dessen erfolgreicher Umsetzung aufkommen. Allen voran die EU-Kommission macht sich selbst unglaubwürdig: In eigenen Berechnungen kommt sie zu dem Schluss, dass Energieeffizienz die Erdgasnachfrage drastisch senken würde. Bislang ist die Kommission von 15,5 Prozent weniger Nachfrage nach Erdgas im Jahr 2030 ausgegangen – mit einem ehrgeizigen Energieeffizienzziel von 40 Prozent könnte die Nachfrage bis 2030 sogar um 42 Prozent sinken. Die EU-Kommission wirft nun aber all ihre Annahmen über Bord und schafft Anreize für milliardenschwere Fehlinvestitionen. Statt Investitionen in Energieeffizienz und Energiewende auszuweiten, begünstigt diese Politik Ausbau und Zementierung der fossilen Erdgasinfrastruktur. Auf diesem Weg können die globalen Klimaschutzziele allerdings nicht mehr erreicht werden.
Höchste Zeit also, dass sich internationale Gipfelversprechen und klimapolitische Sonntagsreden endlich auch in der Politik von EU-Kommission und Bundesregierung widerspiegeln. Höchste Zeit auch, alle Erdgas- und Fracking-Utopien zu begraben – am besten jetzt, ehe alle nachhaltigen Handlungspfade verbaut sind.
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