Chronik
Am 25. April 1986 soll mit einem simulierten Stromausfall nachgewiesen werden, dass das Kraftwerk Tschernobyl selbst genug Energie erzeugen kann, um die Notkühlung ohne Stromzufuhr von außen sicherzustellen.
Ab 1.00 Uhr nachts wird die Leistung von Block 4 heruntergefahren. Um 13.05 Uhr liegt sie bei 50 Prozent.
Um 14 Uhr wird das Notkühlsystem abgeschaltet. Kiew meldet erhöhten Strombedarf. Der Versuch wird um 9 Stunden verschoben; der Reaktor läuft weiter mit halber Leistung. Das Notkühlsystem bleibt abgeschaltet.
Um 23.10 Uhr wird das Experiment fortgesetzt. Der Reaktor soll auf eine Leistung von 25 Prozent heruntergefahren werden. Seine Minimalleistung liegt bei 20 Prozent. Dabei kommt es zu einem fatalen Fehler: Die Reaktorleistung sinkt um 0.28 Uhr auf 1 Prozent.
Um die Leistung wieder hochzufahren, beschließen die Techniker um 0.32 Uhr, Steuerstäbe auszufahren. Damit werden die atomaren Kettenreaktionen kontrolliert.
Um 0.43 Uhr wird ein wichtiges Signal blockiert, das bei Einleitung des Versuchs zu einer automatischen Notabschaltung geführt hätte.
Um 1.00 Uhr liegt die Reaktorleistung bei 7 Prozent. Der Reaktor dürfte nicht mehr betrieben werden. Durch die vielen ausgefahrenen Regelstäbe gibt es keinen Spielraum mehr, den Reaktor abzuschalten.
Um 1.03 Uhr werden jedem Kühlkreislauf die geplanten Pumpen zugeschaltet. Die Regelstäbe werden noch weiter herausgefahren. Druck und Wasserspiegel schwanken heftig; die Anlage befindet sich in instabilem Zustand.
Um 1.19 Uhr werden die Wasserzufuhr erhöht und Warnsignale überbrückt, die zu einer Abschaltung geführt hätten.
Um 1.23 Uhr beginnt der geplante Test. Die Turbinenschnellschlussventile werden geschlossen. Durch den steigenden Druck werden automatisch Regelstäbe ausgefahren. Der Wasserzufluss sinkt, die Temperatur steigt rapide an. Der Notschalter wird betätigt. Sekunden später erfolgen Alarmmeldungen. In 4 Sekunden schaukelt sich die Energieabgabe auf fast das 100-fache der Nennleistung auf. Die Schnellabschaltung hätte 18 bis 20 Sekunden gebraucht.
Eine unkontrollierte Kettenreaktion beginnt. In Sekunden wird extreme Energie freigesetzt, die den Reaktorkern zerstört. Bei mehr als 2000 Grad setzt die Kernschmelze ein.
Um 1.23 Uhr ereignen sich zwei Explosionen, durch die die tonnenschwere Abdeckplatte des Reaktorkerns in die Luft geschleudert und das Dach zerstört werden. Große Mengen radioaktiven Materials werden durch die Explosion und einen Brand freigesetzt, der erst zehn Tage später gelöscht werden kann.
Innerhalb von zehn Tagen wird eine Aktivität von mehreren Trillionen Becquerel freigesetzt. Die radioaktiven Stoffe kontaminieren vor allem die Region nordöstlich von Tschernobyl und viele Länder Europas.
Mehr als 330 000 Menschen werden nach dem Unfall evakuiert. Ein Gebiet von 150 000 Quadratkilometern wird radioaktiv verseucht.
Der Reaktorunfall wird auf der Internationalen Bewertungsskala für nukleare Ereignisse mit dem Höchstwert 7 als katastrophal eingestuft. A. Schneider-Solis
Das »nd« bleibt gefährdet
Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.