Arm dran in Neukölln und Spandau

Amt für Statistik legte regionalen Sozialbericht für Berlin und Brandenburg vor

  • Andreas Fritsche
  • Lesedauer: 3 Min.
14,1 Prozent der Berliner haben weniger als 60 Prozent des Einkommens der Mittelschicht. Sie gelten deswegen als arm.

Zur Familie B. gehören die Eltern und ihre zwei kleinen Kinder. Der Vater verdient als Dozent in der Erwachsenenbildung etwa 1600 Euro im Monat, die Mutter jobbt als Telefonistin und erhält rund 500 Euro. Dazu kommt das Kindergeld. Nur damit liegt das Haushaltseinkommen knapp oberhalb von 2186 Euro, unterhalb würden die B.s als arm gelten. Sie wissen, dass es anderen Menschen noch wesentlich schlechter geht als ihnen, doch ein Auto oder Flugreisen können sie sich nicht leisten.

In mancher Hinsicht sind die B.s typisch für arme Menschen in Berlin. So erhöhen Kinder das Armutsrisiko. In anderer Hinsicht ist die Familie untypisch, denn die Eltern haben einen Hochschulabschluss, was normalerweise das Armutsrisiko von allgemein 14,1 Prozent auf 6,4 Prozent vermindert. Nur 6,4 Prozent der Berliner mit hoher Bildung gelten als arm, dagegen 33,9 Prozent der Berliner mit geringer Bildung. Außerdem wohnen die B.s in Pankow, wo die Armutsquote bei nur noch 6,9 Prozent liegt - so niedrig wie in keinem anderen Berliner Bezirk. 2005 hatte die Quote in Pankow noch bei 13 Prozent gestanden. In Neukölln liegt sie über die Jahre nahezu unverändert bei 21,5 Prozent und damit an der traurigen Spitze.

Alle diese Zahlen stammen aus dem dritten Sozialbericht für Berlin und Brandenburg, der vom Amt für Statistik erstellt und am Donnerstag im Roten Rathaus vorgestellt wurde, zwei Tage nach dem Armutsbericht der Wohlfahrtsverbände für die gesamte Bundesrepublik. Die wesentlichen Daten stimmen ungefähr überein, der regionale Sozialbericht könne aber mit Daten aufgeschlüsselt nach Bezirken und Landkreisen aufwarten, hob Ricarda Nauenburg vom Statistikamt hervor.

Als armutsgefährdet eingestuft wird, wer mit weniger als 60 Prozent des mittleren Pro-Kopf-Einkommens seiner Nachbarn auskommen muss, Nachbarn sind hier im weitesten Sinne alle Berliner oder Brandenburger, oder doch nicht alle, denn es wird kein Durchschnittswert gebildet. Die Einkommensmillionäre bleiben bei der Berechnung außen vor. Gemessen wird also nicht der ungeheure Abstand der Armen zu den Reichen, sondern der zur Mittelschicht. Die Grenze liegt für Erwachsene in Berlin bei 841 Euro monatlich, für Jugendliche ist es die Hälfte, für Kinder unter 14 Jahren ein Drittel dieser Summe. Für Brandenburg wird die Armutsgrenze mit 848 Euro angegeben, für ganz Deutschland mit 917 Euro.

2003 hatte die Berliner Armutsquote 18,2 Prozent betragen statt jetzt 14,1. In Brandenburg waren 14,4 Prozent 2012 der Höhepunkt und nun sind es 13,4. Trotz der Besserung sagt Susanne Gerull, Professorin der Alice-Salomon-Hochschule: »Berlin wird nicht umhinkommen - vielleicht nach der nächsten Wahl - sich das Thema Armut noch einmal anzuschauen.« Ex-Sozialsenatorin Ingrid Stahmer (SPD), wie Gerull in der Armutskonferenz engagiert, fügt hinzu: Wenn Armutsberichte in der Verwaltung herumliegen, nütze dies nichts. Die Politik müsse handeln. Anzusetzen wäre für das Land bei Wohnen und Bildung. Im Moment schützt nur anständig bezahlte Erwerbsarbeit vor Armut. Die Sozialleistungen reichen nicht aus, erklärt Gerull. Aber das zu ändern wäre Sache des Bundes.

statistik-berlin-brandenburg.de/ home/regionalersozialbericht.asp

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