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Kulturhaus Rüdersdorf am Ende: »Es ging nie ums Durchhalten«

Stephen Ruebsam gibt nach drei Jahren die Leitung des Kulturhauses Rüdersdorf ab

  • Interview: Danuta Schmidt
  • Lesedauer: 10 Min.
Vergangene Schönheit: Das Kulturhaus Rüdersdorf steht inzwischen leer.
Vergangene Schönheit: Das Kulturhaus Rüdersdorf steht inzwischen leer.

Wie verbunden fühlen Sie sich mit Rüdersdorf und dieser Kulturinsel?

Ich fühle mich nach wie vor sehr verbunden. Schon zu DDR-Zeiten war das Kulturhaus der Kulturort im östlichen Randberlin, im Speckgürtel. Im Umkreis von 30 Kilometern gab es nichts Vergleichbares. Ich lebe hier schon lange und es bleibt auch mein Zuhause.

Was war das Schöne an Ihrer Arbeit?

Wir konnten ganz viele Formate neu entwickeln, konnten uns frei entfalten. Wir bekamen viel Vorschussvertrauen aus Verwaltung und Politik, der Gemeinde, dem Landkreis und vom Land Brandenburg.

Wo gab es Engpässe, was hat Sie und Ihr Team ausgebremst?

Der finanzielle Rahmen war immer so eng gesteckt, dass er eigentlich schon seit zehn Jahren nicht funktionieren konnte. Die aus dem Rathaus ausgegliederte GmbH musste und sollte wirtschaften, aber der Haushalt hat im Grunde nie für alle Gebäude, Park, Vereinsunterstützung und Veranstaltungen gereicht. So musste die Kommune immer Geld nachschießen, was sie sich nun nicht mehr leisten kann.

Das Kulturhaus ist seit Juni geschlossen. Es war bis dahin voller Leben. Vereine waren da, es gab Kino, Theater, Konzerte, Lesungen, eine Bibliothek, eine Musical-Company, Schüler-Theater … Wo sind sie alle hin?

Die Vereine und Künstler sind inzwischen in einem alten Schulgebäude im Ort untergebracht, können aber nicht mehr richtig proben oder gar auftreten und müssen durch die Gemeinde ziehen und auch Turnhallen nutzen. Der hiesige Kulturverein geht alle zwei Wochen zur Grünen Bühne nach Hellersdorf, im wöchentlichen Wechsel finden Proben und Auftritte dort mit einem Partnerverein statt.

Interview


Im Juni 2024 wurde das Kulturhaus Rüdersdorf als eines der letzten belebten Kulturhäuser der DDR für eine Generalsanierung geschlossen. Seither steht es da und wartet. Auf Geld. Die Schließung ist der erste Schritt zum Verfall, so wie wir das im Osten Deutschlands seit 35 Jahren erleben. Der Museumspark gleich nebenan wurde in den letzten Jahren sukzessive als Industrie-Architektur-Museum mit einer Schachtofen-Batterie, als Lost Place, als Safari-Gelände, als Veranstaltungsort für Musicals, Walpurgisnacht und Ostermarkt aufgebaut. Es gibt Tiere im Park, tolle Spielplätze, den Kanal zum Schippern. Eine exotische Foto- und Filmkulisse. Auch dort fehlen die Gelder, die Belegschaft wurde zu Jahresbeginn auf die Hälfte geschrumpft. Beide Spielstätten gehören der Gemeinde.
Stephen Ruebsam belebte als Kulturhaus- und Museumspark-Chef drei Jahre diese Orte. Am 1. Mai wechselt er zur Arche nach Neuenhagen.

Wie ist der Stand im Kulturhaus?

Das Haus ist komplett leergeräumt worden. Nur noch einzelne Scheinwerfer und der Vorhang hängen an der Bühne. Die Keller sind leer. Dort lagerte Ausstattung und Fundus seit der Eröffnung wie beispielsweise alte Banner aus den 1950ern, die Regale sind raus, Bücher, Pokale, restaurierte Möbel. Alles Bewahrenswerte wird in Rüdersdorf zwischengelagert und im Ort verteilt. So haben wir den alten Flügel mit einem großen Kran in den Veranstaltungsraum des Steigerhauses im Museumspark gebracht, mit ihm sind auch alle Saalstühle und Tische dort gelandet.

Gehen Sie seitdem noch ins Haus, und wie fühlt sich das an?

Das Haus ist inzwischen der Gemeinde zurückgegeben, ich gehe nur noch aushilfsweise ins Haus, um Architekten hereinzulassen oder Firmen zu zeigen, wo etwas ist. Ich bin wehmütig, wenn ich sehe, dass die Räume leer stehen. Am Ende ist es zu früh geschlossen worden, es hätte weiter bespielt werden können. Aber das konnte bei der Planung niemand ahnen, dass die Fördermittel so spät kommen.

Das Kulturhaus von 1958 wurde immer mal teilsaniert, das Parkett im Saal beispielsweise, auch die Möbel aus den 50ern. Warum stockt das Ganze jetzt?

Das Hauptproblem war ja, dass durch die Eingabe der Union beim Verfassungsgericht der Regierungshaushalt im November 2023 für verfassungswidrig erklärt wurde. Alle Bundesmittel wurden also neu geordnet, der Anteil zur Denkmalpflege wurde bundesweit zurückgezogen. Damit fehlte eine von drei finanziellen Stützen.

Wenn Häuser leer stehen, droht der Verfall …

Ich bin froh, dass es noch nicht passiert. Obwohl das Haus seit einem Jahr leer steht, wird es weiter behütet. Trotz der großen Glasflächen wurde keine Scheibe eingeschlagen, keine Beschmierungen, kein Graffiti. Man merkt, dass die Menschen in Rüdersdorf ihr Haus lieben und vermissen. Das Kulturhaus ist einfach ein Teil von Rüdersdorf.

Welche Zukunft sehen Sie für den Museumspark?

Die Gemeinde hat seit Anfang des Jahres nur noch knapp die Hälfte der Mittel für den Park übrig. Die weltweite Rezession macht insbesondere an einem Standort für Baustoffindustrie wie Rüdersdorf nicht halt. Gerade musste das Kalkwerk komplett schließen, auch die Zementindustrie hat es nicht leicht. So fehlen wichtige Gewerbesteuereinnahmen. Konnte die Kultur zuvor immer noch aus den Rücklagen der Gemeinde bestritten werden, wird die Finanzdecke nun immer dünner. Dadurch können die meisten Events nicht mehr stattfinden und ein wichtiger Bestandteil des Kulturtourismus fällt weg. Ich bin trotzdem dankbar, dass die Grundstruktur weiter gefördert wird. Aber mit den Mitteln bleibt nur noch Geld für den Rumpfbetrieb, also Grünpflege, musealer Betrieb und Raumvermietungen. Viele unterschätzen den Anteil des Kulturtourismus auf die lokale Wirtschaft – ich rechne mit einer Reduzierung der Gäste auf die Hälfte. Das sind dann auch halb so viele Menschen, die im Ort essen gehen, einkaufen oder gar überlegen, sich hier niederzulassen. Kultur ist einer der wichtigen weichen Faktoren der Entwicklung von Orten.

Wie kam es zu dem Schritt nach Neuenhagen?

Ich bin natürlich lange mit dem Gedanken schwanger gegangen, einen neuen Weg zu suchen, wo ich wieder Kultur machen kann. Dann kam die Ausschreibung der Arche. Durch meine Vernetzung habe ich mitbekommen, dass der Vorgänger geht. Ich komme an einen Ort, wo die Kultur bewusst hochgehalten wird.

Was reizt Sie da?

Dass ich ein soziokulturelles Zentrum führe an einem der wenigen Orte rund um Berlin, der ohne Eintritt eine Begegnungsstätte ist. Jeder kann die »Arche« frei betreten, so wie ein Kulturhaus früher funktionierte. Mit Angeboten für Familien, Senioren, Menschen mit Beeinträchtigungen – kurz: für alle. Da gibt es auch mal eine Party mit DJ nach Feierabend – und das ist dann bewusst kostenfrei. Das, wie natürlich auch die Open-Air-Konzerte mit Eintritt oder die Familienfeste inklusive Weihnachtsmarkt, werde ich bewahren und weiterentwickeln. Dem Internationalen Bund, der Betreiber im Auftrag der Gemeinde ist, ist dieser Begegnungsort so wichtig, dass auch die Kultur mal defizitär sein darf.

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Wie schwer fällt Ihnen der Abschied?

Sehr schwer. Weil ich natürlich einen wunderbaren Ort und ein wunderbares Team verlasse. Wir haben drei Jahre gekämpft um Ideen, Geld und Aufmerksamkeit. Wir haben viel investiert – vor allem Lebenszeit und Herzblut. Das Team ist natürlich total traurig. Die finanzielle Lage der Gemeinden wird in den kommenden Jahren wohl nicht besser – und ich habe für mich keine Perspektive gesehen, hier irgendwann mal wieder selbst kulturelle Inhalte gestalten zu können. Wenn du ein Kreativer, ein Kulturschaffender bist, lebst du so einen Ort zu 100 Prozent aus tiefstem Herzen. Tag und Nacht. Das ist dann irgendwie »positiver Stress«. Wenn es dann plötzlich nur noch 50 Prozent sind und die Herzblutanteile fehlen, bleibt nur noch der »fiese« Stress übrig. Da hast du dann bald keine Kraft mehr.

Abschied und Neubeginn, das ist Ihnen im Job nicht fremd. Sie haben ja auch versucht, das Schlossgut Altlandsberg drei Jahre (und während Corona) mit spannenden Inhalten zu füllen.

Das gehört zu meinem Leben. Ich war auch 25 Jahre meines Lebens selbstständig. Hochschulkommunikation war meine Aufgabe. Von der Wissenschaftskommunikation für die Berliner und Brandenburger Hochschullandschaft kam ich zur Kulturkommunikation und zu Events – und damit direkt in die Kultur. Es ging nie ums Durchhalten, sondern darum, sich zu entfalten und nach interessanten Lösungen und Wegen zu suchen. Du schaust immer, wo sich Chancen ergeben und Wege hinführen. Du schaust, was sich gut anfühlt. Das Wichtigste dabei: der Motor ist der Gestaltungswille.

Was ist das Potenzial von Kultur?

Es ist immer die Chance zum Diskurs und dafür, dass sich Menschen begegnen, dass Menschen beieinander sind. Schmerzlich vermisst wurde dies während der Pandemie. Weil Menschen sich verbinden, wenn sie gemeinsam lachen, singen, denken können. In Brandenburg ist es besonders im ländlichen Bereich wichtig, dass es kulturelle Leuchttürme gibt. Bei einem Flächenland braucht man auch alte Industriebrachen, Kirchen, ausgediente Orte, die man wieder füllt. Gerade im ländlichen Raum verliert man den Kontakt zueinander. Es fehlen die Begegnungsorte, die ein verbindender Faktor sind. Da gibt es auch in Ostbrandenburg schon viele Projekte, aber wie in Rüdersdorf fehlt die nachhaltige Finanzierung.

Aber Berlin ist doch ganz in der Nähe, die Hauptstadt, die Kulturstadt Deutschlands?

Berlin war nie der Sehnsuchtsort für die Brandenburger. Es kommt aus der Entwicklung in der DDR, wie Berlin versorgt wurde, und wie Brandenburg. In Berlin war immer alles da, anders als in den Bezirken. So was erzeugt auch Neid. Berlin war und ist nicht immer der Bezugspunkt für die Brandenburger. Es gibt stattdessen Kultur in den Städten in Ostbrandenburg, über das wir hier reden, zum Beispiel eine große Bühne in Schwedt oder ein Staatsorchester in Frankfurt. Im Speckgürtel vermischt sich das schon, da hier viele Familien aus Berlin vor die Tore der Stadt gezogen sind und nach wie vor Berlin im Fokus haben. Aber je länger man hier lebt, umso mehr möchte man auch von dem Ort erfahren, an dem man wohnt. Mit Nachbarn ins Kulturhaus gehen oder auf ein Fest. Und dafür braucht es Mittel der Gemeinden und Städte.

Wirtschaft und Tourismus – wo sehen Sie die Kultur?

Rüdersdorf, der Museumspark ist zu einem Besuchermagneten rund um Berlin gewachsen. Gerade Familien und Ausflügler kommen aus der Hauptstadt. Sie brauchen ein Ziel – und das könnte die Sommerfrische, ein Stück Kuchen und eine frivole Operette, das Kino unter freiem Himmel oder ein Familienfest mit Inhalten für Kinder sein. Wir haben hier Natur, Kultur und Gastronomie. Pflaumenkuchen und herzensgute Leute. Wir haben die Natur, die Berlin nicht hat. Seen, Wälder, Felder und Flüsse mit freiem Blick zum Horizont. Und mit Kultur gepaart wird das alles noch spannender. Die Kultur ist ein wichtiger Part, der den Tagesausflüglern einen Grund gibt, herauszufahren, die hektische Stadt hinter sich zu lassen.

Welches Know-how bringen Sie mit nach Neuenhagen?

Die Entwicklung von Veranstaltungsformaten und ein Gespür für Menschen und neue Ideen, wie sich Menschen begegnen können. Dazu kommt, dass ich Werbung und Marketing einfach selbst mitgestalten und grafische Konzepte entwickeln kann – auch da hapert es oft bei Kulturorten an Mitteln für externe Aufträge.

Welche Netzwerke sind schon da?

Das Freizeitmagazin »Auszeit« fürs Berliner Umland, das ich entwickelt habe, gestalte ich weiter in Rüdersdorf. Auch das Netzwerk bleibt, es hat nur ein anderes Zentrum. Ich konnte in Rüdersdorf viel zentrieren, weil wir viel Platz und Kraft hatten. Nun müssen wir gemeinsam in den Orten rund um Berlin neue Wege finden, dass wir diese Kraft nicht verlieren – aber ich bin zuversichtlich, dass wir weiter an einem Strang ziehen für die Kultur.

Was ist Ihr Ziel?

Neuenhagen ist ein gutsituierter Ort. Ein typischer Pendlerort, an dem viele Menschen noch vor die Tür gelockt werden müssen. Gerade die neu Zugezogenen kommen vom Arbeiten aus der Stadt, fahren ins Carport und machen die Jalousien runter. Das ist eine Herausforderung. Dafür hat die Gemeinde ein vor einigen Jahren neu eröffnetes Bürgerhaus geschaffen, in dem Veranstalter und Bibliothek schon für viel Programm sorgen. In Kombination mit den niederschwelligen Angeboten in der Arche hat das viel Potenzial. Das möchte ich ausbauen und gemeinschaftlich den Ort entwickeln, besonders für Kids und Familien.

Ihr Lebensmotto?

Alles wird gut.

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