Zahl der Asbest-Erkrankungen steigt

Berliner Kongress kritisiert ungenaue Krebs-Diagnosen und Entschädigungspraxis

  • Simon Poelchau
  • Lesedauer: 3 Min.
Durch Asbest Erkrankte und Experten verlangen mehr Aufmerksamkeit in der Öffentlichkeit für den krebserregende Baustoff. Dies war der Tenor auf dem ersten Asbestkongress des Vereins »Stiftung Lebensluft« in Berlin.
Die International Labour Organisation (ILO) hat kürzlich ein weltweites Verbot von Asbest gefordert. Doch dies scheiterte vor allem am Widerstand Kanadas, dem Hauptproduzenten der Mineralfasern. Kanada exportierte 2002 rund 230 000 Tonnen des krebserregenden Materials vornehmlich an Entwicklungsländer. Wie gefährlich Asbest ist, sollte auf dem ersten Asbestkongress des Vereins »Stiftung Lebensluft« deutlich gemacht werden, der am 11. und 12. November in Berlin tagte. Der Verein ist eine Initiative von Menschen, die entweder selbst von Asbest bedingten Krankheiten betroffen sind oder Angehörige haben, auf die das zutrifft. In Deutschland ist die Verarbeitung von Asbest zwar seit 1993 verboten - EU-weit allerdings erst seit 2005. Die Anzahl von Krankheitsfällen, die durch Asbest verursacht wurden, wird deshalb auch in Zukunft weiter ansteigen. Ein Grund dafür ist, dass die drei Krankheiten, die durch das Einatmen von Asbestfasern entstehen können - die Asbestose, das Mesotheliom und der Lungenkrebs - , oft eine extrem hohe Inkubationszeit von 30 bis 40 Jahren aufweisen, wie Prof. Dr. med. Hans-Joachim Woitowitz, Direktor der Poliklinik für Arbeits- und Sozialmedizin an der Universität Gießen auf der Tagung erklärte. Der Höhepunkt der Krankheitswelle wird für den Zeitraum 2015 bis 2030 erwartet. Experten gehen davon aus, dass in diesem Zeitrahmen in Europa bis zu 500 000 Menschen an Krebsarten sterben werden, die durch Asbest verursacht wurden. Auf dem Berliner Kongress erwähnten Mediziner, dass die Dunkelziffer dieser Krankheitsfälle sehr hoch ist. Vor allem beim Lungenkrebs werden häufig andere Ursachen angegeben. Wenn der Patient zum Beispiel Raucher ist, werde oft nicht mehr untersucht, ob der Krebs auch durch Asbest verursacht wurde. Zudem sei es keine Seltenheit, dass die ganze Familie erkrankt, wenn eine Person in der Asbestindustrie gearbeitet hat. So haben es Geschädigte oft schwer, die Krankheiten als berufsbedingt anerkennen zu lassen und Unterstützungsleistungen zu bekommen, erklärte Rechtsanwalt Rolf Battenstein in Berlin. Viele Kongressteilnehmer zeigten sich sehr besorgt, dass in vielen Gebäuden immer noch Asbest vorhanden sei. Oft wüssten Mieter nicht, dass ihre Wohnungen damit verseucht sind. Besonders gefährlich ist Spritzasbest, weil die Fasern bei dieser Verwendungsart leicht aufgewirbelt werden können, wie Karin Wüst vom Landesamt für Arbeitsschutz, Gesundheitsschutz und technische Sicherheit erklärte. Die Sanierung von Wohnungen, die mit Asbest kontaminiert sind, dürfen deshalb nur unter der Einhaltung von speziellen Arbeitsschutzmaßnahmen von eigens dafür registrierten Firmen durchgeführt werden. Es wird allerdings davon ausgegangen, dass die Zahl der illegalen Entsorgung von Asbest sehr hoch ist. Oft erfüllen auch die registrierten Unternehmen nur formal die Anforderungen für eine fachgerechte Entsorgung. Arbeitsschutz und Umweltschutz werden aus Kostengründen immer häufiger missachtet, wie es am Rande des Kongresses hieß. Die Folge ist, dass auch in Deutschland die Anzahl der Asbestkontaminierungen nicht abnimmt. Für die »Stiftung Lebensluft« war der Kongress ein Erfolg, weil durch die Anwesenheit von Betroffenen und Experten aus unterschiedlichen Bereichen das Thema in seinem ganzen Umfang diskutiert werden konnte. Auch freute man sich über die Anwesenheit von internationalen Gästen, denn ein wichtiges Anliegen der Teilnehmer ist die weltweite Vernetzung. Asbestbedingte Krankheiten seien schließlich ein globales Problem, das viel größerer Aufmerksamkeit bedarf. Weitere Tagungen dieser Art sollen folgen.

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