Wenn die Frauenärztin eine Schwangerschaft verkennt
Medizinrecht
Bei einer Ultraschalluntersuchung erkannte die Medizinerin die Schwangerschaft nicht, obwohl die Patientin tatsächlich zu diesem Zeitpunkt in der sechsten Woche schwanger war. Erst neun Wochen später erfuhr die Patientin, dass sie ein Kind bekam. Da war es für eine Abtreibung zu spät.
Sie verklagte die Medizinerin auf 25 000 Euro Schmerzensgeld und Kindesunterhalt. Die Frauenärztin hätte im November 2012 Urin und Blut untersuchen lassen müssen, meinte die Patientin. Dann wäre die Schwangerschaft erkannt worden, und sie hätte noch die Möglichkeit gehabt, einen Abbruch durchführen zu lassen.
Nach einem Urteil des Oberlandesgerichts Oldenburg vom 18. November 2014 (Az. 5 U 108/14) habe die Patientin jedoch keinen Anspruch auf Entschädigung. Eine Entschädigung stünde ihr nur zu, wenn eine Abtreibung im November 2012 rechtmäßig gewesen wäre. Rechtmäßig sei ein Schwangerschaftsabbruch aber nur, wenn dafür medizinische oder kriminologische Gründe vorlägen (zum Beispiel nach einer Vergewaltigung).
Wenn derartige Gründe fehlten, sei eine Abtreibung (gemäß Fristenlösung § 218a Abs.1 Strafgesetzbuch) nicht rechtmäßig, sondern lediglich straflos gestellt. Das bedeute: Wenn eine Frau ihre Schwangerschaft nach einer Beratung abbreche, handle sie in einer von der Rechtsordnung unerlaubten Weise, was aber strafrechtlich nicht verfolgt werde.
Ein Arzt, der eine Schwangerschaft verkenne und so den Abbruch gemäß Fristenlösung verhindere, schulde der Patientin keine Entschädigung, weil die Frau auch eine erkannte Schwangerschaft nicht rechtmäßig hätte abbrechen können.
Aufklärung des Arztes vor OP unzureichend
Ein kurzsichtiger Patient wollte besser sehen und seine Brille loswerden. Er ließ sich deshalb beide Augen lasern - doch die Operation misslang. Das hatte auch juristische Folgen.
Da nach der OP die Sehkraft des Patienten nicht besser, sondern um die Hälfte reduziert war, verlangte er Schadenersatz vom Augenarzt. Er habe ihn vor dem Eingriff nicht in gebotener Weise über die Risiken aufgeklärt. Hätte er darüber Bescheid gewusst, hätte er sich nicht operieren lassen.
Den Vorwurf wies der Mediziner zurück: Man habe die Operation ausführlich erörtert. Das Risiko einer unumkehrbaren Schwächung des Sehvermögens sei im Aufklärungsbogen benannt, den der Patient erhalten habe.
Der Patient hielt dagegen, der Augenarzt habe alles beschönigt und versichert, nach dem Eingriff werde er nur noch eine Lesebrille benötigen.
Mit Urteil des Oberlandesgerichts Koblenz vom 29. Oktober 2014 (Az. 5 U 732/14) bekam der Patient Recht. Der Patient habe der Operation zugestimmt, allerdings habe er sein Einverständnis auf Basis einer unzureichenden Information über die Risiken gegeben.
Ein Lasikeingriff könne zum Verlust an Sehkraft führen, im Extremfall bis hin zur Erblindung. Über so ein seltenes, aber sehr hohes Risiko müssten Augenärzte Patienten vor dem Eingriff umfassend aufklären. Ein schriftlicher Hinweis im Aufklärungsbogen genüge dafür nicht. Der sei allenfalls bei Routinemaßnahmen mit Massencharakter akzeptabel, zum Beispiel bei Impfungen.
Grundsätzlich müssten Operateure die Risiken eines Eingriffs mit den Patienten mündlich erörtern. So ein Gespräch habe zwar stattgefunden. Dabei habe der Augenarzt seiner eigenen Aussage nach allerdings nur die häufigsten Komplikationen einer Lasik erwähnt (zum Beispiel Entzündungen oder Narbenbildung). Damit werde jedoch für einen medizinischen Laien nicht klar, dass sich durch den Eingriff sein Sehvermögen erheblich und irreversibel verschlechtern könnte.
Zweifel daran, dass der Mediziner dem Patienten dieses Risiko deutlich gemacht habe, seien auch deshalb angebracht, weil im Dokumentationsblatt zum Aufklärungsgespräch davon keine Rede sei. Dabei zähle das Blatt andere Gesprächspunkte detailliert auf.
Alles in allem sei es dem Augenarzt nicht gelungen nachzuweisen, dass er den Patienten ausreichend informiert habe. Daher sei dessen Einwilligung in die Operation unwirksam, der Eingriff rechtswidrig erfolgt.
Patientin verliert zwei Nieren: unzureichende Diagnose der Ärztin
Ein 15-jähriges Mädchen, das unter krankhafter Fettsucht litt und rauchte, erschien bei der Hausärztin, die deutlich erhöhten Blutdruck feststellte und der Mutter erklärte, sie müsse den Blutdruck der Tochter regelmäßig kontrollieren lassen. Die Diagnose war allerdings unzureichend.
Die junge Patientin, deren Blutdruck zwischenzeitlich zu Hause nicht weiter kontrolliert wurde, kam nach zwei Monaten wieder in die Praxis und berichtete der Ärztin, sie sei in der Zwischenzeit wegen Kreislaufproblemen mehrfach bewusstlos geworden. Weil ihr Blutdruck immer noch viel zu hoch war, überwies die Hausärztin die Patientin zu einem Facharzt für Innere Medizin, um die Ursache dafür abzuklären.
Im Frühjahr 2002 stellte der Internist schließlich fest, dass beide Nieren der Patientin völlig zerstört waren (Schrumpfnieren). Zwei erfolglose Nierentransplantationen und weitere 50 Operationen folgten. Die Patientin muss ihr Leben lang zur Dialyse (Blutwäsche).
Von der Hausärztin verlangte sie 200 000 Euro Schmerzensgeld. Ihr Nierenleiden sei zu spät entdeckt worden, weil die Hausärztin die Patientin unzureichend untersucht habe, wurde der Anspruch auf Schmerzensgeld begründet.
So sah es auch das Oberlandesgericht Hamm mit Urteil vom 3. Juli 2015 (Az. 26 U 104/14). Die Hausärztin habe nicht genug unternommen, um die Ursache für den Bluthochdruck herauszufinden. Der könne durch verschiedene schwere Krankheiten ausgelöst werden (sogenannte sekundäre Hypertonie). Bei weit überhöhten Werten dürfe sich die Hausärztin nicht damit begnügen, Messungen anzubieten und die Patientin an einen Facharzt zu überweisen, der womöglich nicht sofort einen Termin frei habe.
Auch wenn sich die Patientin bei der Hausärztin eine Zeit lang nicht gemeldet habe, so dürfe die Ärztin nicht mit meiner Fortbehandlung warten. Sie hätte der Patientin und den Eltern klarmachen müssen, wie dringend es sei, den Blutdruck regelmäßig zu kontrollieren und so schnell wie möglich die Ursache abzuklären - zumal das Mädchen mehrmals in Ohnmacht gefallen sei, was ein weiteres Alarmzeichen war.
Angesichts der vorliegenden Situation hätte die Hausärztin selbst die Diagnostik vorantreiben oder die Patientin sogar in eine Klinik einweisen müssen. Dass sie die gebotenen diagnostischen Maßnahmen unterlassen habe, sei als grober Behandlungsfehler zu bewerten, so das Gericht. Wäre die Nierenerkrankung früher festgestellt worden, hätte wenigstens noch eine (wenn auch) geringe Chance auf Heilung bestanden. OnlineUrteile.de
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