Worüber reden die denn?
René Heilig zur Realitätsnähe der NPD-Verbotsverhandlung
Vorsicht, jetzt wird es realitätsfern. Doch man stelle sich einmal vor, im Verhandlungstag des Bundesverfassungsgerichts hätten nicht nur Heerscharen von Ministerialbeamten – vom Regierungsdirektor aufwärts bis hin zu diversen Innenministern – einen Platz gefunden. Nur mal angenommen, es hätten auch noch ein paar Opfer rechtsradikaler Schläger oder einige Flüchtlingsfamilien, denen man das Obdach angezündet hat, hineingelangt. Was würden die wohl sagen nach eineinhalb Verhandlungstagen? Vermutlich wären sie fassungslos ob der Metaebene, auf der hier debattiert wird. Das, was bisher in Karlsruhe besprochen wurde, hat nur wenig mit der Erfahrungswelt der Opfer rechtsextremistischer Täter zu tun. Obgleich der Bundesrat als Antragsteller des Verbots behauptet, sehr genau beurteilen zu können, was auf lokaler und regionaler Ebene los ist im Lande.
Bislang spielte aber genau das nicht einmal eine untergeordnete Rolle. Die NPD gibt sich weitgehend unschuldig an den vielerorts aufflammenden Pogromen. Und in der Tat ist es inzwischen kaum noch zu unterscheiden, wo der Einfluss der NPD aufhört und wo der anderer Hassprediger beginnt. Der einst rechte Rand hat sich in die Mitte der Gesellschaft ausgedehnt, der Rassismus, den man im Verbotsantrag der NPD zuschreibt, ist ausgeufert. AfD und diverse Pegidas, der »Dritte Weg« und »Die Rechte« haben das Regime übernommen.
Die Saat, die auch die NPD ausgebracht hat, ist aufgegangen. Ein Verbotsantrag gegen die Partei hätte 2003 vielleicht noch eine gewisse Wirkung gehabt. Doch die Chance ist vom Rechtsstaat vergeigt worden. Nun kommen die Bemühungen zu spät. »Wir sind das Volk« – dieser Ruf nach Demokratie ist längst zur Anmaßung jener geworden, die sie gewaltsam abschaffen wollen. Man sage nicht, die Krakeeler würden sich ja nur in Teilen gegen sie wenden. Demokratie gibt es immer nur ganz. Oder gar nicht.
Nun muss man – um in die Realität zurückzufinden – natürlich anerkennen, dass die Verhandlung vor dem obersten Verfassungsgericht keine Podiumsdiskussion im Speisesaal einer Volkshochschule in Hintertupfingen ist. Hier in Karlsruhe geht es um demokratische Grundrechte – um deren Bewahrung oder auch deren Aberkennung für eine Partei, die sich – das genau ist festzustellen – jenseits rechtsstaatlicher Wege bewegt. Das erfordert Sorgfalt und so hinterfragen die acht Richter eben auch recht gründlich die Argumente pro und contra NPD-Verbot. Ob das kommt, ist höchst ungewiss. Ob es jene beschützen, die unter Neonazis und »besorgten Bürgern« leiden, muss schon jetzt mit Nein beantwortet werden. Und das liegt im Zweifelsfall nicht an den Karlsruher Richtern. Denen ist es nicht gegeben, menschenfeindliche Ideologien aus vernebelten Hirnen zu treiben.
Doch wenn selbst ein angeblich erfahrene »Extremismus«forscher wie Professor Eckhard Jesse, der vor dem Bundesverfassungsgericht als »sachkundiger« Dritter aufgerufen wurde, der NPD keine Gewaltbereitschaft und kaum ideologische Wirksamkeit bescheinigt und ihr damit den Persilschein der Ungefährlichkeit ausstellt, dann muss man sich über den Zustand des Landes nicht wundern. Für Jesse wäre die NPD nur dann gefährlich, wenn »sie so groß wäre wie die PDS«. Es gibt, wie man sieht, verschiedene Möglichkeiten, ein sogenannter ewig Gestriger zu sein.
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