Es bleibt bei der Repression
UN-Suchtstoffbericht: Ein Viertel aller Europäer haben illegale Substanzen probiert
Marlene Mortler ist auf einem fränkischen Bauernhof aufgewachsen. »Ich weiß, welche Herausforderungen es immer wieder gibt, mein Einkommen und das meiner Familie auf legalem Weg zu erzielen«, sagte die Drogenbeauftragte der Bundesregierung bei der Vorstellung des Jahresberichts 2015 des Internationalen Suchtstoffkontrollrates am Mittwoch in Berlin. Ein gewisses Verständnis für Kleinbauern in der Dritten Welt schwingt da mit, die lieber Drogen anbauen als Lebensmittel, weil sie sonst nicht über die Runden kommen. Deshalb organisiere man weltweit Programme frei nach dem Motto »Kautschuk statt Koka«, um solchen Bauern eine legale Alternative zu ermöglichen.
Der Konsum und daher auch die Nachfrage nach illegalen Drogen ist nach wie vor hoch. Die Nummer eins bleibt weltweit Cannabis. In den USA etwa kiffen 11,6 Prozent der Bevölkerung. Ähnlich verbreitet ist der Drogenkonsum in Europa: Fast ein Viertel der Erwachsenen hat in der EU zumindest einmal im Leben eine illegale Droge zu sich genommen. Mit 19,3 Millionen Konsumenten war Cannabis vergangenes Jahr die am häufigsten konsumierte Droge, gefolgt von Kokain (3,4 Millionen), Ecstasy (2,1 Millionen) und Amphetaminen (1,6 Millionen).
Mittlerweile kann man diese Substanzen auch auf mehr als 600 Webseiten im Internet bestellen. Zudem werden die in West- und Mitteleuropa verfügbaren Drogen reiner und in ihrer Wirkung stärker. Ein besonderes Problem in Europa stellen laut dem Suchstoffkontrollrat neue psychoaktive Substanzen dar, die in vielen europäischen Ländern »eine Bedrohung der öffentlichen Gesundheit« seien. Allein 2014 wurden 101 solcher Drogen erstmals über das Frühwarnsystem der EU gemeldet.
Angesichts des weltweit anhaltend hohen Konsums und der Opfer, die der »Krieg gegen Drogen« bisher verursachte, fordert der ehemalige UNO-Generalsekretär Kofi Annan eine radikale Abkehr von der bisherigen Drogenpolitik. »Wir müssen die totale Unterdrückung von Drogen als Ziel aufgeben, denn wir wissen, dass sie nicht funktionieren wird«, schrieb Annan jüngst in einem Gastbeitrag im »Spiegel«. Schließlich bedürften Drogen staatlicher Regulierung, gerade »weil sie so gefährlich sind«. Und: »Ein geregelter Markt ist kein freier Markt.« Dass man den Drogenhandel nicht dem freien Spiel der Kartelle überlassen muss, beweist unter anderem der US-Bundesstaat Colorado. Dort kann Cannabis mittlerweile auch für den Freizeitkonsum legal erworben werden. Vergangenes Jahr nahm Colorado dadurch rund 135 Millionen Dollar an Steuern ein.
Beim Suchtstoffkontrollrat will man jedoch nicht so weit gehen. Dort stellt man zwar fest, dass die internationalen Drogenkontrollabkommen nicht zu einem Krieg gegen Drogen bevollmächtigen. Aber: »Es ist nicht so, dass sich die Welt zwischen einer ›militarisierten‹ Strafverfolgungspraxis bei Drogendelikten einerseits und der Legalisierung von Drogen zu nicht-medizinischen Zwecken andererseits entscheiden müsste«, sagt dessen Präsident Werner Sipp. Will heißen: Konsumenten sollen nicht unbedingt kriminalisiert werden, das Verbot illegaler Drogen soll aber aufrecht erhalten bleiben. Lieber empfiehlt der Kontrollrat präventive Maßnahmen wie Erziehung, Therapie und soziale Reintegration.
Und wie sieht das die Drogenbeauftragte? Krankenkassen sollten die Möglichkeit bekommen, »für schwer kranke Patientinnen und Patienten die Kosten für Cannabis als Medizin zu übernehmen«, so die CSU-Frau. Weiter will Mortler nicht gehen. Zwar sprach sie von einer sehr engen Zusammenarbeit in der Drogenpolitik innerhalb Europas. Vorstöße zur Entkriminalisierung weicher Drogen wie in Spanien und Portugal meinte sie damit aber eher nicht.
Annans Einschätzung, dass »der Eintrag im Strafregister für ein kleines Drogenvergehen für einen jungen Menschen eine viel stärkere Bedrohung seiner Zukunft bedeuten« könne als der gelegentliche Drogenkonsum, teilt Mortler in Bezug auf Deutschland nicht. Neben Prävention, Beratung und Behandlung gehöre die Repression zu den vier Säulen der Drogenpolitik, erklärte sie. Schließlich habe sie bis heute von keinem »glaubwürdigen Beispiel« eines jungen Menschen gehört, »der sein Leben lang davon geprägt war, weil er einmal erwischt wurde«.
Ob Strafen etwas bringen, steht jedoch auf einem anderen Blatt. Hierzulande können Staatsanwälte von einer Verfolgung »geringer Mengen« absehen, müssen dies aber nicht. Was eine »geringe Menge« ist, bestimmen die Länder. Dies reicht von drei Konsumeinheiten Cannabis in Bayern bis hin zu 15 Gramm in Berlin. Doch gibt es immer mehr Stimmen, die eine weitere Entkriminalisierung fordern. Ein dabei immer wieder vorgetragenes Argument: Die Kosten der Verfolgung weicher Drogen überstiegen deren Nutzen.
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