Ohrenbetäubende Stille
Nach dem Anschlag auf eine Flüchtlingsunterkunft berichtete die Welt über Bautzen. In der Stadt schweigen viele
»Orr, gucke mal, ein Neger.« Was war das für ein Anblick, wenn sich mal ein nicht-weißer Mensch in die Stadt verirrte. Wie wir uns die Köpfe hinter dem Fremden zusammensteckten und kicherten. Ein Feixen der Verachtung. Springerstiefel-Nazis waren schon damals, zu Beginn der 2000er Jahre, scheiße. Klar. Aber ein Schwarzer, den wir aus Unwissenheit so nie genannt hätten, galt als nicht gleichwertig genug, um ernst genommen zu werden. Kommentiert mit anrempelndem Gegluckse. Und alle rempelten mit.
Bautzen taumelt. Die trutzige Stadt, die 1429 vom emporsteigenden Granitfelsen dem Hussitenansturm trotzte, weiß nicht, welche Schlüsse sie aus dem abgefackelten Dachstuhl des ehemaligen Hotels »Husarenhof« ziehen soll. Zwischen dem »Jetzt erst recht!« des zuversichtlichen Oberbürgermeisters und »Wir müssen hier weg«-Aussagen Einzelner schwankt das Bürgertum in so ziemlich alle Richtungen. Das Feuer, das absichtlich in der noch leer stehenden Flüchtlingsunterkunft gelegt wurde, wirkt benebelnd wie ein Haken ans Kinn derjenigen, die aus heiterem Himmel mit den Flammen und der internationalen Berichterstattung konfrontiert wurden.
Veselin Popovic ist gebürtiger Bautzener. Er wuchs in der Stadt an der Spree auf, lebt inzwischen aber in Berlin. Dennoch hat er weiter engen Kontakt zu seiner Heimatstadt. Mit seinem Internetblog lauterbautzner.eu begleitet er seit Jahren die Stadtpolitik und den Fußballverein Budissa Bautzen; er setzt sich mit Rechtsextremismus und Defiziten in der Bildungspolitik auseinander, äußert sich zu landespolitischen Fragen und Problemen der Stadtentwicklung.
In seinem Text »Ohrenbetäubende Stille« zeichnet er nach dem Brandanschlag auf eine geplante Flüchtlingsunterkunft ein Psychogramm der Stadt. Anhand eigener Erfahrungen aus seiner Schulzeit geht er auf emotionale Weise der Frage nach, wie eine Stadt sich mit Anzeichen von Fremdenfeindlichkeit arrangiert und wie dabei eine Kultur des Wegsehens entsteht. Der Text erscheint hier mit freundlicher Genehmigung des Autors gekürzt und leicht bearbeitet. Vollständig lesen kann man ihn unter dasND.de/lauterbautzner.
Ein Anzug. Jackett recht weit geschnitten. Die Knopfleiste bis zur letzten Möglichkeit geschlossen. »Wie sieht denn bitteschön das aus?«, knallte es mir wie ganz selbstverständlich aus dem näheren Familienkreis entgegen. »Wie so ein Sorbe!« Dass Sorben vom Dorf kamen, war klar; dass sie sich nicht anständig kleiden konnten nun auch. Überhaupt haftete diesem Sorbischen etwas Rückständiges an. Das lag vielleicht auch an der Sprache, die irgendwas mit Osteuropa zu tun hatte. In Tschechien gab’s billiges Essen, in Polen Leute, die klauten. Weitere Schlüsse über den Umweg der slawischen Sprache zu ziehen, lag da natürlich nah. Ansonsten spielte die Minderheit, außer vielleicht am Ostersonntag, wenn sie lustig auf dem Osterpferd hoppelte, keine Rolle. Aber wenn, dann in Verbindung mit hochgezogener Augenbraue und leicht wiegendem Kopf.
»Wie konnte denn das alles nur passieren in unserer kleinen, ruhigen, schönen Stadt?«, fragte mich eine ältere Dame mit Blick auf die verkohlten Dachbalken des »Husarenhofs«. »So ruhig«, erwiderte ich, »war es hier leider nie.« Im dichten Schneeflockenwirbel verwies die Bautzenerin auf die DDR-Zeit und darauf, dass es damals so etwas nie gegeben habe. »Wo soll das alles noch hinführen?« Ich wusste darauf keine Antwort.
Zigaretten holten wir eigentlich immer bei den Fidschis. Gab ja auch sonst keine anderen Menschen, so kurz hinter der Grenze, bei Sohland. Tschechen, die sah man vielleicht in den Tankhäuschen oder in den vereinzelt betriebenen Gaststätten. Tschechien war in der Hand von kleinen, fleißigen, aber doch immer für anrüchig gehaltenen Menschen, die kostenlos Feuerzeuge verteilten und dabei lächelten. »Fidschi« - kein Vokabular, das große Schwierigkeiten im Familien- und Schulumfeld auslöste. Wussten ja alle, wer gemeint war.
»Warst du schon gucken?«, fragte ich eine Bekannte mit vorsichtigem Blick, drei Tage nach dem Brand. »Nein. Morgen vielleicht.« Nicht wenige Bautzener standen in diesen denkwürdigen Tagen noch nicht an der Ruine. Es gibt anscheinend Wichtigeres. Ein Beben der Entrüstung jedenfalls ist in der Stadt, in der ich über 20 Jahre lebte, nicht zu vernehmen.
Beim Frisör mit 14. Frisörmeister: »Der Typ vor dem Fenster gerade, der geht bestimmt ins Steinhaus.« Ich: »…« (leichtes Nicken) Frisör: »Und jetzt mal bitte den Kopf etwas nach vorn und stillhalten.« Ich: »…«
Klar wusste ich, ohne den Blick vom Spiegel zu nehmen, wer sich da auf dem vermeintlichen Weg ins größte Jugendzentrum der Stadt befand: ein Punker mit Iro. In speckiger Lederjacke, mit Nieten. Bier in der Hand und eine Ratte auf der Schulter. Sicher verlaust, beide. Ich war bis zu meinem 18. Lebensjahr nie im Steinhaus. Wusste aber durch Erzählungen, wie es da zuging. Übel natürlich.
Dieser Tage ist die Stadt merklich voller als an anderen Tagen. Im trüben Februar verirren sich sonst nur wenige Touristen nach Budyšin. Der halbe Erdball berichtet über Bautzen. Über die rassistischen Ausschreitungen, über das braune Sachsen und über das noch braunere Ostsachsen. Der noch ziemlich neue erste Repräsentant der Stadt möchte diesen Blick auf seinen Ort korrigiert wissen und reist dafür in Sendestudios weit im Norden der Republik oder sagt in so ziemlich jedes Mikro, dass man sich den Ruf nicht von »Hohlköpfen« diktieren lassen würde. »Die Diskussionen zum Thema Asyl wurden in letzter Zeit immer sachlich geführt.«
»Überlegt euch doch mal eine Aufgabe.« Verdutzt schauten wir uns an. Hatte uns der Direktor gerade wirklich ernsthaft dazu aufgefordert, uns selbst etwas für den Unterricht auszudenken, nur weil die Lehrerin krank ist? »Bekommen wir dafür Geld?«, war unsere einhellige Reaktion. Bekamen wir natürlich nicht. Mittelschule bedeutete für uns, das Zeug, das an der Tafel stand, abzuschreiben und zum Tag X auswendig gelernt auf ein Blatt zu kritzeln. Andere Ansprüche hatten wir nicht. Andere Ansprüche hatte niemand innerhalb dieser Bildungseinrichtung. Aktuelle Themen? Wurden auf dem Pausenhof behandelt, ohne die ehemaligen Kumpels aus der Hauptschule. Das waren jetzt Assis. Loooooser. Nazis.
Botschaften, die sich explizit für die menschenwürdige Behandlung von Flüchtlingen aussprechen, gibt es. Sie kleben an Straßenschildern, Stromkästen. Und werden abgekratzt. »Willst du ein paar aufs Maul?«, soll ein Mann reagiert haben, als er von einer Passantin gefragt wurde, was er denn da tue, mit seinem Schlüsselbund am »Refugees Welcome«-Aufkleber. »Das geht dich einen Scheiß an, verpiss dich!« Der massige Mann in luftiger Cargohose und mit dicker Gürteltasche zählt wohl zu jenen wenigen »Hohlköpfen«, die dem Stadtnamen etwas Böses wollen. An einem nieselwettrigen Nachmittag Ende Januar will einer von ihnen vor allem der mutigen Frau etwas Böses.
»Manchmal ist das alles zu viel. Manchmal überlege ich mir, ob ich einfach weggehe.« Diese Aussagen kommen von ganz tief unten. Nicht einfach so dahin gesagt, weil ein H&M fehlt. Das Gefühl der Ohnmacht steht dem jungen Mann ins Gesicht geschrieben. »Aber dann denke ich, ich kann die Leute hier nicht im Stich lassen.« Gute Musik hilft ihm, Kraft zu tanken im ständigen Kampf gegen die rassistischen Zustände in Bautzen. »Als wir letztes Jahr von etwa 20 Faschos gejagt wurden, war das krass. Erleben möchte ich das nicht noch einmal.« Aber nicht nur die gewalttätigen Katz-und-Maus-Spielchen zehren an den Kräften. Für Gegendemos mobilisieren, um Flüchtlinge kümmern und dann noch 40 Stunden arbeiten. Der überschaubare Kreis an Engagierten, der in der Kreisstadt eher im Hintergrund agiert, kommt kaum mehr raus aus dem roten Bereich. Die Straße hat man mittlerweile den verschiedenen Widerstands- und Wehrsportgruppen überlassen.
Im Laufe des Sonntags der Schande versammelten sich etwa 300 Menschen zu einer von »Bautzen bleibt bunt - Budyšin wostanje pisany« angekündigten Mahnwache. Dass sich nicht mehr Bürger am Käthe-Kollwitz-Platz trafen, lag wohl daran, dass die Einladung zur Demo nicht alle in so kurzer Zeit erreichte. In Bautzen braucht es eine schriftliche Einladung zur öffentlichen Empörung. Unmittelbar zum stummen Protest gesellten sich auch bekannte Neonazis. Revier markieren, Antifaschisten beobachten, Angst verbreiten. »Wenn Häuser brennen, darf man nicht klatschen«, stand auf einem Plakat in Sichtweite zum verkohlten Giebel. Ob diese dunkel gekleideten Männer unter ihren tiefen Mützen applaudierten, ob sie sich über den Schutthaufen scheckig lachten, ob sie ein Liedchen trällerten über die nun nicht mehr einziehenden Flüchtlinge - es ist anzunehmen. Ein lautes »Haut ab, haut ab, haut ab!« der anwesenden Bestürzten vernahm ich nicht. Auch ich blieb stumm.
Dieses Stummbleiben hat die Stadt mit ihren geraden Hecken und sauberen Straßen in den letzten zwei Jahrzehnten kultiviert. Dafür steht stellvertretend meine Geschichte. Ich maße mir an, wesentliche Teile meiner biografischen Erfahrungen auf viele Bautzenerinnen und Bautzener zu projizieren. Denn vieles, was ich vor zehn Jahren dagelassen habe, als ich die Stadt verließ, um zu studieren, finde ich noch heute nahezu unverändert vor. Im Gegensatz zu damals schreit mich die Ruhe nun aus vollem Halse an. Sie dröhnt förmlich, weil ich weiß, dass vielen Menschen dieser verheerende Brandanschlag am Arsch vorbeigeht. War ja nicht das eigene Haus, das da brannte. Sind ja nicht ihre Bekannten, die nun nicht mehr einziehen können. Ist ja nicht ihr Krieg, vor dem die Menschen fliehen. »Wir haben hier auch Probleme!«
Dass die 40 000-Einwohner-Stadt lange Zeit diese für viele Einwohner angenehme Ruhe versprühen konnte und nur dann laut wurde, wenn ein Tor für die Budissa-Fußballer fiel oder die NPD Wahlkampf machte, lag daran, dass es hier nie einen linken Mainstream gab, der sich mit den zivilen Demokratiefeinden auseinanderzusetzen vermochte. Als ich das Internetblog »Lauter Bautzner« aufbaute, wurde mir einmal vorgeworfen, dass ich überall nur Faschos und Rassisten sehe, wo doch gar keine seien. Ein kleiner Witz über Sorben, ein Zwinkern im Angesicht eines Schwarzen - was macht das schon?
Wenn aber ein lang gedienter CDU-Bürgermeister nach der Ankündigung des Landrats, Flüchtlinge in Bautzen unterzubringen, vom »Schlag ins Gesicht« redet; wenn ein Gemeindevorsteher bei Bautzen fordert: »Deutsche Kinder zuerst«; wenn der CDU-Kreisverband nach Heidenau die »Linksextremisten« rügt; wenn der Geschäftsführer einer Baufirma von zu vielen Ausländern spricht; wenn Bürgerversammlungen im Tumult enden und abgebrochen werden müssen; wenn der erfolgreichste Fußballverein der Stadt Naziordner beschäftigt und keine Reaktion auf rassistische Äußerungen weiß (ausgenommen der Trainer!); wenn ein Stadtverordneter der LINKEN »keine Asylanten« in seinem eingemeindeten Dorf möchte; wenn der Chef des CDU-Stadtverbands Asylbewerber mit Autoknackern in einer Überschrift nennt; wenn die Betreiber der Stasiknast-Gedenkstätte Gewalttaten auf Flüchtlinge relativieren; wenn ein Pegida-Hetzer von der »Sächsischen Zeitung« als »Querkopf« verharmlost wird; wenn der »Oberlausitzer Kurier« Tunesien fernab jeder Realität als sicheres Herkunftsland klassifiziert; wenn Schulen faschistische Kriegsverbrecher und Nazi-Lehrer ehren - dann hat Bautzen und sein Umfeld logischerweise ein systemisches Problem mit Fremden und damit, deren (organisierte) Feinde zu erkennen. »So lange die unter sich bleiben, ist doch alles in Ordnung.«
Im Schatten dieser Äußerungen wurde ein Klima geschaffen, in dem sich damals wie heute militante Neonazis ausbreiten und vernetzen können. Als etwa die mittlerweile verbotenen »Spreelichter« 2011 in 200-Mann-Stärke mit weißen Masken, Fackeln und Bengalos durch die Stadt spazierten und nebenbei noch ihren viralen YouTube-Hit »Werde unsterblich« aufnahmen, schwiegen, bis auf die »Sächsische Zeitung«, alle. Millionenfach wurde der Clip im Netz geteilt, heruntergeladen, bejubelt - die Bewegung der »Unsterblichen« feierte in Bautzen fröhliche Urständ und war damit Vorbild für deutschlandweite Aktionen. Die Bautzener Schulen, auf deren Schulhöfen dem Steinhaus noch immer der Ruf einer verlausten Zeckenhöhle vorauseilt, thematisierten dieses Video nie. Genauso wenig wie den Brand im »Husarenhof« und die applaudierenden Fans.
Über Bautzen indes diskutiert derzeit die ganze Welt, nur im Ort des Geschehens selbst wollen beispielsweise Schulen nicht über die Welt da draußen reden, sich mit ihr auseinandersetzen. Sicher ist es keine Budyšiner Spezialität, wenn in einer Bildungseinrichtung das Tragen von »Refugees Welcome«-Button untersagt wird, weil sich der lümmelnde Jungnazi vom bunten Sticker gestört fühlt. Aber es passt sich geräuschlos in das Bild einer zutiefst verunsicherten oder desinteressierten Stadt ein, die es in der Vergangenheit verpasst hat, durch Meinungsaustausch und Teilhabe den dort lebenden Menschen ein wehrhaftes Demokratieverständnis zu verpassen.
Die Angst vor reflektierter Auseinandersetzung, die Unfähigkeit dazu sitzt womöglich noch tief in der Wendegeneration und wird weitergegeben. Was man nicht übt, wird man auch nicht können. Da werden eben mal ein antisemitisches Graffito in der Innenstadt, eine rassistische Demonstration in unmittelbarer Nähe zur Shoppingnacht, der NS-Jetzt-Aufkleber am Stromkasten, der Überfall auf Antifas, Flüchtlinge und Roma, eine verhinderte Zusammenkunft von Engagierten, ein brennender Dachstuhl von der großen Mehrheit nicht als Anschläge auf die zivilisatorischen Werte unserer Gesellschaft wahrgenommen, sondern bestenfalls wegen Ruhestörung oder Sachbeschädigung zur Anzeige gebracht. Wenn solche pointierten Nadelstiche, solche gezielten Angriffe auf Menschen, auf das Grundgesetz nicht als solche erkannt und gekontert werden von Familie, Freunden, Stadt, Medien, Schulen, Kultureinrichtungen, Sportvereinen usw., dann ist der Großteil der Stadt schwer defekt. Bei der letzten Landtagswahl 2014 stimmten in Bautzen 25 Prozent der Wähler für AfD oder NPD.
Bautzens Zivilgesellschaft benötigt dringend einen demokratischen Neustart. Noch gab es keine Toten.
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