Sich mit den Mächtigen anlegen
Investigative Journalisten, Whistleblower und Hacker sind natürliche Verbündete in Sachen Informationsfreiheit
Herr MacFadyen, Sie laden in einer Woche hunderte investigative Journalisten und Hacker nach Berlin ein. Ist die deutsche Hauptstadt ein guter Ort »die Macht herauszufordern«?
Ja, Berlin ist ein ausgezeichneter Ort dafür. Die journalistische Qualität wird hier sehr hoch gehalten. Gleichzeitig gibt es eine sehr aktive technische Community, wie beispielsweise den Chaos Computer Club. Während der vergangenen 25 Jahre ist in Berlin eine sehr aktive und einzigartige Computerszene herangewachsen. So etwas gibt es kein zweites Mal in Europa. Die wiederum unterstützen die Journalisten mit ihrem Wissen - was ihre Sicherheit und ihre Storys betrifft.
Was haben Hacker, Whistleblower und Journalisten gemeinsam?
Hacker werden immer öfter zu Opfern des Systems. Sie sind das Ziel zahlreicher Angriffe von Regierungen und Unternehmen, werden in den Selbstmord getrieben oder für Jahrzehnte ins Gefängnis gesperrt. Hacker werden dafür angegriffen, wofür auch Journalisten fertiggemacht werden. Beide Gruppen haben ein Ziel: Sie wollen die Informationsfreiheit weltweit stärken. Sie müssen sich deshalb in der heutigen Welt gegenseitig helfen.
Wie genau arbeiten Hacker mit Journalisten zusammen?
Hacker und Whistleblower stellen nicht nur Informationen ins Netz oder hacken Großcomputer, sondern sie können Journalisten auch vor Überwachung schützen. Denn die Privatsphäre, die es früher gab, existiert einfach nicht mehr. Hacker werden deshalb immer wichtiger. Sie haben das Wissen und die technische Praxis, den verlorenen Schutz für Journalisten wieder herzustellen. Deshalb müssen Journalisten und Hacker Werte wie Pressefreiheit und die Freiheit zur Verbreitung von Informationen gemeinsam verteidigen.
Sie arbeiten seit über 30 Jahren als investigativer Journalist - was hat sich in den vergangenen Jahrzehnten verändert?
Vor 30 Jahren war investigativer Journalismus ein Mainstream-Phänomen. In fast allen Mainstream-Medien und Sendern gab es Journalistenteams, die ausschließlich für investigative Berichterstattung zuständig waren. Ich habe für viele solcher Programme für diese großen Medien gearbeitet. Die Redakteure wurden von ihren Zeitungen und Sendern selbst zu investigativen Journalisten ausgebildet. Die Kompetenzen waren dementsprechend exzellent. Das alles gibt es so nicht mehr. In Frankreich und in Deutschland findet man noch investigative Berichterstattung bei vereinzelten Medien, aber in Großbritannien und den USA gibt es in den großen Medien nichts mehr dergleichen.
Woran liegt das?
Der Druck auf die Medien ist zu groß. Wenn Einschnitte gemacht werden müssen, dann streicht man zuerst bei den Investigativen. Denn sie sind am teuersten: Sie brauchen viel Zeit und Geld.
Dafür gibt es immer mehr Medien-Startups, wie Correctiv in Deutschland oder Mediapart in Frankreich, die abseits der großen Medien fleißig recherchieren.
Ja, das ist eine interessante Entwicklung. Die Mainstream-Medien sind oft sehr konservativ und haben große Angst vor dem Staat. Sie wissen, dass es sehr gefährlich ist, Missstände in der Regierung öffentlich zu machen. In Deutschland ist man im Vergleich zu anderen Ländern noch vergleichsweise mutig. Bei uns ist das ganz anders: Große britische Medien wie der linksliberale »Guardian« haben Dokumente von Edward Snowden zugespielt bekommen. Aber wenn es schwierig wird, machen sie immer einen Rückzieher. In diesem Fall gab es enormen Druck von den USA und dem britischen Geheimdienst, die Papiere nicht weiter zu veröffentlichen. Seit Monaten und mittlerweile Jahren haben sie nichts mehr von Snowden publik gemacht - dabei könnten sie Dokumente innerhalb von wenigen Minuten haben.
Heute ist es also gefährlicher als früher, investigative Storys zu recherchieren?
Ja, in vielen Teilen der Welt ist es verdammt gefährlich. Wenn Sie als Journalist nach Afghanistan, Syrien, nach Jemen, Lateinamerika oder in viele afrikanische Länder fahren und eine Story machen, besteht Gefahr für Leib und Leben. In Europa und den USA haben sie subtilere Methoden der Einschüchterung, als in anderen Teilen der Welt. Der Grad der Überwachung ist sehr hoch und jeder Zivilist inklusive der Journalisten wird zu einem potenziellen militärischen Ziel. Gefährlich ist es also überall, wenn man sich mit den Falschen anlegt.
Besonders die USA sind bei Whistleblowern für ihre Härte bekannt.
In den USA sitzen viele Hacker im Gefängnis. Oft haben sie nur kleinere Sachen publiziert, wie Unterlagen von Universitäten. Andere haben sich wirklich mit der Regierung angelegt und sitzen wie Chelsea Manning nun für 35 Jahre im Gefängnis. Das ist nur einer der bekanntesten Fälle, aber es gibt Hunderte. Die Strafen für Hacker und Journalisten werden immer strikter, gleichzeitig hört man von diesen Vorfällen immer weniger. Und auch in den USA werden Journalisten immer noch auf offener Straße erschossen.
Journalisten genießen einen rechtlichen Schutz im Sinne der Pressefreiheit - wie sieht es mit Whistleblowern und Hackern aus?
Schlecht. Vor allem Deutschland hinkt bei beim rechtlichen Schutz immer noch hinterher. Der Status von Whistleblowern und Hackern ist hier sehr schwach. Derzeit gibt es die große Debatte, ob diese beiden Gruppen auch unter den Paragrafen der Pressefreiheit zu fassen sind. Besonders Hacker werden aber oft als Staatsfeinde wahrgenommen - vor allem in den USA. Selbst wenn sie der Gesellschaft wirklich nützliche Informationen geben, leben sie sehr gefährlich.
Haben Sie einen Rat für Journalisten, die investigative Recherchen machen wollen?
Wenn Sie Enthüllungsjournalist sind, müssen Sie ihre Tür immer offen lassen. Das heißt, dass Menschen, die geheime Informationen haben, jederzeit zu ihnen kommen können und sich sicher fühlen. Sie müssen einen Sinn dafür entwickeln, wo etwas falsch läuft, und sich dann Fragen stellen. Es geht darum, Lügen und Täuschungen aufzudecken. Gerade den jungen Journalisten kann ich nur raten: Folgt eurer Nase und eurem kritischen Sinn.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
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