Fessenheim ist nicht das einzige Risiko
Insgesamt muss Frankreich bis 2025 rund 50 Milliarden Euro für die Modernisierung seiner AKW aufbringen
Noch im Dezember war Frankreich als Gastgeber des UN-Klimagipfels bemüht, seine eigene Umweltpolitik bestmöglich zu präsentieren und dafür internationale Anerkennung zu erhalten. Inzwischen ist auf diesem Gebiet wieder der Alltag eingekehrt, und der sieht längst nicht so positiv aus. So hat die Regierung in der vergangenen Woche versucht, in einer Nachtsitzung der Nationalversammlung das Verursacherprinzip bei Umweltschäden auszuhebeln. Und auch der Umgang mit dem Vertuschungsskandal um das marode AKW Fessenheim zeigt, dass Paris lieber alles beim Alten belassen will.
Wenn der Verursacher eine behördliche Genehmigung für seine Aktivität, durch die ein Schaden entstanden ist, vorweisen kann, so muss er nicht in vollen Umfang die Schadensbeseitigung und die Entschädigung der Opfer bezahlen, hieß es sinngemäß in dem Gesetzestext. Doch die zuständige Staatssekretärin Barbara Pompili hatte wohl nicht mit der Aufmerksamkeit einzelner Abgeordneter der Grünen gerechnet, die die Regierung zwangen, die offenbar von Lobbyisten erwirkte Gesetzesänderung eilig wieder zurückzuziehen.
Doch noch ungleich mehr und diesmal öffentliche Proteste hat vor Tagen die Ankündigung von Umweltministerin Ségolène Royal ausgelöst, die Regierung plane, die Laufzeiten der französischen Kernkraftwerke um weitere zehn auf 50 Jahre zu verlängern. Dass zuvor Gutachten der Behörde für Reaktorsicherheit eingeholt werden sollen, ändert nichts an der politischen Brisanz des Plans. Denn die Energiewende, mit der man sich die Unterstützung der Grünen sichern wollte, gehört zu den zahlreichen Wahlversprechen, die Präsident François Hollande nicht gehalten hat.
Bis 2025, so hatte er 2012 versichert, werde man den Anteil der Atomenergie von derzeit 75 auf 50 Prozent reduzieren und dementsprechend die erneuerbaren Energien ausbauen. Konkret sollte während seiner bis 2017 dauernden Amtszeit das 1978 in Betrieb genommene und damit älteste französische Kernkraftwerk im elsässischen Fessenheim stillgelegt werden. Da der technische Zustand, wie die Sicherheitsbehörde wiederholt versichert hat, untadelig sei und sowohl die örtlichen Politiker wie die Gewerkschaften mit Hinweis auf Arbeitsplätze seit Jahren protestieren, hat die Regierung die Frist für die Stilllehrung von Fessenheim auf 2018 hinausgeschoben. Dass es jetzt aus Deutschland Forderungen nach der alsbaldigen Abschaltung des AKW gibt und man sich dabei auf einen Störfall im April 2014 bezieht, den die französische Reaktorsicherheitsbehörde als »leicht und in seinen Folgen unbedenklich« eingestuft hat, wurde in Paris zunächst verärgert zur Kenntnis genommen.
Zuvor hatten die »Süddeutsche Zeitung« und der WDR aufgedeckt, dass die Betreiber und Behörden das wahre Ausmaß des Störfalls offenbar vertuscht hatten. Demnach waren die Steuerstäbe zum Abschalten des Reaktors damals nach einer Überflutung in Block 1 nicht mehr manövrierfähig, so dass der Block durch die Einleitung von Bor ins Kühlsystem abgeschaltet werden musste.
Zudem häufen sich auch aus Belgien und Luxemburg die Forderungen nach Schließung der in Grenznähe stehenden französischen AKW Cattenom und Gravelines, die kaum jünger als Fessenheim sind und ebenfalls immer wieder in den Störfallmeldungen auftauchen. Nun ist die französische Wohnungsbauministerin Emmanuelle Cosse vom offiziellen Regierungskurs abgeschwenkt. Die grüne Politikerin sagte am Sonntag vor Journalisten, Präsident Hollande habe ihr wiederholt gesagt, dass der Zeitplan die Schließung von Fessenheim 2016 vorsehe.
Indes müssen für die Modernisierung der 19 französischen Kernkraftwerke mit bis 2025 schätzungsweise 50 Milliarden Euro aufgebracht werden. Was die Dekontaminierung der schon etwa ein Dutzend stillgelegten Reaktoren und der ihnen künftig nachfolgenden Werke kosten dürfte, gehört zu den am besten gehüteten Staatsgeheimnissen. Klar ist, dass der noch zu 80 Prozent staatseigene Energiekonzern Electricité de France (EDF) damit weit überfordert ist, zumal sich die milliardenhohen Kosten für den Bau der Reaktoren im bretonischen Flamanville und in Finnland schon verdoppelt bis verdreifacht haben.
Der EDF-Finanzdirektor Thomas Piquemal, der diese Situation am Besten kennt, ist am Montag aus Protest zurückgetreten. Er zweifelt an der »kurzfristigen Machbarkeit« des geplanten britischen Atomkraftwerks Hinkley Point C. Diesen will EDF zusammen mit chinesischen Investoren durchziehen.
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