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Der britische Staat rettet Stahlwerk
Britische Regierung ermöglicht Weiterbetrieb – gegen die Interessen des chinesischen Eigentümers
Es war zwar Wochenende und die Osterparlamentsferien hatten längst begonnen, dennoch saßen die britischen Unterhausabgeordneten am Samstag dicht gedrängt auf den grünen Bänken. Labour-Premier Keir Starmer hatte zu einer Notfallsitzung gerufen mit nur einem Tagesordnungspunkt: die Rettung des Stahlwerks in der nordenglischen Stadt Scunthorpe.
Das zu British Steel gehörende Werk ist seit langer Zeit in Schwierigkeiten. Der chinesische Stahlkonzern Jingye, der British Steel 2020 übernahm, ließ Ende März verlauten, die Anlage mache jeden Tag rund 700 000 Pfund (rund 800 000 Euro) Verlust. Die Regierung verhandelte in den vergangenen Wochen mit Jingye über ein staatliches Hilfspaket; London hatte offenbar 500 Millionen Pfund angeboten. Aber die Gespräche blieben ergebnislos – Jingye leitete bereits Schritte ein, um Scunthorpe zu schließen. Rund 2700 Arbeitsplätze waren dadurch bedroht.
Eilgesetz in Rekordzeit verabschiedet
So sprang die Regierung in die Bresche. In Rekordzeit durchlief die Gesetzesvorlage am Samstag alle nötigen Stationen, am frühen Abend hatte der König seine Zustimmung gegeben. Damit ist das Stahlwerk zwar nicht formell in staatlicher Hand, aber die Regierung hat die Kontrolle über den Betrieb. Kurz nach Inkrafttreten des Gesetzes berieten staatliche Vertreter vor Ort in Scunthorpe mit der lokalen Betriebsleitung, wie die Produktion aufrechtzuerhalten sei. Vor allem muss die Versorgung des Werkes mit Koks und Eisenerz sichergestellt werden. Müssten die Hochöfen aus Mangel an Brennmaterial abgestellt werden, wären viel Zeit und Geld erforderlich, sie wieder zu starten.
»Heute hat meine Regierung British Steel gerettet«, sagte der Premierminister, nachdem das Gesetz in trockenen Tüchern war. »Unsere Industrie ist der Stolz unseres Landes – und ich will, dass sie auch unsere Zukunft ist.« Wirtschaftsminister Jonathan Reynolds will nun einen Partner aus dem Privatsektor suchen, der Scunthorpe mitfinanziert. Dennoch bleibt eine echte Verstaatlichung in den kommenden Wochen die wahrscheinlichste Lösung. Die Regierung könnte auf die Unterstützung der Bevölkerung zählen: Laut einer Umfrage von Anfang April sind 57 Prozent der Briten für eine Verstaatlichung von British Steel, nur 9 Prozent sind dagegen.
Kritik an chinesischem Eigentümer
In Bezug auf das Verhältnis zu China wirft die dramatische Rettungsaktion jedoch Fragen auf. Denn Jingye steht im Verdacht, absichtlich auf eine Stilllegung des Werkes hingearbeitet zu haben.
Scunthorpe ist die einzige britische Produktionsstätte für hochwertigen Stahl, wie er etwa für die Fertigung von Eisenbahnschienen oder Tragbalken verwendet wird. Für den Industriestandort Großbritannien ist das Werk also von großer Bedeutung. Wird es geschlossen, müsste der Stahl importiert werden, zum Beispiel aus China. Genau das sei der Plan gewesen, sagte Roy Rickhuss von der Gewerkschaft Community Union gegenüber der BBC: »Sie wollten die Hochöfen schließen und Stahl aus China importieren, um es dann in unseren Werken zu walzen.« Aus diesem Grund habe Jingye keine neuen Materialien bestellt.
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Minister Reynolds wollte dies zwar nicht bestätigen, aber auch er kritisierte Jingye scharf: »Vielleicht war es Sabotage, vielleicht war es Vernachlässigung.« Auf jeden Fall sei im Laufe der Verhandlungen klar geworden, dass der chinesische Konzern entschlossen war, die Hochöfen abzustellen. Reynolds versprach Konsequenzen: Wenn es künftig um Investitionen chinesischer Unternehmen in wichtigen britischen Sektoren geht, dann werde er »die Latte des Vertrauens hoch ansetzen«.
Spannungen zwischen China und Großbritannien
Der Fall Scunthorpe verkompliziert die geplante Annäherung zwischen Großbritannien und China. Nach einer langen Periode der Distanz hatte Starmer vergangenes Jahr angekündigt, ein »konsistentes, dauerhaftes und respektvolles« Verhältnis anzustreben. Sein Treffen mit Staatschef Xi Jinping im November war der erste persönliche Austausch auf dieser politischen Ebene seit sechs Jahren.
Ohnehin ist für viele Politiker und Strategen in London fraglich, wie weit die Annäherung gehen soll. In den vergangenen Jahren sorgten mehrere Skandale rund um chinesische Spione in den britischen Machtzentren für Unruhe. Die Behörde für Cybersicherheit warnt zudem seit vielen Jahren, dass chinesische Hacker eine Bedrohung für die britische Infrastruktur darstellen. Auch der Thinktank Chatham House hält es für entscheidend, dass Großbritannien ein schärferes Bewusstsein dafür entwickelt, wie »Peking Informationen sammelt und seinen Einfluss vergrößert«.
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