Heftiger Streit um die Balkan-Route
Flüchtlingsgipfel der EU mit der Türkei wurde bis in den Abend hinein verlängert
Ahmet Davutoglu blieb zum Abendessen. Ob der türkische Ministerpräsident tatsächlich noch etwas zur Freude im Sinne seiner EU-Gastgeber einzubringen hatte oder nur noch eine weitere schmerzhafte Forderung seines Staatspräsidenten Recep Tayyip Erdogan platzieren wollte, war bis zum Abend eine unbekannte Größe, allerdings keineswegs die einzige.
»Sie haben gesagt, wir geben euch drei Milliarden Euro Unterstützung«, hatte Erdogan am Montag die EU von Ankara aus genüsslich unter Druck gesetzt. »Vier Monate sind vorbei, Sie haben sie uns immer noch nicht gegeben.« Der »geehrte Ministerpräsident«, gemeint ist Davutoglu, »ist gerade in Brüssel. Ich hoffe, er kommt mit dem Geld zurück.« Nach den Worten von EU-Parlamentschef Martin Schulz fordert die Türkei von der EU bis 2018 weitere drei Milliarden Euro.
Die EU erwartet von der Türkei dafür, dass sie die auf ihrem Territorium eintreffenden Flüchtlinge daran hindert, nach EU-Europa, in diesem Falle Griechenland, weiterzuziehen. Wie das geschehen soll, vermeidet man auszusprechen.
Die Türkei hat in Brüssel relativ leichtes Spiel, findet sie doch eine zerstrittene Gemeinschaft vor. Der Zug der Flüchtlinge, aus der Türkei kommend, auf der sogenannten Balkan-Route, soll gestoppt werden. Darin ist man sich einig, im Prinzip. Was allerdings mit den Zehntausenden geschieht, die derzeit in Griechenland festsitzen, weil Mazedonien fast niemanden weiter nach Norden lässt und weil auch EU-Staaten sich Durchreisenden verweigern, ist völlig ungewiss. Es gibt an der griechisch-mazedonischen Grenze täglich mehr Verzweifelte, gleichzeitig menschliches Strandgut und politische Manövriermasse.
Bundeskanzlerin Angela Merkel hatte sich bis zum Nachmittag allerdings weiter um diese Erkenntnis herumgedrückt. Noch beim Eintreffen war von ihr zum Thema Balkan-Route zu hören: »Es kann nicht sein, dass irgendetwas geschlossen wird.« Die Zahl der Flüchtlinge müsse nicht nur für einige Länder, sondern für alle verringert werden. Dazu sei eine »nachhaltige Lösung« gemeinsam mit der Türkei erforderlich. Merkel wandte sich damit gegen eine Formulierung im Entwurf der Schlusserklärung des Gipfels, wonach die Balkanroute für Flüchtlinge aus Syrien nun »geschlossen« sei. Die Widersprüche innerhalb der EU dürften sich damit weiter vertieft haben. Sicher zu sein schien, dass Griechenland Geld aus EU-Töpfen erhält, um die Lage der Gestrandeten zu verbessern, zu Abstrichen auch bei den »Troika-Auflagen« schien am Montag noch keine Bereitschaft zu bestehen.
Zu den Ergebnissen wollten sich Davutoglu, EU-Kommissionschef Jean-Claude Juncker und EU-Ratspräsident Donald Tusk nach Abschluss der Beratungen äußern. Bei Redaktionsschluss war das aber noch nicht der Fall.
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