»Die USA haben viel Druck ausgeübt«
Guatemalas in Untersuchungshaft sitzender Expräsident Otto Pérez Molina über das Verfahren gegen ihn
Die Guatemalteken werden Ihre Regierung als die korrupteste in der Geschichte des Landes in Erinnerung behalten.
Das sehe ich nicht so. So hat man es natürlich darstellen wollen. Aber mit der Zeit werden die Dinge wieder ins rechte Licht gerückt werden, und jeder wird merken, dass dieser ganze Vorgang von Interessen geleitet war, die nicht aus Guatemala kommen.
Was meinen Sie damit?
Als ich Präsident war, gab es eine starke Einmischung durch die USA. Der US-amerikanische Vize-Präsident Joseph Biden ist zweimal nach Guatemala gekommen, dazu kommt unser Besuch in den USA, und das einzige Thema, das er mit mir besprechen wollte, war, dass das Mandat der CICIG (Internationale Kommission zur Bekämpfung der Straflosigkeit in Guatemala, d.Red.) verlängert werden müsse.
Otto Pérez Molina ist der guatemaltekische Ex-Präsident und ein ehemaliger General.
Wenn Sie die Arbeit der CICIG als unrechtmäßige Einmischung gesehen haben, warum haben Sie dann deren Mandat im vergangenen Jahr trotzdem verlängert?
Die USA haben viel Druck ausgeübt, und dabei handelte es sich nicht nur um das mögliche Zurückfahren US-amerikanischer Hilfsleistungen, sondern auch um die Drohung, den Export guatemaltekischer Produkte in die USA - unserem wichtigsten Exportpartner - immer weiter zu beschränken. Unter diesem Druck habe ich meine Entscheidung getroffen.
Die Guatemalteken sehen das anders - und haben 2015 als ein Jahr des Triumphes gefeiert, weil Sie aufgrund von Korruptionsvorwürfen durch die Staatsanwaltschaft und die CICIG und unter dem Druck der Straße von ihrem Amt als Präsident zurücktreten mussten.
So wird es von den Medien dargestellt, aber zur größten Demonstration sind schätzungsweise zwischen 60 000 und 80 000 Menschen gekommen. Wenn ich gewollt hätte, hätte ich eine Demo mit 100 000 oder 150 000 Menschen organisiert - und zwar zur Unterstützung meiner Regierung. Aber ich wollte das Land nicht noch weiter polarisieren und habe deshalb zugelassen, dass die Demonstrationen weitergingen.
Ihnen wird vorgeworfen, der Kopf des Kriminellen-Rings »La Línea« gewesen zu sein, der Zolleinnahmen in Millionenhöhe veruntreut haben soll. Laut Staatsanwaltschaft gibt es genügend Beweise, um Sie zu verurteilen.
Das ist doch lächerlich. Außerdem ist es nicht Sache der Staatsanwaltschaft, darüber zu befinden, ob es eine Verurteilung geben wird oder nicht. Das muss ein Gericht entscheiden.
Sollten Sie verurteilt werden, so müssen Sie mit einer langen Haftstrafe rechnen. Es ist möglich, dass Sie dann im Gefängnis sterben werden. Wie bereiten Sie sich darauf vor?
Wenn das Rechtssystem wirklich funktioniert, dann wird es keine Verurteilung geben. Davon bin ich überzeigt, weil ich weiß, was ich getan habe - und was nicht.
Heißt das, dass es Ihrer Meinung nach die kriminelle Vereinigung »La Línea« gar nicht gab?
Nein, dass »La Línea« existiert, ist unbestritten.
Nehmen wir also an, eine andere Person sei der Kopf von »La Línea« gewesen: Es fällt schwer, sich vorzustellen, wie ein solches kriminelles Netzwerk, das bis in höchste Verwaltungsebenen reicht, funktionieren kann, ohne dass der Präsident darauf aufmerksam wird.
Es gibt viele Dinge, die der Präsident nicht bemerkt, weder hier in Guatemala noch in irgendeinem anderen Land der Welt, weil der Präsident nicht in der Lage ist, alle Verwaltungsabteilungen und Behörden des Staates zu überblicken und zu kontrollieren.
Mit der Aufdeckung von »La Línea« gemeinsam mit der CICIG hat es die Generalstaatsanwältin Thelma Aldana in Guatemala zu Heldenstatus gebracht. 2014 haben Sie selbst Aldana für das Amt ausgewählt. Wie erklären Sie sich, was danach passiert ist?
Dafür habe ich keine wirkliche Erklärung. Eine Situation wie diese, in der sich die Generalstaatsanwältin völlig den Interessen der CICIG und der USA ausliefert, ist für mich nicht nachvollziehbar.
Die einfachste Erklärung wäre, dass Thelma Aldana lediglich ihre Arbeit gemacht hat …
Sie sagt, dass es um das Recht geht und um den Kampf gegen die Straflosigkeit, aber es ist für mich einfach nicht nachvollziehbar.
Glauben Sie, dass der neue guatemaltekische Präsident Jimmy Morales in der Lage ist, das Land in der aktuellen Lage zu regieren?
Der Präsident steht vor einem sehr, sehr schwierigen Jahr, weil er nicht über das Budget verfügt, um so zu regieren, wie es nötig wäre. Und das wird ihn politisch stark beschädigen, weil er die Forderungen der Bevölkerung nicht erfüllen kann, weil ihm das Geld dafür fehlt.
Viele Guatemalteken meinen, dass zumindest das Rechtssystem funktioniere - und Sie seien dafür das lebende Beispiel!
Dass ich im Gefängnis bin, ist den Umständen geschuldet und liegt mit Sicherheit nicht daran, dass das Rechtssystem funktioniert. So wurde die öffentliche Meinung fehlgeleitet - indem man die Menschen glauben macht, dass eine Person, eine Partei ausgetauscht wird und dass sich grundlegende Dinge verändern werden. Ich kann Ihnen garantieren, dass sich in Guatemala nichts ändern wird, gar nichts. Das ist zwar traurig, aber es ist die Realität unseres Landes.
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