Teurer Krim-Beitritt
Russland muss Halbinsel noch über Jahre bezuschussen
»Krym nasch« (»die Krim ist unser«) - die Übernahme der Schwarzmeerhalbinsel ist eine Droge mit Langzeitwirkung, die Kremlchef Wladimir Putin trotz Krise Zustimmungsraten von über 80 Prozent verschafft. Unabhängige Experten addieren anlässlich des zweiten Jahrestages des Beitritts lieber nüchtern die Kosten für die Reintegration in das Imperium. Fazit: Noch über Jahre wird die Krim, die zu den ärmsten Regionen Russlands gehört, auf Bezuschussungen durch Moskau angewiesen sein. Subventionen, Renten und Sozialleistungen kosteten den russischen Steuerzahler bis zu fünf Milliarden Euro pro Jahr.
Teuer wird vor allem die Umrüstung der Infrastruktur. Die Krim ist nach wie vor bei Verkehr und Telekommunikation, bei Strom und Wasser zu über 80 Prozent von der Ukraine abhängig, zu der sie von 1954 bis 2014 gehörte. Die Ferienorte an der Südküste verbrauchen mehr als das Doppelte dessen, was die Wasservorräte hergeben. Wegen exzessiver Entnahme sinkt der Grundwasserspiegel seit 1956, mit fatalen Folgen für Weinbau und Landwirtschaft. Und als im Herbst Krimtataren - Gegner des Russland-Beitritts - Masten der einzigen Hochspannungsleitung fällten, gab es wochenlang nur stundenweise Strom. Auch kassiert die Ukraine bei Strom- und Wasserlieferungen erheblich mehr als zuvor.
Im Dezember ging der erste Strang einer Stromleitung aus der südrussischen Region Krasnodar in Betrieb. Im Juni soll die volle Leistung von 850 Megawatt erreicht werden. Allerdings müsste dazu die gesamte Infrastruktur mit hohen Kosten nachgerüstet werden. Und selbst dann bliebe eine Lücke, die die instabil arbeitenden Windkraft- und Solaranlagen nicht schließen können.
Umstritten ist vor allem der Nutzwert einer Brücke über die Meerenge von Kertsch, die die Krim mit dem russischen Festland verbinden soll. Selbst Optimisten bezweifeln, dass wie geplant Anfang 2019 die ersten Züge und Lkw über das 19 Kilometer lange Prestigeprojekt rollen werden. Wegen unzähliger nicht entschärfter Bomben aus dem Zweiten Weltkrieg und Änderungen an der Trassenführung zur Umgehung archäologischer Funde wurden Vorbereitungsarbeiten und Genehmigungsverfahren erst Anfang dieses Jahres abgeschlossen.
Vor allem aber: Auf der Krim wie auf der gegenüberliegenden Taman-Halbinsel führt nur eine einzige Landstraße zum Wunderwerk der Ingenieurskunst, über das täglich 36 000 Fahrzeuge rollen sollen. Um Staus zu vermeiden, müssten mindestens 400 Kilometer Autobahnen gebaut werden, größtenteils in Gebieten mit strengen Naturschutzauflagen. Auch die angepeilten 142 Zugpaare pro Tag sind nicht realistisch - das Eisenbahnnetz der Krim kann derzeit maximal 29 täglich verkraften.
Ein so hohes Verkehrsaufkommen sei ohnehin Wunschdenken, meinen Kritiker. Die Krim könne nicht mit Ferienzielen am Mittelmeer konkurrieren, die Besucherzahlen waren 2014 wie 2015 rückläufig. Für 2016 wird eine Stabilisierung auf niedrigem Niveau erwartet: fünf Millionen. Die Rechnung, so eine Tourismuskauffrau, werde nur aufgehen, wenn der Verkauf von Ägypten- und Türkeireisen in Russland weiter verboten bleibt.
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