Erst die Kohle, dann der Stahl?
Die Saarländer bangen um ihre Hütten – rund 22 000 der Arbeitsplätze hängen in dem Land an der Branche
»Erst nehmen Sie uns den Kohlebergbau weg, jetzt soll es auch noch der Stahlindustrie an den Kragen gehen?« Dieser Tage rufen viele Saarländer im Wirtschaftsministerium in Saarbrücken an, wie ein Sprecher berichtete. Die Überschwemmung der Märkte mit billigem Stahl aus China und der damit einhergehende Preisverfall sowie die strikten EU-Umweltauflagen zur Senkung des CO2-Ausstosses machen der energieintensiven Stahlbranche in Europa und damit auch an der Saar zunehmend zu schaffen.
Wenn dies so weitergehe, bedeute das das »Ende der europäischen Stahlindustrie«, erklärt der Betriebsratschef der Dillinger Hütte, Michael Fischer. Ende Februar legte der Landtag in Saarbrücken ein klares Bekenntnis zur Stahlindustrie ab. »Stahl gehört zum Saarland wie die Saar«, formuliert Wirtschaftsministerin Anke Rehlinger (SPD).
Das kleinste deutsche Flächenland verdankt seine Existenz der Montanindustrie - die Steinkohleförderung wurde bereits 2012 ganz eingestellt. Fast jeder Saarländer kennt zumindest jemand, der »auf der Hütt geschafft« hat. So berichtete LINKEN-Fraktionschef Oskar Lafontaine, sein Großvater und seine Mutter hätten dort gearbeitet.
Rehlinger spricht von einem »Schicksalsjahr für die europäische, die deutsche und damit saarländische Stahlindustrie«. Denn in Brüssel stehen wichtige Entscheidungen an. Zum einen prüft die EU-Kommission die Einführung weiterer Schutzzölle für Importe von Stahlprodukten aus China. Zum anderen berät sie über Pläne, die Emissionszertifikate erheblich zu verteuern, um die Klimaschutzziele zu erreichen.
Das würde die energieintensive Stahlindustrie nach Angaben des Verbands der Saarhütten (VdS) mit bis zu einer Milliarde Euro im Jahr allein in Deutschland belasten, davon rund 120 Millionen Euro die Stahlkocher im Saarland. »Das könnten wir langfristig nicht verkraften«, sagt der Präsident des VDS und Generalbevollmächtigte der Stahl-Holding-Saar, Alfred Hettrich.
Die Krise der Stahlbranche hält mit einigen Auf und Abs nun schon ein paar Jahre an und Experten befürchten, dass die Dillinger Hütte und Saarstahl im vergangenen Jahr deutlich schlechter abgeschnitten haben als im Jahr zuvor, in dem sie nach einem mageren Vorjahr wieder schwarze Zahlen schrieben. Ihre Bilanz 2015 wollen die beiden Unternehmen um Ostern vorstellen.
Gleichwohl sehen sich die Hütten an der Saar im Vergleich zu vielen ihrer Mitbewerber gut aufgestellt. Lafontaine betont immer wieder, die 2001 von Dillinger Hütte und Saarstahl als Mutter gegründete Montan-Stiftung-Saar sorge dafür, dass kein privater Anteilseigner »ständig Geld rauszieht und anderswo investiert«. Zudem seien finanzielle Grundsubstanz und Auslastung gut sowie die Qualität der Produkte und dadurch die Kundenbindung stabil, betont Hettrich.
Und ihre Arbeitsplätze müsse sich die Beschäftigten - rund 22 000 der rund 350 000 Arbeitsplätze im Land hängen direkt oder indirekt vom Stahl ab - offenbar kurzfristig keine großen Sorgen machen. Die bereits laufenden Einsparungsprogramme müssten zwar fortgesetzt werden. Dabei gebe es aber keine konkreten Pläne, Arbeitsplätze abzubauen, so Hettrich: »Aber es gibt auch keine Tabus.«
Ob es eines Tages auch an die Substanz der saarländischen Stahlindustrie geht, hängt maßgeblich davon ab, ob die Produzenten wieder bessere Geschäfte machen können. »Die Stahlpreise sind derzeit im Keller«, betont Betriebsratschef Fischer. Er hofft, dass sich bei den für den 11. April geplanten Stahlarbeiterprotesten in Brüssel wieder mehrere tausend Saarländer beteiligen. dpa/nd
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