Einfach mal umschalten
Vorbild Sommerzeit: Nicht nur Uhren werden im Interesse des allgemeinen Wohlbefindens umgestellt, weiß Bernd Zeller
In unserem heutigen Bericht befassen wir uns mit den Möglichkeiten, die sich aus dem ungezwungenen Umgang mit Instrumenten zur Anzeige technischer Größen ergeben. Wie wir gerade sehen, lässt sich mit dem Umstellen der Uhr Zeit gewinnen. Abends bleibt es länger hell, genau genommen wird es früher spät. Man spart Sonnenenergie, die zur Erzeugung von Strom gebraucht würde, um das Licht einzuschalten. Morgens bleibt es länger dunkel, aber das merkt man nicht, weil man da noch schläft. Es kommt also zu dem unerwarteten Effekt, dass man mit dem Vorstellen der Uhr, durch das eine Stunde verschwindet, Zeit gewinnt. Dagegen kann niemand etwas haben.
Es verblüfft, dass die Politik daraus nicht noch mehr Imagegewinn zieht. Die Kanzlerin könnte ein Programm zum Umstellen der Uhr vorlegen, das durch sein Inkrafttreten die Handlungsfähigkeit der Bundesregierung unter Beweis stellt. Sie müsste nicht einmal persönlich für einen Pressetermin den Zeiger verschieben, darum würden sich viele Minister reißen. Nur nicht am Berliner Alexanderplatz, das wäre zu gefährlich. Sigmar Gabriel könnte die misslaunige Stimmung in Teilen der Bevölkerung aufgreifen und Verständnis äußern für diejenigen, die eher aufstehen müssen und deren Schlafdefizit man ernstnehmen müsse.
Durchaus wäre an Sonderregelungen zu denken, etwa für Bevölkerungsmitglieder, die eine solche Maßnahme in ihrer Kultur nicht kennen und die man von der Sommerzeit ausnehmen könnte. Technisch wäre es machbar, in einer multichronologischen Gesellschaft zu leben, und ein Gebot der Toleranz wäre es gewiss auch.
Doch nicht nur Uhren können zum allgemeinen Wohlbefinden verstellt werden. Bei Gebrauchtwagen ist es schon immer üblich gewesen, den Kilometerstand zurückzudrehen, um dem Käufer ein besseres Gefühl zu geben.
Ähnliches tat bekanntlich VW, um die Abgaswerte zu verbessern. Und es hat ja was gebracht. Man war hinterher enttäuscht, allerdings über das gute Gewissen, das man sonst gar nicht gehabt hätte.
Ein völlig unbekannter Minister im Bundeskabinett möchte nach dieser Methode die Haltbarkeit von Lebensmitteln verlängern. Das Mindesthaltbarkeitsdatum soll verboten werden. Viele Verbraucher werfen Lebensmittel in den Müll, weil die Mindesthaltbarkeitsdauer abgelaufen ist. Setzt man aber einen Mikrochip ein, der die Frische des Joghurts misst, ist man von der Last entbunden, mal kosten zu müssen, entbunden. Das Problem ist dann die Entsorgung der Chips, aber darin ist Deutschland Bundesmeister. Platz im Müll ist genug vorhanden, weil ja weniger Lebensmittel weggeworfen werden. Eine eigene Tonne wäre natürlich auch denkbar.
Man weiß nicht, was dann mit den Lebensmitteln wird, die man nicht nachkauft, weil man noch aufbrauchen kann, was man nicht weggeworfen hat. Wenn marktwirtschaftliche Theorien stimmen, dann sinken die Preise für die im Laden verbleibenden Waren. Man kann mehr kaufen, wirft dann vielleicht wieder mehr weg, weil man es nicht schafft, oder spendet für das gute Gewissen. Der Chip kann die Sammelpunkte auf das Mobiltelefon senden.
Man könnte auch noch andere Probleme auf solche Weise lösen, aber wir haben keine. Die Eurokrise ist gelöst, der Euro ist nicht gescheitert, Europa auch nicht. Ein Restproblem stellen die 500-Euro-Scheine dar, die eine Null weggestrichen kriegen oder ganz auf Null zurückgesetzt werden. Wer etwas dagegen hat, gibt sich als Angehöriger des kriminellen Milieus zu erkennen. Damit sind einige Privilegien verbunden, die ebenfalls nach dem Prinzip angepasster Bemessungen funktionieren.
Die Schuldenkrise, an die sich manche noch erinnern, ist auch durch neue Bemessungen gemeistert worden. Das eigentliche Problem waren die Zinsen, die sind weg. Wer noch Geld hat, kann die Bank nicht mehr in Zinsknechtschaft halten. Der Kontostand wird zurückgeschaltet - das führt kurzzeitig zu ähnlichem Unbehagen wie bei der Sommerzeit. Aber am Ende spart man, weil man weniger ausgibt.
Das »nd« bleibt gefährdet
Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.