Russland sucht den Businessplan
Moskauer Wirtschaftsforum fordert stärkere Ausrichtung auf den Binnenmarkt
Die politische Klasse lebe »vom Volk getrennt«, die Entscheidungen dieser Oberschicht zu beeinflussen oder aus den unteren Klassen in diese Oberschicht aufzusteigen, sei »faktisch unmöglich«. Es sei eine »feudale Herrschaft« entstanden. Derartige Worte hörte man zuletzt auf den Anti-Putin-Demonstrationen im Winter 2011/12. Doch am vergangenen Donnerstag waren sie auf dem »Moskauer Wirtschaftsforum« (Moscow Economic Forum, MEF) zu hören.
Harte Kritik an der Regierung gab es auch auf den Plenarveranstaltungen. Verhaftet wurde niemand, Polizei war nicht zu sehen. Der Grund? Die Kritik kam diesmal nicht von liberalen Kritikern, die planen, Putin zu stürzen, sondern von linken Wirtschaftswissenschaftlern und Unternehmern, die von der russischen Regierung mehr Patriotismus in der Wirtschaftspolitik fordern.
2000 Besucher wurden gezählt. Gesponsert wurde das Forum vom Unternehmer Konstantin Babkin. Als Geschäftsmann und Politiker ist er an der Stärkung des russischen Binnenmarktes interessiert. Damit unterscheidet er sich von vielen Unternehmern und Oligarchen, die in den vergangenen 15 Jahren durch den Rohstoffexport reich geworden sind. Viele von ihnen hoffen sehnlichst auf eine Wiederannäherung zwischen Moskau und Brüssel und eine Aufhebung der Sanktionen. Babkin dagegen setzt vor allem auf den Schutz und die Stärkung des russischen Binnenmarktes.
Die stellvertretende Vorsitzende des Duma-Komitees für Haushalt und Steuern, Oksana Dmitrijewa, forderte von Regierung und Zentralbank eine 180-Grad-Wende: »Wir brauchen einen billigen Rubel und einen Leitzins von fünf bis sechs Prozent.« Der Staat selbst müsse wieder als Investor auftreten, anstatt die Banken zu füttern. Zurzeit liegt der von der Zentralbank festgesetzte Leitzins bei elf Prozent, was nach Meinung linker Wirtschaftswissenschaftler der Industrie die Luft zum Atmen nimmt.
Der Wirtschaftsexperte Sergej Glasew, der auch Wladimir Putin berät, meinte, die jetzige Wirtschaftskrise könne mit ähnlichen Methoden gelöst werden, wie 1998, als Ministerpräsident Jewgeni Primakow sowie Industrieminister und KPRF-Mitglied Juri Masljukow Rubelverfall und Hyperinflation ausbremsten. Damals seien die Leitzinsen nicht - wie jetzt in Russland - erhöht, die Vergabe von Krediten nicht begrenzt und die Versuche von Wirtschaftsmonopolen, die Preise zu erhöhen, verhindert worden.
Russland müsse »seine eigene Businessstrategie finden«, erklärte der bekannteste ausländische Gast, der ehemalige IWF-Chef Dominique Strauss-Kahn. Die EU habe versucht, in anderen Ländern marktorientierte Mechanismen zu installieren. Aber diese Methoden hätten sich in einigen Staaten als ineffektiv erwiesen.
Wasili Koltaschow, Wirtschaftswissenschaftler am Moskauer Institut zu Globalisierung und sozialen Bewegungen, hält das Wirtschaftsforum für einen wichtigen Ansatz. Jedoch seien die vom Forum aufgestellten Forderungen für die Masse der Bevölkerung unverständlich. Anstatt Banken und Unternehmen mit staatlichen Geldern zu sanieren, müssten die finanziellen Reserven Russlands für den Wohnungsbau sowie den Bau von Eisenbahnstrecken und Straßen eingesetzt werden.
Das Moskauer Wirtschaftsforum fand bereits zum vierten Mal statt und ist faktisch eine Gegenveranstaltung zum wirtschaftsliberalen »Gajdar-Forum«, das ebenfalls jährlich stattfindet.
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