Rücktritte, Sondierungen, Absagen
In Hessen ist nach der Kommunalwahl vom 6. März vielerorts offen, wer mit wem koaliert
Am 1. April, knapp vier Wochen nach den hessischen Kommunalwahlen vom 6. März, begann offiziell die Wahlperiode für die neu gewählten Mandatsträger in Stadt und Land. Die konstituierenden Sitzungen der Kreistage und Kommunalparlamente werden allerdings - schon wegen der Osterpause - erst im Laufe des Monats stattfinden. Auch angelaufene Gespräche über neue Bündnisse für die kommenden fünf Jahre blieben meist noch auf der informellen Ebene.
Hier und da gab es im Lager der Wahlverlierer Rücktritte. In der 150 000-Einwohner-Stadt Darmstadt warf der bisherige SPD-Fraktionschef Hanno Benz nach zehn Jahren Amtszeit das Handtuch und nahm sein neues Mandat nicht an. Die örtliche SPD hatte am 6. März in der bislang grün-schwarz regierten Wissenschaftsstadt mit 17,2 Prozent einen absoluten Tiefstpunkt erreicht. In früheren Jahrzehnten hatte sie im Darmstädter Rathaus den Ton angegeben und eine Reihe von Oberbürgermeistern gestellt. Inzwischen haben ihr die Grünen den Rang abgelaufen. Benz empfahl auch »allen, die in den vergangenen Jahren Verantwortung in Fraktion, Partei oder Magistrat getragen haben«, seinem Schritt zu folgen.
Dieser Empfehlung werden in Darmstadt allerdings andere prominente gewählte SPD-Stadtverordnete nicht folgen, darunter die Bundestagsabgeordnete Brigitte Zypries und der Landtagsabgeordnete Michael Siebel. Auch die frühere Landtagsabgeordnete Dagmar Metzger, die 2008 durch ihr striktes Veto den Antritt einer von der Linksfraktion tolerierten rot-grünen Landesregierung in Hessen verhindert hatte, wird ihr Mandat im Stadtparlament wahrnehmen.
In der Landeshauptstadt Wiesbaden mit ihren 275 000 Einwohnern wählte die durch einen Acht-Prozent-Verlust geschwächte neue CDU-Rathausfraktion den bisherigen Fraktionschef Bernhard Lorenz wieder. Offenbar als Konsequenz aus dem Wahldebakel setzte Lorenz aber den Parlamentarischen Geschäftsführer seiner Fraktion vor die Tür. Nach Ansicht politischer Beobachter hat Lorenz damit einen Sündenbock für ein miserables Ergebnis gefunden, das er persönlich mit zu verantworten hat.
In Wiesbaden waren die bisherigen Koalitionspartner CDU und SPD auf jeweils unter 25 Prozent abgesackt. Ob das abgestrafte Bündnis im Rathaus mit Hilfe weiterer Verbündeter überhaupt eine Zukunft hat, ist fraglich. So zeigen sich derzeit viele SPD-Funktionäre wenig geneigt zur Fortsetzung und loten die Möglichkeit einer neuen Konstellation mit Grünen, FDP und bisher fraktionslosen Einzelkämpfern aus.
In der Bankenmetropole Frankfurt am Main, der mit über 700 000 Einwohnern größten Stadt des Landes, hat das bisherige Rathausbündnis aus CDU und Grünen seine Mehrheit eingebüßt. Dies ist auch ein Rückschlag für Hessens schwarz-grüne Landesregierung, die sich als Referenzmodell für den Bund sieht. Hier möchte die SPD nun wieder in der ersten Reihe mitmischen und hauptamtliche Dezernentenposten im Magistrat besetzen. Ob am Ende des Tauziehens CDU und SPD mit den Grünen oder mit der FDP koalieren, scheint völlig offen. Neben der Verteilung der Dezernate geht es dabei auch um »heiße Eisen« wie das Pro und Contra einer möglichen Gewerbesteuererhöhung. Hier bestehen nach wie vor große Differenzen zwischen den vier in Frage kommenden Bündnispartnern.
Für eine von manchen Akteuren erhoffte rot-rot-grüne Koalition ist auch in Frankfurt am Main keine rechnerische Mehrheit vorhanden. Ob ein solches Bündnis anderswo im Land zustande kommt, ist derzeit offen. In Frage kämen etwa die mittelhessische Universitätsstadt Marburg oder der Kreis Groß Gerau. In dem südwestlich von Frankfurt am Main gelegenen Landkreis denken dem Vernehmen nach die maßgeblichen Akteure der drei Parteien derzeit über eine feste Zusammenarbeit nach.
Anderswo scheinen die Partei- und Fraktionsspitzen der noch großen Parteien entschlossen, bei der Mehrheitsfindung die Mandatsträger der Linkspartei außen vor zu lassen. So auch in Kassel, wo SPD und Grüne ihre Mehrheit eingebüßt haben und der Versuch, die FDP ins Boot zu holen, offenbar gescheitert ist. Die Zeichen stehen dort nun auf Rot-Schwarz.
Die hessische LINKE hatte am 6. März ihre Position ausbauen können. So steigerte sie die Zahl der Mandate in Kreistagen und kreisfreien Städten um 24 auf 88. Hinzu kommen 126 Mandate in kreisangehörigen Kommunen. In Kassel errang sie 10,6 und in Marburg 13,8 Prozent. Auch in einzelnen Stadtbezirken im Rhein-Main-Gebiet wie Frankfurt-Rödelheim oder Wiesbaden-Westend kam sie auf Werte deutlich über 15 Prozent.
Daneben errangen in etlichen Kommunen auch andere linke Listenverbindungen Zuwächse. Die auf Landesebene bedeutungslose DKP war in einzelnen Orten, in denen sie sich auf eine lange Tradition stützen kann, erneut allein oder auf Listenverbindungen angetreten. In Mörfelden-Walldorf kam die DKP/Linke Liste auf 13,8 Prozent. Im 16 000-Einwohner-Städtchen Reinheim steigerte sich die DKP-Liste auf 11,1 Prozent.
Einen ersten Abgang erlitt die Rechtspartei AfD, die in Hessen insgesamt 11,9 Prozent und damit zahlreiche Mandate in Kreistagen und Rathäusern kreisfreier Städte errungen hatte. Im nordhessischen Landkreis Kassel erklärte der auf dem AfD-Ticket gewählte Kreistagsabgeordnete Oliver König seinen Austritt aus Partei und Fraktion. Er begründete dies Medienberichten zufolge mit seiner Kritik an »extremen Positionen« des Thüringer AfD-Fraktionschefs Björn Höcke, die »teilweise rassistisch« seien. Die Parteiführung habe sich nicht entschieden von Höcke distanziert, so König, der sein Mandat als fraktionsloser Abgeordneter behalten will.
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