»Bernie, Bernie!« in der Bronx

US-Präsidentschaftsbewerber Sanders für seine »politische Revolution« auf Aufholjagd in New York

  • Max Böhnel
  • Lesedauer: 5 Min.
Im New Yorker Stadtteil Bronx wirbt der Sozialist Bernie Sanders für sich und seine Vorhaben. Im Kampf um die Präsidentschaftskandidatur der Demokraten macht er Boden gut.

Der USA-Vorwahlkampf ist in New York angekommen. Nicht nur der Republikaner Donald Trump, der von hier aus sein Milliardenimperium verwaltet, sondern auch die ehemalige Senatorin und Außenministerin Hillary Clinton und der im Stadtteil Brooklyn geborene Sozialist Bernie Sanders kämpfen um Stimmen. Tenor: Wer New York im parteiinternen Wettkampf gewinnt, wird Kandidat. Um das zu erreichen, muss Sanders gegenüber Clinton aber noch Boden gutmachen.

Der eingezäunte Stadtpark St. Mary’s im Stadtteil Bronx ist bereits vier Stunden vor Bernie Sanders’ angekündigter Wahlkampfveranstaltung von Tausenden umgeben. Die Warteschlage, die zum Haupteingang führt, erstreckt sich über mehrere Wohnblöcke. Es geht nur zentimeterweise voran. Aber egal - was könnte es Besseres geben, als nachmittags im milden Frühlingswetter mit Freunden zu plaudern, unter Gleichgesinnten neue Freundschaften zu schließen und schließlich Bernie Sanders live zu erleben?

»Bernie sehen und Bernie unterstützen« heißt offenbar die Devise. Das Durchschnittsalter der geduldig Wartenden: zwischen 20 und 30, Männer wie Frauen. Dass Sanders angeblich nur Weiße anziehen kann, entpuppt sich spätestens in der Bronx als mediale Mär. Weiße, Braune, Afroamerikaner, Latinos und Asiaten - alle Hautfarben und ethnischen Gruppen sind vertreten.

Schon in anderen Vorwahlstaaten hatte der Sozialist eine beachtliche Zahl von afroamerikanischen, asiatischen und Latino-Stimmen erhalten - was die großen Medien aber unter den Tisch kehrten. Wo immer der Senator aus Vermont seine Botschaft unters Volk bringen konnte, erzielte er innerhalb weniger Wochen große Zuwächse gegenüber der viel bekannteren ehemaligen First Lady, Senatorin und Außenministerin. Bei den nächsten Vorwahlen der Demokraten in Wisconsin, die am Dienstag stattfinden, wird Sanders ein Sieg vorausgesagt. Ende vergangenen Jahres hatte er dort noch weit hinter ihr gelegen.

Ob ihm die Aufholjagd in New York gelingt? Bei verschiedenen Umfragen im Februar und Mitte März lag Sanders zwischen 21 und 48 Prozent schier hoffnungslos hinter Clinton zurück. Am Donnerstag waren es laut der aktuellsten Meinungserhebung nur noch 12 Prozent. Nichts hätten die Sanders-Strategen deshalb lieber, als eine schnellstmögliche Fernsehdebatte mit Clinton. Aber deren Team sträubt sich - wohl wissend, dass sie darin kaum punkten würde. Als Vorwand wird Sanders’ angeblich »negativer Tonfall« genannt. Gemeint ist in Wirklichkeit seine Kritik an Clinton.

Die 19-jährigen Zwillinge Ryan und Luke McFarlane stehen seit zwei Stunden in der Schlange. »Bernie Sanders unterstützen, mit Freunden abhängen«, geben beide im selben Tonfall mit fast identischem Lächeln als Grund an. Hillary Clinton sei »kein schlechter Mensch und wäre sicherlich besser als Trump«, meint Ryan, aber Bernie gefalle ihm sehr viel besser: »Weil man ihm trauen kann.«

Luke hält Clinton für eine »Opportunistin, die sagt, was von ihr gehört werden will, damit sie Stimmen erhält«. Als Beispiele nennt er Hillary Clintons Ablehnung der Homosexuellenehe, eine Haltung, die sie erst vor wenigen Jahren änderte, »als einigermaßen klar war, dass eine Mehrheit der Bevölkerung nichts dagegen hat«. Bernie Sanders sei auch in anderer Beziehung »offener und will das Beste für die Bevölkerung«. Er sei schon in den 60er Jahren mit Martin Luther King gegen Rassismus und Armut auf die Straße gegangen.

Die 23-jährige Elena Diaz ist in der Bronx geboren und aufgewachsen. Mit ihren in Nicaragua geborenen Eltern, die in der Nähe des Veranstaltungsorts leben, streite sie sich dauernd um Politik, klagt sie. »Sie sind hundertprozentig für Hillary, aber Bernie Sanders tritt für eine Gratis-Hochschulausbildung ein.« Das sei für sie der Hauptgrund, Sanders zu wählen. Clintons Satz, Sanders würde für Wählerstimmen das Blaue vom Himmel versprechen, habe bei ihr den Ausschlag gegeben. In Deutschland existiere eine Gratis-Universitätsausbildung, »ohne dass der Himmel einstürzt«, dasselbe müsse auch in den USA möglich sein. Wie die meisten nennt Elena Diaz darüber hinaus die existierende Einkommensungleichheit, die »Bernie als einziger benennt«, als Grund für ihre Sympathien für ihn. Die höhere Besteuerung von Großunternehmen sieht sie als »guten Weg, den Reichtum besser zu verteilen«.

Ein Dutzend Gespräche mit Kundgebungsteilnehmern ergibt, dass von den Sanders-Anhängern kaum jemand die herkömmlichen Medien konsumiert. Statt der »New York Times«, den »Daily News«, den Fernsehnachrichten oder dem Radio nutzen fast alle soziale Medien, etwa Reddit, Facebook oder Twitter - mit einer Ausnahme: Die TV-Debatten der Kandidaten gehören zur Pflicht.

Kazembe Balagun gehört der mittleren Generation an und betätigt sich seit seiner Jugend als linker Community-Aktivist. Der in Harlem geborene Mitarbeiter der New Yorker Rosa-Luxemburg-Stiftung lebt seit seinem 18. Lebensjahr in der Bronx. Für ihn ist das Warten in der Schlange ein Muss, denn er sieht den Auftritt von Bernie Sanders als »historisches Ereignis für die Bronx«. Mit seiner Botschaft von wirtschaftlicher und sozialer Ungleichheit und wie sie zu überwinden wäre, komme Sanders in dem vernachlässigten New Yorker Stadtteil gut an - »im ärmsten Bezirk der USA, mit einer Höchstrate von Asthmaerkrankungen und einer riesigen Arbeitslosigkeit«. Er freue sich und hoffe, dass Sanders den Geist des Widerstands befeuern werde.

Dann kommt Bernie Sanders. Sein weißhaariges Haupt ist schon von weitem sichtbar inmitten der schwarzen Fahrzeuge des Secret Service, der ihn bewacht. Der Hüne von Mann weicht von seiner seit Monaten vorgetragenen »stump speech« nur wenig ab. Er geißelt die Gier der Wall-Street-Banker und des »einen Prozent«, die Korruptheit des USA-Wahlsystems, die sozialen Verwerfungen, den Rassismus und das ungerechte Strafrechtssystem. 20 000 Menschen unterbrechen seine 45-minütige Rede immer wieder mit »Bernie, Bernie«-Rufen. Sein Auftritt ist der Auftakt zu einer Reihe von Veranstaltungen, mit denen er in den kommenden zweieinhalb Wochen die New Yorker von der »politischen Revolution« überzeugen will.

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