Unmoralisch: 19 von 17 000

Kritik an Politik Spaniens

  • Ralf Streck, San Sebastián
  • Lesedauer: 3 Min.

Man biete dem Staat Hilfe an, damit er seine internationalen Verpflichtungen erfüllen kann, klagt Barcelonas Bürgermeisterin Ada Colau, »und erhält stets nur ein Nein als Antwort«. Aus neun europäischen Städten waren Bürgermeister am Dienstag in Brüssel mit dem EU-Kommissar für Migration, Dimitris Avramopoulos, und der EU-Kommissarin für Regionalpolitik, Corina Cretu, zusammengekommen. Debattiert wurden Vorschläge, wie die Integration von Migranten und Flüchtlingen auf kommunaler Ebene gefördert werden kann.

Stadtoberhäupter oder ihre Vertreter waren aus Paris, Rom, Barcelona, Athen, Amsterdam, Helsinki, Malmö und Gent nach Brüssel gekommen. Für Deutschland nahm der Leipziger Bürgermeister Thomas Fabian teil. Aus Berlin reiste mit Hella Dunger-Löper zudem die Bevollmächtigte des Landes beim Bund an.

Die gemeinsame Forderung war, EU-Gelder direkt an die Kommunen fließen zu lassen, da diese letztlich für die Integration von Migranten und Flüchtlingen verantwortlich seien. Konkrete Verpflichtungen habe man von der Kommission noch nicht erhalten, erklärte Barcelonas Bürgermeisterin Colau. Es sei das erste Treffen gewesen, fügte die ehemalige Aktivistin gegen Zwangsräumungen in Spanien hinzu, die im vergangenen Jahr gewählt worden war.

Der Austausch hätte kaum deutlicher zeigen können, wie unterschiedlich die Situation in den Städten ist. Während viele mit einer großen Zahl von Flüchtlingen umgehen müssen, klagte die Katalanin Colau über eine Blockade der spanischen Zentralregierung bei der Entlastung Griechenlands. Städte wie Barcelona, Madrid und andere seien seit langem bereit zur Aufnahme von Flüchtlingen und hätten die nötige Infrastruktur geschaffen. Allein Katalonien könnte sofort 4000 Menschen aufnehmen. Colau hatte mit ihrem Athener Kollegen Giorgos Kaminis schon vereinbart, 100 Flüchtlinge zu übernehmen.

Doch die geschäftsführende konservative Zentralregierung unter Mariano Rajoy lehnte alle Vorstöße ab. Spanien habe sich vor sechs Monaten im Rahmen der Umverteilung verpflichtet, 17 000 Flüchtlinge zu übernehmen, sagte Colau: »Doch davon sind nur 19 angekommen.« Die Regierung lasse es nicht zu, dass Flüchtlingen geholfen werde. »Die Bevölkerung will an einer Lösung mitwirken«, verwies sie auf das Netzwerk der Asylstädte, das sich gebildet hat. Colau ist empört. »Die Zentralregierung verhält sich unmoralisch«, sagte sie.

Ähnliche Erfahrungen machte auch die Regionalkommissarin Cretu. Sie habe keine Antwort auf ihren Brief aus Madrid erhalten, ob Spanien Gelder für Flüchtlinge wolle. »Das wissen wir noch nicht«, sagte Cretu. Ihr Kollege Avramopoulos appellierte an alle Länder, »auf die Regionen zu hören«. Er fordert einen Dialog, um konkrete Lösungen zu finden. Der direkte Ansprechpartner für die Kommission sei aber der jeweilige Mitgliedsstaat, machte er klar. Die Regierung könne nicht übergangen werden.

Werde Mitglied der nd.Genossenschaft!
Seit dem 1. Januar 2022 wird das »nd« als unabhängige linke Zeitung herausgeben, welche der Belegschaft und den Leser*innen gehört. Sei dabei und unterstütze als Genossenschaftsmitglied Medienvielfalt und sichtbare linke Positionen. Jetzt die Beitrittserklärung ausfüllen.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft

Das »nd« bleibt gefährdet

Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.