Klassenkämpfer aller Länder ...
Spergaus Volleyballer halten sich seit Jahren in der Bundesliga - der Weg nach oben bleibt aber wegen fehlender Großsponsoren versperrt
Eines muss man den Verantwortlichen des CV Mitteldeutschland lassen: Sie haben Sinn für Humor. Vor dem Playoff-Spiel der Volleyball-Bundesliga gegen die Berlin Volleys am Mittwochabend präsentierten sich die selbst ernannten »Piraten« auf einem Foto als Box-Champions, oberkörperfrei und mit Gürtel um den Körper geschwungen. Auch die Bildbeschreibung passte zur Kampfeslust: Die »Stunde der Wahrheit« habe geschlagen, man erwarte die Berliner in der »Festung Spergau«.
Ganz ernst gemeint war die PR-Aktion sicher nicht. Dafür hätte es schon den Verlust des Kurzzeitgedächtnisses in Bezug darauf bedurft, was dem Gegner erst am vergangenen Wochenende gelungen war: nichts Geringeres als der Sieg im Europapokal. Nach dem 3:2 im Hinspiel gegen ZSK Surgut hatten die Berliner auch das Rückspiel in Sibirien mit 3:0 gewonnen.
Es wäre also einer Sensation gleichgekommen, hätten die Piraten die Androhung via Boxerfoto wahrgemacht und das Parkett ihrer Jahrhunderthalle Spergau als Sieger verlassen. Stattdessen gingen sie, wie fast jedes Mal gegen das Team von Berlins Trainer Roberto Serniotti, bereits nach drei Sätzen K.o. und beendeten die Bundesligasaison mit dem Ausscheiden im Viertelfinale der Playoffs. Genauso wie schon in den vergangenen beiden Jahren.
Unglücklich traten die Spergauer danach trotzdem nicht auf: »Wir sind zu 80 Prozent zufrieden«, sagte Trainer Ulf Quell, der mit seiner Mannschaft vor der Saison eigentlich auf direktem Wege - also über einen der ersten sechs Vorrundenplätze - die Playoffs hatte erreichen wollen. Auch mit dem Umweg über die Pre-Playoffs, der mit zwei Siegen gegen die Netzhoppers KW-Bestensee gemeistert wurde, konnte sich der Coach schnell anfreunden. Genau wie Managerin Sandy Penno, die die Hoffnungsrunde in der Volleyball-Bundesliga gern als »zweiten Bildungsweg« bezeichnet.
Die Zufriedenheit ist nachvollziehbar, denn dass es die Mitteldeutschen überhaupt so weit schaffen würden, hätten sie vor wenigen Monaten selbst nicht geglaubt. Lange hatten sie sich sportlich schwer getan. Im November und Dezember gelang kein einziger Sieg, sie kassierten sechs 0:3-Klatschen in Folge. Erst mit dem 3:0-Erfolg gegen den TSV Herrsching im Januar wurde die Wende eingeleitet. Es folgte eine Aufholjagd vom abgeschlagenen letzten Tabellenplatz bis auf Rang neun. Am Ende profitierten sie auch vom Punktabzug des direkten Konkurrenten und Absteigers Coburg. Den Klassenerhalt hätten sie aber auch aus eigener Kraft geschafft.
Die Tatsache, dass der CVM im Kampf um die deutsche Meisterschaft chancenlos ist, können die Verantwortlichen also getrost mit Humor nehmen. Zu groß sind die Unterschiede zu den Spitzenmannschaften - finanziell und in Bezug auf die vorhandenen Spieler -, als dass sie ernsthaft daran glauben könnten, in mittelbarer Zukunft eine bedeutende Rolle zu spielen. Der Etat von 450 000 Euro gehört zu den kleinsten der Liga. Zum Vergleich: Die Berliner geben für ihre erste Mannschaft zwei Millionen Euro, also mehr als das Vierfache, aus.
Eine gewaltige Differenz, die sich beim Blick auf den Kader bemerkbar macht. Nur einen deutschen Volleyballer hat der CVM in den eigenen Reihen, ansonsten müssen sie auf meist preiswertere ausländische Akteure vor allem aus Osteuropa zurückgreifen. »Zwei Polen sind ein Deutscher«, vergleicht Quell den Marktwert von Spielern verschiedener Nationalitäten. Sieben Polen und ein Bosnier spielen in Spergau, dazu noch ein US-Amerikaner, ein Niederländer und ein Italiener. Der Co-Trainer kommt zudem aus Rumänien.
Für den Trainer ist das alles kein Problem. Quell, der in Halle geboren wurde und es als aktiver Mittelblocker mal bis Berlin schaffte, begreift seinen Verein lieber als Motor für Integration. Deshalb freute er sich auch, als im Laufe der Saison plötzlich ein Geflüchteter mittrainieren wollte. Selbst wenn Amin Afshar, der im benachbarten Bad Dürrenberg lebt und laut eigener Aussage Juniorennationalspieler in Iran war, wohl keine Chance auf einen Platz im Kader haben wird.
Allein die Tatsache, dass der Rest des Kaders aus einem Mix verschiedener Nationalitäten besteht, erregte bereits überregionale Aufmerksamkeit. »Wie einst Energie Cottbus«, titelte der »Tagesspiegel« und verglich den CVM mit der Fußballmannschaft von Eduard Geyer, die in der Bundesligasaison 2000/01 fast ohne deutsche Spieler sensationell den Klassenerhalt geschafft hatte.
Auch für die Spergauer Piraten geht es seit Jahren um nichts anderes. Es war nicht selbstverständlich, dass sie seit ihrem Aufstieg 2007 - damals noch als VC Bad Dürrenberg/Spergau - stets die Liga halten konnten. Über Rang sieben in der Saison 2012/13 sind sie freilich noch nie hinausgekommen. Dafür sind sie mittlerweile erprobt im Abstiegskampf. Zu Klassenkämpfern sind sie geworden, auch verbal.
Ulf Quell zum Beispiel spricht gern über die Unterschiede zwischen ärmeren und reicheren Volleyballvereinen und betont stets, dass man in Spergau eben nicht die Voraussetzungen habe, höhere Ziele zu erreichen. Im Osten habe man nun mal Probleme, zahlungskräftige Sponsoren zu gewinnen und Geld zu akquirieren, weil das wirtschaftliche Umfeld dies nicht zulasse. Auch der Mangel an deutschen Spielern lasse sich so erklären: »Die Region ist arm an jungen Menschen.«
Nicht nur auf dem Parkett muss der CVM alles geben, um nicht in den Fahrstuhl nach unten zu geraten. Die Lizenz für die kommende Saison ist aufgrund finanzieller Probleme noch immer nicht gesichert. »Wir haben die Unterlagen für die erste und die zweite Liga eingereicht«, sagt Managerin Penno. Der Verein geht also trotz des sportlichen Klassenerhalts auf Nummer sicher. Denn zu den üblichen Anforderungen kommen ab der nächsten Saison noch zwei neue hinzu.
Weil die Liga in Zukunft LED-Banden und einheitliche Hallenböden vorschreibt, muss der CVM 125 000 Euro mehr aufbringen. Man kann sich vorstellen, was die Verantwortlichen davon halten. »Die Bundesliga-Saison könnte auch ohne diese Auflagen durchgeführt werden«, meint Ulf Quell. Wenn die Piraten den Verpflichtungen nicht nachkommen, müssten sie ein »Bußgeld zahlen und würden pleite gehen.«
Die Zukunft des Vereins sieht also weniger rosig aus, als es der Blick auf die Abschlusstabelle vermuten lässt. Auch Quells persönliche ist noch nicht gesichert. »Mein Vertrag läuft im Sommer aus. Mehr kann ich noch nicht sagen«, lässt der Trainer alles offen. Und weil bei Ligakonkurrenten Trainerstellen frei werden, ist ein Abschied aus Spergau durchaus möglich. Insbesondere ein Wechsel nach Friedrichshafen, wo Quell elf Jahre lang als Assistent von Trainerlegende Stelian Moculescu gedient hatte, ist nach dessen angekündigtem Rückzug ins Rentnerdasein denkbar. Über zu wenig Geld müsste er dann am Bodensee nicht mehr nachdenken.
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