Die Bösen, die Dummen und die Gemeinen
Postdemokratie, Halbfaschismus, Faschismus, islamistischer Terror: Derzeit ist es schwer vorstellbar, dass zugunsten einer anderen Zukunft die Hölle auf Erden noch verhindert werden kann
Gemeinsam sind sie so unausstehlich wie unbezwingbar, wie es scheint: die skrupellosen Karrieristen und Geldmenschen, die »Gewinner« des stylishen Neoliberalismus, die nach Mord und Terror geifernden Neofaschisten und Hass-besoffenen Pegida-Marschierer und schließlich die blödsinnig vor ihren Fernsehern und Klatschblättern hängenden Schnäppchenjäger, die nach Sensation und Idylle hungernden Casting- und Coaching-Show-Konsumenten. Normalerweise haben die drei nicht sonderlich viel miteinander zu tun, abgesehen davon, dass jeder von ihnen in der anderen Hälfte seines Lebens einer von den jeweils anderen sein kann. Doch gemeinsam bilden sie das politische Subjekt der Postdemokratie, jenes Durcheinanders von Rest- und Formaldemokratie, Medienpopulismus und halbfaschistischen, nationalistischen und verklemmt rassistischen Souveränitätsgesten, um das die Regierungen buhlen, nach dem die Medien sich richten, dem die Binnenmärkte folgen. Wenn die einen als »besorgte Bürger« auf die Straße gehen, erzeugen sie das Klima, das schlecht für Menschen und gut für Investitionen ist; wenn die anderen wegen ein paar Steuerhinterziehungen oder Betrugsmanövern ein paar öffentliche Tränen vergießen, machen sie deutlich, was man sich hier eigentlich in die Tasche stopfen könnte, wenn man nur skrupellos genug wäre, und nicht so dumm, sich erwischen zu lassen; wenn die dritten zwischen Kätzchenvideos, Helene Fischer, »Bild«-Zeitung und »Dschungelcamp« hin- und herzappen, sichern sie Arbeitsplätze in der Sinnindustrie und verhindern, dass »Kultur« eine Option für Widerständigkeit wäre. Es ist ein Planet der Verdammten, auf dem »Hunger Games« die adäquate Unterhaltung sind. Kleiner, schäbiger, heldenloser als im Kino allerdings.
Während man erbarmungslose Lohnkriege gegen Arbeitnehmer führt (und den Dummen wurde natürlich längst ausgeredet, sich im Zweifelsfall mit ihresgleichen zu solidarisieren, auch wenn einmal ein Zug oder ein Flug ausfällt), lassen sich die »Eliten« der Manager und Vorstände die absurden ökonomischen Vorteile freiwillig nicht mehr nehmen, auch wenn die wachsende Ungleichheit der Wohlstandsverteilung immer mehr zu einer bewusstlos-friedlosen Gesellschaft führt. Es geht nicht mehr allein darum, dass man die Millionen an Jahresgehalt eines Lufthansa-Vorstands nicht mehr vergleichen kann mit dem Lohn derer, die für seine Millionen arbeiten, es geht darum, dass er umso mehr Millionen erhält, je mehr er »sein Unternehmen« dadurch zum Erfolg führt, dass er die Lohnkosten drückt. Was da geschieht, kann man nicht anders denn als »Raub« bezeichnen, aber wer es tut, ist schon beinahe ausgeschlossen aus der Gemeinschaft der »Vernünftigen« und »Normalen«.
Die Frage, wie wir sie aus der Geschichte kennen: »Wer wird sich als der nützliche Idiot des anderen herausstellen?«, ist natürlich falsch gestellt. Denn jeder, die Bösen, die Dummen und die Gemeinen, lebt durch die anderen und für die anderen, keiner von ihnen könnte sein Potenzial entfalten, wenn er nicht von den anderen flankiert wäre. Die Dummen betreiben das Geschäft der Bösen, und die betreiben das Geschäft der Gemeinen. Und vice versa.
Aber wissen die Dummen, dass sie nur so dumm (so selbstzufrieden ignorant und in einem ewigen regressiven Karneval) leben dürfen, weil sie dabei von den Gemeinen gefüttert und gemolken werden? Wissen sie, dass sie nur so dumm (so blind und wollüstig verblendet) leben können, weil die Bösen sie gegen Wirklichkeit, Freiheit und Verantwortung abschirmen? Wissen die Gemeinen, dass sie nur so lange ihren Gelddrogenrausch leben können, solange die Bösen die Gedanken an Gerechtigkeit und Ausgleich verhindern und die Kräfte der Opposition binden oder lähmen? Und wissen die Gemeinen, wie sehr sie in die Krise geraten müssten, wenn sie nicht mehr von den Dummen unterstützt und gefüttert würden? Und die Bösen? Wissen sie, dass sie ein Instrument für die Gemeinen sind, das bei Bedarf auch wieder abgelegt oder umgebaut wird? Wissen sie, dass sie ein Nachtmahr der Dummen sind, ein Spektakel für ihre verbotenen Wünsche?
Etwas steht fest für alle, die nicht zu den Dummen, den Bösen und den Gemeinen gehören wollen: dass man sich nur zur Wehr setzen kann, wenn man die trialektische Einheit darin sieht. Und wer glaubt, sich mit den einen gegen die anderen verbünden zu können, verschiebt allenfalls Akzente. Natürlich kann man einem Dummen eher verzeihen als einem Gemeinen, und sogar einem Gemeinen eher als einem Bösen, aber das ändert nichts an ihrem unentwirrbaren Geknäuel.
Wer den Neoliberalismus bekämpft, ohne seine andere Seite, den Neofaschismus, zu bekämpfen, hat schon verloren. Wer glaubt, den Faschismus bekämpfen zu können, ohne die organisierte Dummheit zu bekämpfen, hat schon verloren. Wer glaubt, die Dummheit bekämpfen zu können, ohne jene Kräfte zu bekämpfen, die von ihr profitieren, hat ebenfalls verloren.
Die geheime Allianz der Dummen, der Bösen und der Gemeinen macht gewiss das Regieren vergleichsweise einfach, und das Verkaufen auch. Beinahe alles kann man damit anstellen, nur eines kann man damit nicht erzeugen, eine Zukunft für Menschen. Aber wie es scheint, brauchen die Menschen vielleicht doch mehr als Kochshows, Tiefkühlpizza und jemanden, den sie für ihre eigene Unzulänglichkeit hassen dürfen.
Es ist die Zukunftslosigkeit, in die der Terror hereinbricht. Während die Bösen, die Dummen und die Gemeinen gemeinsam eine Zukunft verhindern, die auf Migration, Freiheit und Solidarität gebaut wäre, sehen sie nur einen einzigen »ernst zu nehmenden« Gegner, einen gläubigen oder glaubenskranken Terroristen, der die Bösen noch an Bosheit, die Dummen noch an Dummheit und die Gemeinen noch an Gemeinheit übertrifft. Islamistischer Terror ist das Einzige, was der westliche Kapitalismus nicht »schlucken« kann. Und das nicht obwohl, sondern gerade weil er dessen Spiel durchaus durchschaut und selbst zu spielen versteht. Dieser Terror muss in seiner eigenen Logik so barbarisch, blind und sadistisch sein, damit alle Brücken abgebrochen, jedes Schlupfloch zur Integration verstopft ist. Wenn, sagen wir, ein Science-Fiction-Autor am Schreibtisch eine Gegenbewegung zur allumfassenden lückenlosen Herrschaft der Gemeinen, der Bösen und der Dummen erfinden müsste, ihm würde zweifellos so etwas wie der islamistische Terror einfallen müssen: genau das, was der postdemokratische, halbfaschistische Neoliberalismus nicht vereinnahmen kann, wie er es vorher mit dem Idealismus, dem Kommunismus, dem Anarchismus, dem Christentum, der Kunst und der Wissenschaft, der schlechten Laune und dem guten Leben konnte. Dieser Terror ist das unfassbar Böse, das absolut Gemeine und das grenzenlos Dumme. Was sich schon so lange ankündigte und was immer wieder in scheinhafte oder tatsächliche Bewegung aufgelöst werden konnte, ist damit erreicht: das Ende der Menschengeschichte auf dem Planet der Verdammten. Der religiöse Faschismus verknüpft sich mehr und mehr mit einem weltlichen Faschismus. Es soll nicht nur eine Religion siegen, es soll auch ein Staat entstehen. Eher schon eine Art Super-Staat. Aus der Geste der reinen Negation ist eine absurde Zukunftshoffnung geworden, aus der metaphysischen eine historische Legitimation, aus dem »moralischen« ein territorialer Anspruch. Und diesen Staat wird es eines nicht allzu fernen Tages auch wirklich geben. Mag schon sein, dass dieser islamistische Staat nicht viel anderes ist als die Hölle auf Erden, vielleicht fällt er auch nicht so groß und prächtig aus wie versprochen, sondern nur trostlos und alltäglich unmenschlich, jedenfalls wird auch er zu »fressen« beginnen, vielleicht die halbmoderaten, vielleicht die eigensinnigen nationalen Einheiten zuerst (natürlich nach den fachgerecht chaotisierten und entmenschten Regionen), vielleicht die ur-nationalistisch-religiösen Konkurrenten und Halbverbündeten wie Erdoğans Türkei zuerst, wer weiß?
Sicher ist jedenfalls, dass die Allianz der Bösen, der Dummen und der Gemeinen diesen Super-Terrorstaat mit erzeugt haben wird. Denn gemeinsam haben sie die Idee einer wirklichen Alternative, einer anderen Zukunft als die Hölle auf Erden verhindert. Sie verhindern, dass etwas anderes entsteht aus der großen Bewegung der Menschen in einer Welt, die keine Ordnung mehr hat, nicht einmal in Form eines halbwegs konsistenten Projekts. Sie verhindern, dass es eine interessante und hoffnungsfrohe Zukunft (des Unperfekten und der Unperfekten) als Alternative zur Hölle auf Erden geben kann.
Und nein, weder der Kapitalismus noch die liberale Gesellschaft des Westens sind »schuld« am islamo-faschistischen Terror. Doch stehen wir in einer gemeinsamen Geschichte der Menschheit auf dem Planeten der Verdammten. Nichts ist da zu denken ohne das andere. Das Projekt der Aufklärung war dazu gedacht, unter anderem, diese Zusammenhänge verstehen zu lernen. In Gesellschaften, die aus Hass und Angst den Verstand verlieren, kann man den Unterschied zwischen »verstehen« und »Verständnis zeigen« nicht mehr verstehen. Nicht verstanden zu werden, ist ein Wesenszug des Terrors. Und einer des Gegenterrors.
Der Islamo-Faschismus, das macht ihn so stark, findet im Westen immer weniger eine Alternative und immer mehr nur ein groteskes Spiegelbild. Er bricht nicht nur mit den Projekten Demokratie, Aufklärung oder Humanismus, er bricht mit der Menschheit, er bricht mit dem Leben. Daher erzeugt er die größte Ohnmacht, die man sich vorstellen kann. Es gelingt ihm, die Selbstheilungskräfte in den westlichen Gesellschaften zu vernichten, die Zivilgesellschaft, die Jugend, die Kultur, den öffentlichen Raum, das, was auch in der Herrschaft der Bösen, der Dummen und der Gemeinen nicht gänzlich verloren geht, eine Lust zu leben und miteinander zu sein. Mit jedem Anschlag werden die Dummen noch dümmer, die Gemeinen noch gemeiner und die Bösen noch böser. Bis sich eines ebenfalls nicht fernen Tages nur noch zwei Welten gegenüberstehen, die nur noch verschiedene Varianten von »Hölle auf Erden« sind. Und keine Seite lebt noch aus etwas anderem als dem Wunsch nach dem Tod des anderen.
Unser Science-Fiction-Autor, natürlich, erfindet eine kleine, rebellische Gruppe von Menschen, die weder der einen noch der anderen Seite zugehören, sondern sich nicht ausreden lassen wollen, dass es etwas anderes gibt als die Hölle auf Erden. Dass irgendwann aus dem Planeten der Verdammten ein Planet der Menschen wird. Grenzenlos und friedlich und solidarisch. Science-Fiction eben.
Georg Seeßlen, geb. 1948, Publizist, schreibt für zahlreiche Zeitungen und Zeitschriften über Kapitalismus, Film, Medien und Populärkultur.
Markus Metz, geb. 1958, freier Journalist und Autor, arbeitet vorwiegend für den Hörfunk.
Gemeinsam haben sie bereits mehrere Bücher veröffentlicht. Bei dem nebenstehenden Text handelt es sich um einen kleinen Auszug aus dem soeben erschienenen neuen Buch der beiden: Markus Metz/Georg Seeßlen: Hass und Hoffnung. Deutschland, Europa und die Flüchtlinge. Verlag Bertz + Fischer, 254 S., 9,90 €.
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