Das verbrecherische Verbot

Die deutsche Drogendebatte und zwei Bücher zu den Motiven und Folgen der Illegalisierung

  • Tobias Riegel
  • Lesedauer: 7 Min.

Warum ist eigentlich Alkohol nicht verboten - obwohl die Droge pro Jahr 70 000 Menschen dahinrafft? Aus ziemlich guten Gründen: Die Konsumentenzahlen lassen sich durch ein Verbot nicht beeinflussen, und statt kontrollierter Qualität müssten (und würden) sich Bürger gefährlichen Ersatz auf dem Schwarzmarkt besorgen. Dazu kommt das von Gangstern erwirtschaftete Schwarzgeld, das ebenso zerstörerisch wirken kann wie die Verteilungskriege, da diese Unsummen das staatliche Gewaltmonopol korrumpieren und zersetzen. Ein großes Rätsel unserer Zeit ist, warum diese Lehren aus der Prohibition (Al Capone!) nicht auf alle anderen, oft erheblich weniger gesundheitsschädlichen Drogen angewandt werden.

Die »FAZ« schrieb kürzlich: »Es sind nicht Kiffer und Sozialromantiker, die für die Legalisierung von Drogen trommeln. Es sind Richter und Polizisten, die sagen: Wirklich gefährlich ist das Verbot.« Dieser Satz wurde nun wieder bestätigt: Das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig hat das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) dazu verdonnert, einem schwer kranken Kläger eine Ausnahmeerlaubnis zum Eigenanbau von Cannabis zu erteilen. Das weise Urteil ist kein Durchbruch: Noch immer kann der Besitz bestimmter Substanzen zur Erpressung dienen, Menschen ins Gefängnis bringen und Politiker aus dem Amt fegen - doch nach Jahrzehnten der totalen Realitätsverweigerung ist es ein Lichtblick.

Das Groteske an der deutschen Drogendebatte ist die Abkopplung von den Erkenntnissen der Wissenschaft und der Kriminalistik. Lieber gehen die deutschen »Drogenbeauftragten« mit ihrem falschen Bauchgefühl hausieren und bauen populistisch auf die gezüchtete Ahnungslosigkeit der Bevölkerung. So auch die aktuelle Drogenbeauftragte Marlene Mortler (CSU). Auf die Frage, warum der oft tödliche Alkohol legal, das (körperlich) harmlose Cannabis verboten sei, antwortet Mortler schnippisch: »Weil Cannabis eine illegale Droge ist. Punkt!« Punkt? Zudem sei sie »bei illegalen Drogen kritischer«, denn »die« würden »schneller abhängig machen«. Als würde das willkürlich verteilte Label »illegal« irgendetwas über das Suchtpotenzial aussagen. Eine solch gefährliche Inkompetenz unserer obersten Drogenpolitikerin lässt einen schockiert zurück.

Bis vor kurzem wurde solcher Unsinn auch noch von vielen großen Medien verteidigt - nun finden sich auch dort immer mehr intelligente Beiträge, wie der zitierte »FAZ«-Artikel: »Wer sich auch nur entfernt mit den Argumenten beschäftigt hat, die von immer mehr Seiten für die Legalisierung von Drogen vorgebracht werden, kann es kaum fassen, dass sich die zuständigen Politiker nicht einmal die Mühe machen, sie zu widerlegen. Sie sind nicht nur gegen jede Form der Legalisierung, sondern verweigern sich jeder konstruktiven Debatte.«

Immerhin ist nun eine gesetzliche Lösung für Schwerkranke angekündigt. Alle anderen Bürger, solange sie nicht auf den von Mortler geschätzten Alkohol zurückgreifen wollen, müssen sich aber weiterhin am völlig unrealistischen Ideal der drogenfreien Gesellschaft orientieren und gegebenenfalls schwere Risiken auf dem Schwarzmarkt eingehen. Hier verrät der Staat seine Fürsorgepflicht.

Zwei hervorragende, höchst unterschiedliche Bücher könnten die extrem überfällige Debatte nun befeuern und mit guten Argumenten anreichern: Alfred W. McCoy beschreibt die geopolitische Verlogenheit der Prohibition und Johann Hari wirft einen unkonventionellen Blick auf ihre Folgen für verschiedene Gesellschaften. Wer diese Bücher gelesen hat, müsste zu dem Schluss kommen: Alle Drogen sollten weltweit legalisiert werden - von Cannabis bis zu Heroin.

Eine Verherrlichung des Rauschs verbietet sich und niemand bei Verstand würde behaupten, dass mit der Legalisierung die Verteilungskriege abrupt enden und die Süchtigen geheilt würden. Aber: Sowohl die Toten des Drogenkriegs in Mexiko als auch die deutschen Süchtigen und ihre Familien sind Kronzeugen für das krasse Versagen der militärischen Strategie, die nicht nur verlogen, brutal und wirkungslos, sondern auch unfassbar teuer ist: Geld, das bei der Prävention und Entgiftung fehlt. Im US-Staat Colorado werden von der Cannabissteuer nun Schulen gebaut. Zudem stiegen (laut Piratenpartei und anderen Initiativen) in keinem Land die Konsumentenzahlen durch Legalisierung, in Colorado etwa ist der Cannabiskonsum bei Jugendlichen laut Hanfverband gar gesunken.

Der US-Psychologieprofessor David Musto war 1980 Mitglied des Drogenstrategierates des Weißen Hauses. Doch immer wieder musste Musto erleben, dass die offizielle US-Politik der aggressiven Drogenbekämpfung vom eigenen Geheimdienst CIA konterkariert wurde - etwa seit 1979 in Afghanistan. Ihm platzte schließlich der Kragen und er griff die Geheimdienstpraxis, afghanische Opiumbauern zu unterstützen, in der »New York Times« an: »Begehen wir nicht einen Fehler, wenn wenn wir Freundschaft mit Stämmen schließen wie in Laos, als ›Air America‹ (gechartert von der CIA) dabei half, Rohopium aus bestimmten Stammesgebieten abzutransportieren?« Diese Politik hatte nicht nur desaströse Folgen für Afghanistan, sondern auch für die USA: Laut Musto war Heroin 1980 in den US-Städten »noch billiger, stärker und leichter verfügbar« als in den Jahrzehnten zuvor.

Im erwähnten Laos hatte die CIA laut dem US-Professor für südostasiatische Geschichte Alfred W. McCoy während des Vietnamkriegs das Drogengeschäft ebenfalls protegiert, um Bauern für den »Kampf gegen den Kommunismus« zu gewinnen und um diesen zu finanzieren. Laut McCoys Buch »Die CIA und das Heroin. Weltpolitik durch Drogenhandel« wurde dieses Modell der drogenfinanzierten Einmischung bereits oft angewendet: »In dem Maße, in dem unser Wissen über den Kalten Krieg wächst, wird auch die Liste der Drogenhändler, die für die CIA arbeiteten, immer länger: Korsensyndikate, irreguläre Truppen der Nationalchinesen, laotische Generäle, afghanische Kriegsherren, haitianische Oberste, panamaische Generäle, honduranische Schmuggler und nicaraguanische Contra-Kommandeure. Diese Bündnisse mögen nur einen Bruchteil aller CIA-Operationen darstellen, aber sie hatten einen beträchtlichen Einfluss auf den Drogenhandel.«

Und Geschichte wiederholt sich: Afghanistan wurde infolge der US-geführten Invasion laut McCoy zu einem »reinen Narco-Staat«. Das Talibanregime hatte die Opiumproduktion 2001 auf einen historischen Tiefststand von 180 Tonnen/Jahr gedrosselt. Doch nach nur fünf Jahren US-NATO-ISAF-Besatzung hatte sich die Drogenproduktion auf den historischen Höchststand von 8200 Tonnen/Jahr explosionsartig gesteigert.

Der Widerspruch zwischen einer hysterischen offiziellen Antidrogen-Rethorik und einer wundersamen Drogen-Vermehrung unter US-Kontrolle begleitet das Thema Drogen seit fast hundert Jahren. Ein weiterer Widerspruch ist jünger: In zahlreichen US-Bundesstaaten wurde zumindest Cannabis legalisiert, während die USA andere Ländern mutmaßlich noch immer stark unter Druck setzen, ihr Drogenverbot nicht zu lockern.

Bei McCoy wird also die ganz große internationale Verwicklung ausgebreitet. Das lädt dazu ein, seine Inhalte pauschal als »Verschwörungstheorie« zu diffamieren. Doch der Autor begründet seine steile These sehr schlüssig. Sein erstmals 1972 erschienenes Buch gilt international als seriöses Standardwerk, das trotz des Themas und des Titels nichts mit ähnlich klingenden Posten des Kopp-Verlags gemein hat und dem Vernehmen nach zahlreichen juristischen Überprüfungen und geheimdienstlichen Attacken standgehalten hat. Nun wurde es aktualisiert und auf Deutsch übersetzt.

Es ist eine Lektüre, die schwindelig macht. Sie macht aber auch deutlich, dass mutmaßlich noch zahlreiche andere Geheimdienste (untergeordnet) im Drogengeschäft mitmischen. Und dass die Aktionen der CIA oft gar nicht im Interesse »der USA« sind, sondern sich hier eine gefährliche Parallelwelt etabliert hat, die auch die eigene Regierung hintergeht. So hat sich der aktuelle US-Außenminister John Kerry als junger Senator sehr verdient gemacht um die Aufklärung des cia-drogen-relevanten Iran-Contra-Skandals.

Etwas bescheidener nähert sich der Brite Johann Hari dem Thema. Sein hervorragendes, schlicht »Drogen« betiteltes Buch beschreibt weniger die geopolitischen Motive und Folgen eines dubiosen Drogenkriegs. Eher zeigt es - in Form von Reportagen aus mehreren Kontinenten - dessen konkrete Alltagsfolgen in unterschiedlichsten Ländern und Nachbarschaften. Und er legt dar, dass der bizarre »Krieg gegen die Drogen« auch als gesellschaftliches Kontrollinstrument genutzt wird: Die Beschreibungen des US-Gefängnissystems mit seinen zahllosen inhaftierten Konsumenten und Kleinstdealern (die durch die Haft meist auch ihr Wahlrecht verlieren!) sind schockierend. Hari wählt so ungewöhnliche Blickwinkel, dass auch das Anekdotenhafte dem Buch nicht ernsthaft schadet.

Beide Werke gehören auf den Nachttisch unserer Drogenpolitiker. Damit sie nicht sagen können, sie hätten es nicht besser gewusst.

Johann Hari: Drogen. Die Geschichte eines langen Krieges, S. Fischer, 448 S., 24,99 €; Alfred W. McCoy: Die CIA und das Heroin. Weltpolitik durch Drogenhandel, aktualisierte Neuausgabe, Westend Verlag, 688 Seiten, Broschur, 24 €

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