Frühlingsgefühle
Das kann weg! Leo Fischer über die hässlichen Nebenerscheinungen nach den Wintermonaten
Die Temperaturen schnellen wieder in die Höhe, und leider kommt jetzt auch alles wieder raus, was in den Wintermonaten wohltuend verborgen war: Weiße Wadeln wagen sich wieder ans Sonnenlicht, verspargelte Jogger demonstrieren in den Parks zähnefletschend den Stand ihrer Zurichtung, »Bild«-Chefredakteure gestatten kokett einen Blick in die Abgründe ihres Humorverständnisses. Und auch Promipärchen lassen knistern, was die Hormone hergeben.
Nicht nur Braunblusen wie Frauke Petry holten sich die »Bunte« ins Boudoir, berichten Heimliches aus ihrem höchsteigenen Lebensborn-Projekt - auch der erstaunlich untote Franz Müntefering zeigt wieder seine blutjunge Teeniegattin herum, spricht freizügig über die Erotik digitaler Demenz: »Wenn wir spazieren gehen, hat meine Frau immer das Handy dabei - ich eher selten. Sie schreibt auf Facebook, ich schreibe Schreibmaschine und kommuniziere via Fax statt per E-Mail.« Kennengelernt haben sich die beiden gerüchteweise im Flirtportal vom ZDF-Bildschirmtext.
Andererseits sind da Jette »Joppe« Joop und ihr aktueller Pflöckel-Gefährte Christian Elsen, die sich ihre Kicks bei der gemeinsamen Vermarktung von Jettes neuem Duft holen: »Du«, sagt Christian ihr bzw. dem Tantenmagazin »Petra«, »hast ihn auch eigentlich immer dabei und sprühst ihn dir und anderen auf. Besonders schön ist, wenn Jette den Duft Männern aufsprüht, bevor sie merken, was da gerade passiert.« Dann kommt der Schreck: Wie erklär ich das nur meiner Frau? Jeder Geschäftsfreund wird erst mal angesprüht.
Jaja, früher ließ die Bourgeoisie zu Zwecken des Amüsements noch herrschaftliche Treibjagden veranstalten oder einen festlichen Weltkrieg, heute sprühen sich ihre Angehörigen mit Deo ein und lachen dabei wie Zwölfjährige in der Miederwarenabteilung. Es ist schon alles ein rechtes Grauen, ein Zeichen verzweifelter, trauriger Enthemmung, von der trostlosen Lustigkeit jener Witzchen, die massenweis’ herumgehen, seit »Satire« den Fußball als sklavisch abgefeierten Nationalsport der Deutschen abgelöst hat.
Und irgendwie mag inmitten des wieder aufblühenden Lebens keine wirkliche Begeisterung aufkommen: Der Frohsinn wirkt so apathisch und einstudiert wie das asketisch-entgeisterte Leben, das andernorts unterm religiösen Gesetz gelebt werden muss. Es war ja nie sehr schön, wenn in diesem Land die Lebensgeister wieder erwachen, aber in diesem Jahr wird es vollends ekelhaft. Man wünscht dieser Nation einen jahrelangen Winter, wie in der Welt von »Game of Thrones«, auf dass einmal eine Einsicht einkehre und eine Ruhe.
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