Auf den Schlachtfeldern von Virginia

Ein Besuch der größten Marinebasis der Welt, behüteter Kleinstädte und Wohnanlagen für Wanderarbeiter

  • Hannes Hofbauer, Richmond
  • Lesedauer: 7 Min.
Militärische Komplexe treffen auf verschlafene Orte, in denen die Zeit stehen geblieben scheint. Ein Ausflug durch den wechselhaften US-Bundesstaat Virginia.

Dort, wo der Norden der USA auf den Süden trifft und die Trennlinie sowohl klimatisch wie politisch spürbar ist, wird mit dem Bürgerkrieg, der vor 150 Jahren hier seine entscheidende Auseinandersetzung fand, ein großes Geschäft gemacht. Touristen strömen tagein, tagaus über die Schlachtfelder von Fredericksburg, auf denen allein im Dezember 1862 fast 100 000 Soldaten gefallen sind.

Die Knochen unter der Erde knirschen hören oder sich dies zumindest vorstellen, macht für viele den Kitzel aus, warum sie mit Kind und Kegel auf den mit allerlei Informationstafeln ausgestatteten Gräberfeldern umherlaufen oder der Autotour entlang festgelegter Routen folgen. An der Mündung des Flusses James, der sein Wasser in die weitläufige Chesapeake-Bucht ergießt, fand während des Bürgerkriegs auch das erste moderne Seegefecht mit gepanzerten Schiffen statt. Das Flaggschiff der Konföderierten hieß CSS Virginia.

Heute liegt an jener Stelle in der Stadt Norfolk die größte Marinebasis der Welt, gleich gegenüber der Langley Airforce Basis, in der das größte der zehn US-Airforce-Kommandos untergebracht ist. Der Nukleus des US-amerikanischen Imperialismus hat seinen logistischen und infrastrukturellen Ausgangspunkt hier im Süden Virginias. Die wichtigste Marinebasis der USA lässt sich von Touristenbooten aus im Respektabstand bewundern. Von hier aus führt Washington weltweit seine Kriege, in den Docks von Norfolk werden dafür die Zerstörer gewartet, die Angriffsschiffe hergerichtet, die U-Boote durchgecheckt und die Flugzeugträger auf ihren nächsten Einsatz vorbereitet.

Dem Führer unserer kleinen Tour ist der Stolz über »seine« Basis anzumerken, auch wenn er den Text schon Hunderte Male aufgesagt hat. Jedes Fregattenschiff, jeden Begleiter, jeden Kreuzer, an dem wir vorbeigleiten, kennt er mit Namen und militärischer Kennzahl, dazu das Baujahr, die Kosten der Herstellung und des durchschnittlichen Einsatzes, die Anzahl der Besatzungsmitglieder und gegebenenfalls jene der geladenen Panzer und Amphibienfahrzeuge, Hubschrauber oder Kampfflugzeuge, die vom Schiff aus starten können.

6280 Mann, inklusive Flugzeugbesatzung, dienen beispielsweise auf der gerade vor Anker liegenden USS Washington, einem von zehn US-Flugzeugträgern der Nimitzklasse, die die Weltmeere beherrschen. Der seiner schieren Größe wegen beängstigende Riese begann seine militärische Laufbahn im Jugoslawienkrieg, war im September 2001 vor New York beordert worden, um - wie es in seinem Logbuch heißt - »die Stadt nach den Anschlägen von 9/11 zu schützen« und lief anschließend daran zum »Dritten Golfkrieg« gegen Saddam Husseins Irak aus.

Von Krieg ist allerdings nur einmal während der zweistündigen Bootsfahrt entlang der grau gestrichenen Monster die Rede. Und auch da nimmt der Touristenführer das Wort nicht in den Mund, sondern spricht von »Terror«, als wir die USS Cole passieren. Sie ist ein vergleichsweise kleiner Zerstörer, dessen Besonderheit darin besteht, dass er das einzige US-Kriegsschiff ist, das in jüngerer Vergangenheit erfolgreich angegriffen worden ist. Am 12. Oktober 2000 riss ein mit Sprengstoff beladener Kutter ein zehn mal zehn Meter großes Loch in die USS Cole, die gerade im Hafen von Aden angelandet war. Al Qaida bekannte sich zu dem Anschlag, bei dem 17 US-Marines ums Leben kamen. Dutzende von Verletzten wurden damals von Jemen hierher nach Norfolk/Virginia ausgeflogen, um sie im größten Militärkrankenhauskomplex der Welt medizinisch zu versorgen. Auch das riesige Spital erfüllt unseren Touristenführer mit Stolz.

Die Marinebasis von Norfolk vermittelt den Eindruck einer ungeheuren Kampfkraft, die jederzeit und an mehreren Kriegsschauplätzen gleichzeitig einsatzbereit ist. Gleich neben den Militäranlagen haben milliardenschwere Rüstungskonzerne wie Lockheed Martin und General Dynamics ihre Zelte aufgeschlagen, gleichsam um zu dokumentieren, dass der militärisch-industrielle Komplex in den USA die Konten der wichtigsten Familien füllt. Sie sind es auch, die im politischen Establishment das Sagen haben, egal ob es sich um Demokraten oder Republikaner handelt.

»Beide Parteien dienen denselben Interessengruppen«, schrieb einer der bekanntesten Kritiker des »War on Terror«, der frühere US-Finanzminister Paul Craig Roberts, in einem seiner Kommentare, und meinte damit vor allem die Rüstungsindustrie und die Wall Street. Die linke Publizistin Diana Johnstone stimmt ihm in ihrer eben erschienenen Biografie über Hillary Clinton - »Die Chaos Königin« - bei. Die Lektüre ihres Buches hinterlässt mehr als ein flaues Gefühl im Magen. Johnstone enttarnt die mutmaßlich nächste US-Präsidentin als ideale Frontfrau eines militärisch-industriellen Komplexes, dessen aggressive Politik nach außen auch im Inneren ihren Widerhall findet.

Eine halbe Autostunde von der mächtigsten Kriegsmaschine der Welt entfernt, entlang der östlichen Küste Virginias, scheint das Leben auf den ersten Blick einen beschaulichen Gang zu nehmen. Der im Frühling aufgewühlte Atlantik steht im krassen Gegensatz zur geruhsamen Lebensart der hiesigen Südländer. Zweistöckige Häuser im Kolonialstil säumen die wenigen Straßen des Örtchens Onancock, in dem wir Station machen.

Die Villen mit ihren parkähnlichen Anlagen stammen vornehmlich aus der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Außen fein herausgeputzt mit frisch gestrichenen Holzfassaden oder glänzenden Backsteinziegeln, fallen die stets gemähten Vorgärten auf, die niemals zum Nachbarn oder zur Straße hin mit Zäunen abgegrenzt werden. Innen sind die Besitzer auf die Geschichte ihrer Häuser bedacht. Zwischen wertvollem Porzellan, das in britischem Stil als Teller so manche Wand ziert, und allerlei Nippes breitet sich altdeutsche Düsterheit aus, schwere Möbelstücke aus dunklem Holz dominieren die Räume.

Die BewohnerInnen solcher kleinen Ortschaften wie Onancock klassifizieren sich gegenseitig entlang der Dauer ihrer Anwesenheit. Gezählt werden die Generationen: »Born-here« nennen sich jene, die schon in der vierten Generation oder länger vor Ort sind, »from-here« nennt man die im Ort Geborenen und »come-here« die neu Zugezogenen. Neuankömmlinge sind trotz, oder besser gesagt wegen der abgelegenen Gegend gar nicht so selten. So mancher vor der Rente stehende Amerikaner verkauft sein Haus in Kalifornien oder an der nördlich gelegenen Ostküste, um sich hier im peripheren Virginia etwas leisten zu können.

»Für dieses zweistöckige Haus mit einem Hektar Land, das ich mir vor ein paar Jahren in Onancock gekauft habe, könnte ich in Kalifornien gerade einmal ein Zwei-Zimmer-Apartment bekommen«, erzählt uns die Besitzerin eines Bed & Breakfast, in dem die Welt stehengeblieben scheint. Haus- und Grundstückspreise sind mit das erste, worüber hier zwanglos auch mit Fremden gesprochen wird. Für 300 000 bis 500 000 US-Dollar kann man fünf Autostunden von Washington DC entfernt ein ansehnliches Häuschen mit Grund kaufen.

Andernorts kämpft die Mittelklasse sichtbar ums Überleben. Ihre Häuser sind zu groß, die Preise steigen, die Einkommen stagnieren. Ganz anders die BewohnerInnen an der Atlantikküste Virginias. Sie haben nichts mehr zu verlieren. Und sie kommen auch gar nicht in den Klassifizierungen der »born-here« und »from-here« vor, die sich in alter Tradition als Bürger einer »town« mit eigener Verwaltung begreifen. Die Bevölkerungsmehrheit lebt außerhalb dieser städtisch-selbstverwalteten Gebiete auf dem Land. Überall entlang der Durchzugsstraße, aber auch in abgelegenen Waldstücken trifft man auf sogenannte »moving homes«-Anlagen. Sie tragen Namen wie »Sunrise« oder »Dreamland« und bestehen aus mietbaren Kleinstwohnungen in der typisierten Größe eines Lkw-Anhängers.

Tatsächlich können sie auch wie ein Container aufgepackt und an andere Orte gebracht werden. Manche dieser elenden Wanderblöcke verfügen nicht einmal über Wassertoiletten, an Strom fehlt es nirgends. Vor jedem hölzernen Quader stehen durchschnittlich zwei bis vier Pkw, deren Anzahl verrät, wie viele Menschen von hier zur Arbeit oder zur Arbeitssuche fahren. Die größten Arbeitgeber an der östlichen Küste sind Geflügelschlachthöfe und - während der Erntezeit - die großen Farmen. Der Schlacht- und Hühnerhof »Perdue« hat einen besseren Ruf als »Tyson«, zumindest was den Umgang mit dem Federvieh betrifft, das in großen Käfigen Lkw-weise über den Highway verfrachtet wird.

Zur Erntezeit strömen dann Tausende Mexikaner in die Landwirtschaft und zu den Austernzuchten, um für wenig Geld ihr Auskommen zu suchen. Ihr Stundenlohn liegt weit unter den 8,25 US-Dollar, den die Schlachthöfe zahlen. Die Menschen ziehen der Arbeit nach und die vielen mobilen Wohnanlagen geben Zeugnis davon. Eine Nachfrage im »Dreamland« ergibt, dass es lange Wartelisten für die schäbigen Mobilheime gibt. »Sie sehen ja, dass hier um die Ecke der Schlachter «Perdue» seine Fabrik hat, die zieht die Leute an wie ein Magnet«, gibt die Managerin der Containersiedlung bereitwillig Auskunft über ihre gute Geschäftslage.

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