Rechte Eurokraten
Thilo Janssen über EU-Feinde im Europäischen Parlament, die nur allzu gern Diäten und Fraktionsgelder kassieren
Was haben AfD-Frau Beatrix von Storch, Marine Le Pen vom Front National und UKIP-Führer Nigel Farage gemeinsam? Sie alle gehören der populistischen Rechten mit ihren vielen Schattierungen an. Sie alle wollen die nationalen Grenzen für Flüchtende schließen, schüren Angst vor Muslimen und sind gegen die EU. Was noch? Sie alle sind Europaabgeordnete. Die bekanntesten rechten EU-Gegner verdienen ihr Geld in Brüssel. Der vormalige Investment-Banker Farage aus Großbritannien sitzt schon seit 17 Jahren ununterbrochen im EU-Parlament. Marine Le Pen zog mit ihrem Vater Jean-Marie vor sieben Jahren nach Brüssel, genau wie Matteo Salvini, der Chef der Lega Nord. Von Storch folgte mit der AfD 2014, ebenso Udo Voigt von der NPD. So bekommt der makabre Tweet »Viele Grüße aus Brüssel«, den von Storch anlässlich der grausamen Terroranschläge vom 22. März absetzte, eine weitere Bedeutung.
Euro, Ukraine, Syrien, Terrorismus - die zahlreichen Krisen verunsichern viele Menschen. Das bringt der radikalen Rechten Zuspruch. Die Rechtspopulisten haben keine echten Lösungen für die komplexen Probleme unserer Zeit. Stattdessen präsentieren sie Sündenböcke wie Muslime, Flüchtlinge oder »Eurokraten«.
In Mitteleuropa regieren rechtsnationale Parteien in zwei EU-Staaten. Was bedeutet dies für die Demokratien dort? Die PiS-Regierung in Polen spaltet die Gesellschaft. Sie hebelte das Verfassungsgericht aus und brachte die öffentlichen Medien unter ihre Kontrolle. Nun werden die Frauenrechte angegriffen. Abtreibung könnte in Polen selbst nach einer Vergewaltigung strafbar werden. Es gibt Massenproteste. In Ungarn hat sich Premier Viktor Orbán jüngst der Haushaltsaufsicht durch das Parlament entledigt. Um von solchen Manövern und der ausufernden Korruption in seiner Partei Fidesz abzulenken, ruft er umso lauter zum »Kampf gegen Brüssel« auf. Orbán will eine solidarische Flüchtlingspolitik in der EU verhindern. Ungarn setzt bewaffnete Soldaten an den neuen Stacheldrahtzäunen ein. Flüchtende, die trotzdem über die Grenze kommen, werden als Straftäter inhaftiert.
Im Nordwesten der EU stellt die radikale Rechte noch keinen Regierungschef. Dafür konnte sie ihre Wahlergebnisse national und regional fast überall verbessern und ist stark wie nie im EU-Parlament vertreten. Die Parteien rechts von den Christdemokraten stellen rund 23 Prozent der Europaabgeordneten, fast ein Viertel - in einer EU-Institution, die viele gemäß ihrer eigenen Propaganda gern abschaffen würden.
Es sei »der Anfang vom Ende der EU«, frohlockte Geert Wilders von der PVV nach dem Referendum in den Niederlanden, bei dem das EU-Abkommen mit der Ukraine abgelehnt wurde. Solcher Jubel der radikalen Rechten könnte sich am Ende als Eigentor herausstellen. Dies zeigt ein Blick auf die Finanzen. Zwischen Januar 2012 und der Europawahl im Juni 2014 konnten die Fraktionen und die zusätzlich angemeldeten EU-Parteien der Rechten über rund 30 Millionen Euro aus Brüssel verfügen - Abgeordnetendiäten und Büropauschalen nicht eingerechnet. In der laufenden Legislaturperiode wird es noch mehr Geld von der EU geben, weil die Rechtsaußenparteien inzwischen mehr Abgeordnete stellen und eine Fraktion und eine EU-Partei zusätzlich gegründet haben. Seit Marine Le Pen Mitte 2015 genügend Partner für eine eigene Fraktion fand, gibt es gleich drei rechtspopulistische bis rechtsextreme Fraktionen im EU-Parlament. Eine fraktionslose Gruppe, in der Neofaschisten in der Mehrzahl sind, kommt hinzu.
Ihre Fragmentierung bringt den rechten EU-Gegnern den Nachteil, dass sie nicht allzu schlagkräftig sind. Man wirft sich gegenseitig Antisemitismus oder Rassismus vor. Jüngstes Beispiel: Von Storch und Marcus Pretzell von der AfD mussten die Fraktion um PiS, Wahre Finnen, Dänische Volkspartei und britische Tories verlassen. Auslöser war unter anderem die Befürwortung eines Schießbefehls auf Frauen und Kinder. Von Storch schloss sich sogleich Nigel Farages Fraktion an. Pretzell könnte nach dem AfD-Parteitag möglicherweise Marine Le Pens Fraktion beitreten. Aus diesem Blickwinkel betrachtet ist es eine Stärke der Rechten, so zersplittert zu sein: Die vielen Fraktionen bieten jedem Skandalpolitiker seine zweite Chance. Auch wenn man sich streitet - die EU-Millionen bleiben am Ende in der rechten Familie.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
Das »nd« bleibt gefährdet
Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.
Vielen Dank!