Böhmermann kritisiert Merkel

Satiriker gibt erstes Interview seit dem Erdogan-Gedicht / Merkel habe ihn »filetiert und einem nervenkranken Despoten zum Tee serviert«

  • Lesedauer: 3 Min.
Jan Böhmermann hat sein erstes Interview seit dem aufsehenerregenden Satire-Gedicht über den türkischen Präsidenten Erdogan gegeben. Im Gespräch mit der »Zeit« findet er deutliche Worte für die Bundeskanzlerin.

Hamburg. ZDF-Satiriker Jan Böhmermann hat sich nach dem Skandal um sein Erdogan-Schmähgedicht erstmals in einem Interview zu Wort gemeldet. Im Gespräch mit der Wochenzeitung »Die Zeit« (Ausgabe vom 4. Mai) übt der Moderator scharfe Kritik an Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU). »Die Bundeskanzlerin darf nicht wackeln, wenn es um Freiheit und Menschenrechte geht«, sagte Böhmermann. »Doch stattdessen hat sie mich filetiert, einem nervenkranken Despoten zum Tee serviert und einen deutschen Ai Weiwei aus mir gemacht.«

Er fühle sich in seinem Glauben daran erschüttert, »dass jeder Mensch in Deutschland ein unverhandelbares, unveräußerliches Recht auf gewisse Grundrechte hat: die Freiheit der Kunst und die Freiheit der Meinungsäußerung«, sagte der 35-Jährige, der das Gedicht nach eigenen Angaben nicht selbst verfasst hat. Am allermeisten habe er sich über die Tatsache amüsiert, »dass die Chefin des Landes der Dichter und Denker offenbar nicht einen Moment über das Witzgedicht und besonders seine Einbindung nachgedacht hat, bevor sie sich mit ihrem öffentlichen Urteil blamiert hat«.

Böhmermann hatte in seiner bei ZDFneo ausgestrahlten Sendung »Neo Magazin Royale« am 31. März ein Gedicht mit Beschimpfungen des türkischen Staatspräsidenten Recep Tayyip Erdogan verlesen. Den Auftritt hatte der Moderator damit begründet, er wolle den Unterschied zwischen erlaubter Satire und auch in Deutschland verbotener Schmähkritik erklären. Merkel hatte danach im Gespräch mit dem türkischen Ministerpräsidenten Ahmet Davutoglu geäußert, Böhmermanns Text sei »bewusst verletzend«.

Im »Zeit«-Interview erklärte Böhmermann, er habe versucht, seinen Zuschauern »anhand einer knapp vierminütigen satirischen Nummer zu erklären, was eine freiheitliche und offene Demokratie von einer autoritären, repressiven De-facto-Autokratie unterscheidet, die sich nicht um Kunst- und Meinungsfreiheit schert«. Das Gedicht sei »nur ein Teil der Nummer und sollte nicht aus dem Zusammenhangt gerissen und einzeln betrachtet werden«, betonte der Satiriker.

Gegenüber Freunden und seiner Familie habe er in den vergangenen Wochen stets gesagt: »Das war eine wahnsinnig gute Nummer - bloß schade, dass sie von mir war.« Für ihn und seine Familie, die unter Polizeischutz stand, habe der Fall »dramatische und ganz reale Konsequenzen«.

Böhmermann drohen auch juristische Konsequenzen. Erdogan verlangte eine Verfolgung nach Paragraf 103 zusätzlich zu einem von ihm persönlich gestellten Strafantrag wegen Beleidigung nach Paragraf 185 des Strafgesetzbuches. Darüber hinaus reichte er eine zivilrechtliche Unterlassungsaufforderung ein. Die Bundesregierung erteilte die notwendige Ermächtigung für Ermittlungen nach dem Paragrafen 103. Bundeskanzlerin Merkel kündigte gleichzeitig die Abschaffung der Regelung an.

Böhmermanns »Neo Magazin Royale« ist derzeit nicht auf Sendung. Der Moderator hatte wegen des Wirbels um das Schmähgedicht Mitte April eine vierwöchige Fernsehpause angekündigt. Am 11. Mai wird wieder eine Folge von »Neo Magazin Royale« aufgezeichnet, Sendetermin ist der 12. Mai. dpa/nd

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