Faires Label contra Bürgerskepsis

Thüringen will die Energiewende beschleunigen - und geht dabei neue Wege

  • Jörg Staude
  • Lesedauer: 3 Min.
Beim Windkraftausbau hängt Thüringen, verglichen mit anderen ostdeutschen Ländern, zurück. Rot-Rot-Grün möchte dies ändern.

An diesem Dienstag wird bundesweit gegen die umstrittenen Pläne von Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel zur Reform des Erneuerbare-Energien-Gesetzes (EEG) demonstriert - auch vor dem Landtag in Erfurt, wo sich zwei Tage später die Ministerpräsidenten der Länder zu einer Sonderkonferenz treffen. Widerstand schlägt den Ökoenergien nicht nur vom Bund entgegen. In Brandenburg sammelt eine Bürgerinitiative noch bis Anfang Juni Unterschriften für ein Volksbegehren gegen Windkraftanlagen im Wald und für höhere Abstände zu Wohnbauten. Vorbild ist dabei die bayerische »10H«-Regelung. laut der Windräder zu den nächsten Wohnbauten einen Abstand haben müssen, der dem Zehnfachen ihrer Gesamthöhe entspricht.

Verglichen mit Brandenburg, dem Windstrom-Spitzenreiter unter den Binnenländern, hat Thüringen nur knapp ein Fünftel an Windkraftleistung zu bieten - und die wenigen Anlagen sind nach Angaben des Landesumweltministeriums zu rund 80 Prozent im Eigentum externer Investoren. Zugleich will die rot-rot-grüne Koalition den Anteil der Windkraft an der Landesfläche von 0,3 auf ein Prozent verdreifachen - zu wessen Nutzen, fragt sich da mancher.

Vorsorglich will die Landesregierung deshalb Bürger und Kommunen durch das bundesweit einzigartige Label »Faire Windenergie« an Bord holen. Damit zeichnet die Thüringer Energie- und Greentech-Agentur die Windradbauer aus, die Bürger und Gemeinden an den Vorteilen der windbasierten Energiewende teilhaben lassen, wie es in den Leitlinien heißt. »Alle Interessengruppen im Umfeld eines Windparks« sollen in der Projektierungsphase beteiligt werden. Es gehe um transparenten Umgang, faire Teilhabe aller, auch der nicht unmittelbar profitierenden Flächeneigentümer, heißt es. Außerdem müssen sich die Firmen die »Entwicklung einer direkten finanziellen Beteiligungsmöglichkeit für Thüringer Bürger, Unternehmen und Kommunen« auf die Fahnen schreiben.

Seit dem Frühjahr sind die ersten 14 Unternehmen offiziell »fair«. Dazu zählen der Energiekonzern EnBW, der Ökostromer Green City Energy, aber auch zwei Genossenschaften. Der Bundesverband Windenergie (BWE) ist zufrieden mit dem Label. Dessen Ziele deckten sich mit denen des Verbandes für eine von Bürgern und Mittelstand getragene dezentrale Energiewirtschaft, erklärt BWE-Sprecher Wolfgang Axthelm.

Der Verband halte solche Zertifikate grundsätzlich für sinnvoller als die neue Lösung in Mecklenburg-Vorpommern. Das nordöstliche Bundesland beschloss Ende April ein Gesetz, laut dem Windradbauer künftig Bürgern und Kommunen im Umkreis von fünf Kilometern vom Standort der Anlage 20 Prozent der Anteile an der Betreiberfirma anbieten müssen. Alternativ kann ein preiswerter Stromtarif gewährt oder eine Ausgleichsabgabe an die Kommune gezahlt werden. Dies stelle die Investoren aber vor erhebliche Probleme, kritisiert der BWE. Die Branche steht durch die EEG-Reform mit dem Rücken zur Wand - jetzt sollen noch Anteile und zu erwartende Gewinne geteilt werden?

Dass man in Thüringen nicht zur Gesetzeskeule griff, begründet das Umweltministerium vor allem damit, dass der Ansatz des Labels weiter greife. Im Fokus stünden neben Teilhabe an der Wertschöpfung auch »Information und Transparenz für die Bevölkerung in der Planungs- und Errichtungsphase«. Aber ob sich mit »fairen« Leitlinien die Skepsis gegenüber der Windkraft auflösen lässt?

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