Böse Nachrichten für Tokio und das IOC

Eine Millionenüberweisung aus Japan stellt Olympia 2020 unter Korruptionsverdacht

  • Felix Lill, Tokio
  • Lesedauer: 5 Min.
Von den französischen Untersuchungen zum korrupten Sportfunktionär Lamine Diack ergibt sich ein Spur nach Japan. Tokios Olympiaorganisatoren und das IOC wollen davon nichts wissen.

Gerade dachten die Offiziellen, alles hätte sich gelegt. Der Bau des neuen Stadions, dessen Kosten plötzlich explodiert waren, wurde ob der Sparsamkeit neu ausgeschrieben. Ein neues Logo, nachdem sich die erste Wahl als Plagiat herausgestellt hatte, wurde gerade erst feierlich präsentiert. Und fast im Wochentakt verkünden die Organisatoren der Olympischen Sommerspiele in vier Jahren neue Sponsorendeals mit japanischen Großunternehmen. «Tokyo 2020» sollte ab jetzt eigentlich nur noch gute Nachrichten hervorbringen. Dann aber kam am Donnerstag eine böse Nachricht aus Frankreich. Sie wirft eine unbequeme Frage auf, die zuletzt schon anderswo so oft mit Ja beantwortet werden musste: Hat auch Japan seine Großveranstaltung gekauft?

Danach sieht es bis auf weiteres aus. Laut der englischen Tageszeitung «The Guardian» ermitteln französische Behörden über eine Zahlung von 1,3 Millionen Euro, die von Tokio in den Dunstkreis des ehemaligen Sportfunktionärs Lamine Diack überwiesen wurde. Diack war von 1999 bis 2013 Mitglied des Internationalen Olympischen Komitees (IOC) und damit eine wichtige Figur in der Entscheidung über den Austragungsort der Olympischen Sommerspiele von 2020, die im Herbst 2013 an Tokio vergeben wurden. Stellt sich der Betrag als Bestechungsgeld heraus, wäre es einerseits ein weiterer unsauberer Fall in der Sportindustrie. Für Tokios Offizielle wäre es von mehreren Ungereimtheiten der bisher mit Abstand größte Skandal - ebenso für das IOC.

Im März war bekannt geworden, dass Frankreichs Behörden die Vergabe der Olympischen Spiele von 2016 in Rio sowie derer 2020 in Tokio unter die Lupe nehmen. Dies ist das Ergebnis von Ermittlungen gegen Lamine Diack, der beschuldigt wird, als Chef des Leichtathletikweltverbands IAAF Spenden in Millionenhöhe angenommen zu haben, um systematisches Doping aus Russland zu ignorieren. Die Überweisung aus Tokio soll auf ein Konto in Singapur gelangt sein, das mit Diacks Sohn Papa Massata in Verbindung gebracht wird, der für die IAAF als führender Marketingberater gearbeitet hat.

Handelt es sich um Stimmenkauf, ist das für alle Seiten mehr als eine große Peinlichkeit. IOC-Präsident Thomas Bach, der seinen Verband im Vergleich zur IAAF und dem Fußballweltverband immerzu als korruptionsfrei verteidigt, hätte große Erklärungsarbeit zu leisten. Zunächst ließ er verlauten: «Das IOC hat alles getan, was eine Organisation tun kann, um sich des Themas Korruption anzunehmen. Wir haben alle Regeln und Instrumente, um Korruption mit Null Toleranz zu bekämpfen.»

Auch in Japan will man von dem Thema nichts wissen. «Tokyo 2020»-Sprecherin Hikariko Ono sagte: «Das Organisationskomitee weiß nichts von diesen Behauptungen. Wir glauben, dass die Spiele an Tokio vergeben wurden, weil die Stadt die beste Bewerbung präsentiert hat.» Japans Regierung steht den Organisatoren bei. Kabinettschefsekretär Yoshihide Suga, verlängerter Arm des Premierministers Shinzo Abe, sagte auf einer Pressekonferenz, man plane jetzt keine besonderen Schritte, weil man von einem sauberen Vergabeverfahren ausgehe. «Falls es eine Aufforderung seitens der französischen Behörden gibt, werden wir angemessen reagieren.»

Nicht nur im internationalen Geschäft, auch im japanischen Sport ist Korruption kaum etwas Neues. Ende letzten Jahres schlug eine Affäre im Baseball Wellen, in der sich Profispieler an Wetten ihrer eigenen Mannschaft beteiligten. Vor einigen Jahren wurde die Traditionssportart Sumo von einem ähnlichen Skandal erschüttert. Und auch bei Olympischen Spielen waren japanische Bewerber schon einmal großzügig. Als Nagano die Winterspiele 1998 ausrichten wollte, wurden für IOC-Mitglieder nicht nur Nobelsuiten und Vergnügungsreisen samt Geishas gestellt. Aus Japan kamen just in der entscheidenden Vergabephase großzügige Unterstützungen für den Bau des Olympischen Museums in Lausanne.

Die üppige Überweisung nach Singapur wirft auch Fragen über japanische Unternehmen auf, die von den Spielen profitieren, allen voran die weltweit führende Marketingfirma Dentsu. Die Zahlung soll auf das Konto von Ian Tan Tong Han eingegangen sein, der für eine Tochterfirma von Dentsu in Luzern gearbeitet und engen Kontakt zu den wichtigsten Sportfunktionären habe. Dentsu verantwortet nicht nur die Sponsoringgeschicke der IAAF, in den letzten Monaten seiner Funktionärstätigkeit verlängerte Lamine Diack den Vertrag noch einmal bis 2029. Den japanischen Markt dominiert Dentsu fast ohne Konkurrenz, und so ist das Unternehmen auch der wichtigste Marketingpartner für «Tokyo 2020.» Es gab zunächst an, mit den Zahlungen nichts zu tun zu haben.

In Japan würde ein Korruptionsskandal dieses Ausmaßes auch jenseits der Sportwelt zu einem riesigen Vertrauensproblem führen. Unternehmensskandale betrafen allein im letzten Jahr weltweit tätige Konzernen wie Toshiba und Mitsubishi Motors. Bei der Vergabe der Spiele im September 2013 warf zudem Premierminister Shinzo Abe seine persönliche Glaubwürdigkeit in die Waagschale, um Olympia nach Tokio zu holen. Damals ging es nicht zuletzt um Fragen der Sicherheit, weil Tokio 250 Kilometer südlich des im März 2011 havarierten Atomkraftwerks Fukushima Daiichi liegt. «Vertrauen Sie mir», bat Abe die Weltöffentlichkeit. «Alles ist unter Kontrolle.» Ein Korruptionsskandal um die Spiele, wegen derer der Premier persönlich um Vertrauen bat, würde unweigerlich auch Japans hohe Politik schädigen.

Die «Japan Times» schien das am Donnerstag schon zu ahnen. Sie beendete einen bemüht nüchternen Artikel mit der Anmerkung: Mit den Spielen von Rio nur Monate entfernt, wird ‚Tokyo 2020› zweifellos hoffen, dass dieser Skandal nicht ausartet, in einer so wichtigen Zeit der Vorbereitungen.« Ansonsten muss sich Tokio wieder auf schlechte Nachrichten einstellen. Wie bisher, nur schlimmer.

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