Die Wut der Fischer
Ungewöhnlich starke Algenblüte bedroht die Existenz vieler Kleinfischer in Chile
Chiles zweitgrößte Insel befindet sich im Ausnahmezustand. Hunderte von Fischern blockieren seit über zehn Tagen die Häfen und Straßen auf und nach Chiloé. Busse werden angehalten, Touristen und Reisende sitzen fest, Lkw werden nur in Ausnahmefällen durchgelassen. Versorgungsgüter und Treibstoffe sind auf der Insel inzwischen knapp.
Wegen einer ungewöhnlich starken Algenblüte herrscht in der Region seit Wochen ein Fangverbot. Die Fischer fordern Unterstützung von der Regierung. Doch die schickte vergangene Woche Militärpolizisten, nicht zuletzt, weil die Blockaden die großen Lachsfarmen auf der Insel treffen, die Chile zum zweitgrößten Lachsproduzenten der Welt machen.
Die als Marea Roja (»Rote Flut«) bezeichnete Mikroalgenblüte betrifft fast die gesamte südliche Pazifikküste sowie Fjorde und Flussmündungen. Laut Wissenschaftlern hat sich die jährlich stattfindende Algenblüte wegen des derzeit herrschenden Wetterphänomens El Niño in bisher unbekanntem Ausmaß ausgebreitet.
Die Algen enthalten gesundheitsgefährdende Stoffe, die von den Muscheln aufgenommen werden. Darunter ein Gift, das die Atemmuskulatur lähmt und zum Erstickungstod führen kann. Fang und Verzehr sind untersagt. Vor allem die Kleinfischer von Schalentieren sind in ihrer Existenz bedroht. Wie lange die Marea Roja noch anhält, kann niemand sagen, mit mindestens drei bis vier Monaten sei zu rechnen.
In den Zuchtbecken der großen Lachsfarmen waren schon im Februar unzählige Fische verendet. Angeblich an der Folgen der Marea Roja. Der Großteil wurde zu Fischmehl verarbeitet. Seit aber bekannt ist, dass von den 40 000 Tonnen verwesender Lachse etwa 5000 Tonnen rund 120 Kilometer von der Inselstadt Ancud entfernt im Meer verklappt wurden, richtet sich der Zorn nahezu aller Insulaner auch gegen die Lachsmultis.
»Die Marea Roja ist für Muscheln und Fische nicht tödlich,« sagte Carlos Ruiz, der Sprecher der Kleinfischer von Melinka, einer Kleinstadt an der Küste der südlicheren Provinz Aysén. Man habe über 15 Jahre Erfahrung mit den Mikroalgen, und nie seien Fauna oder Schalentiere daran gestorben.
»Die nichtssagenden Berichte der Behörden zu den möglichen Auswirkungen der Tausende verwesenden Lachse und die bereits bestehenden Umwelteinflüsse der Lachsfarmen rufen unter den Inselbewohnern Empörung und Ohnmacht hervor«, fasst es Estefanía Gonzales von Greenpeace Chile zusammen. Zwar bestreiten Regierung, Unternehmen und Wissenschaft einen direkten Zusammenhang zwischen dem Ausmaß der Algenblüte und den verklappten Lachsen, aber »auf der Insel herrschen Zweifel und eine furchtbare Unsicherheit«, so Gonzales.
Gespräche zwischen Regierung und Fischerverbänden brachten keine Lösung. Die von der Regierung angebotenen Sonderzahlungen für rund 5000 betroffene Kleinfischer wurden als zu gering abgelehnt. Auch ohne Vereinbarung hat die Regierung aber mit der Auszahlung begonnen und fordert das Ende der Blockaden.
Doch Fischer und Bevölkerung scheinen sich dadurch nicht spalten lassen zu wollen. Stattdessen stellten sie ein Ultimatum: Nur wenn es innerhalb der nächsten 48 Stunden direkte Gespräche mit einem Vertreter von Präsidentin Michelle Bachelet gebe und die Hilfszahlungen kräftig angehoben würden, sei man bereit, die Blockaden aufzuheben.
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