Handy aus dem Panzerschrank

NSU-Untersuchungsausschuss entsetzt - V-Mann-Führer versteckte »Corellis« Mobiltelefon

  • René Heilig
  • Lesedauer: 4 Min.
Ein Handy ist gefunden worden. Zufällig. Es gehörte einem »Corelli«. Der Neonazi war eine Spitzenquelle des Verfassungsschutzes.

Im Durchschnitt hat jeder Deutsche 1,4 Handyverträge. Ein Mann namens Thomas Richter hatte angeblich neun. Oder doch nur sechs? So genau wissen das seine ehemaligen Arbeitgeber, die ihm die meisten Handys zur dienstlichen Nutzung überlassen haben, nicht. Thomas Richter selbst kann man nicht mehr befragen. Er verstarb 38-jährig im April 2014. Ursache: Zuckerschock.

Das alles wäre völlig unwichtig, würde es sich bei Thomas Richter nicht um einen V-Mann des Bundesamtes für Verfassungsschutzes (BfV) handeln. Deckname: »Corelli«. Wie kein zweiter war der bundesweit und wohl auch über die Grenzen hinaus vernetzt in der rechtsextremistischen Szene. Das machte ihn interessant und suspekt bei der Aufklärung und Verfolgung von »Versäumnissen« der Geheimdienst- und Sicherheitsbehörden im Falle des Nationalsozialistischen Untergrundes (NSU).

Am Mittwochabend erfuhr der einschlägig ermittelnde Untersuchungsausschuss des Bundestages, dass plötzlich und unerwartet ein Richter-Privat-Handy aufgetaucht ist. Es steckte in einem Umschlag, der lag in einem Panzerschrank, der wurde genutzt von einem Herrn G. B., welcher Mitarbeiter des Bundesamtes für Verfassungsschutzes ist. Er sollte versetzt werden auf einen anderen Posten, deshalb sichtete man den Inhalt seines Tresors. Es war übrigens die fünfte derartige Kontrolle. Doch wer meint, das sei erst vor wenigen Tagen geschehen, der irrt. Gefunden hat man das Handy im vergangenen Sommer. »Schon« am 19. Oktober 2015 übergab man es hauseigenen Technikern zur Auswertung. »Schon« Anfang April 2016 war der Inhalt des Mobiltelefons ausgelesen. »Schon« am 21. April war die Führungsebene des Geheimdienstes informiert worden. »Schon« am 6. Mai wurden die ausgelesenen Daten an das mit den NSU-Ermittlungen betraute Bundeskriminalamt übergeben. »Schon« am 10. Mai informierte die Bundesregierung das für die Kontrolle der Geheimdienste zuständige Parlamentsgremium. »Schon« am 11. April trat der Vizepräsident des BfV Ernst Stehl vor die Mitglieder des NSU-Untersuchungsausschusses. Voran stellte er die Information, er wisse eigentlich gar nichts, denn sein Amt habe er ja erst am 1. April angetreten.

Durchgesickert ist: Das Handy habe Richter (»Corelli«) privat beschafft und zwischen Mai und September 2012 benutzt. Nachdem Richters Verbindungen in Richtung NSU medial ausgebreitet worden waren, hat das BfV seine - nach eigener Aussage - »Spitzenquelle« am 27. November 2012 abgeschaltet und ihr eine neue Identität verschafft. Man räumte Richters Leipziger Wohnung aus und lagerte alles »treuhänderisch« beim Geheimdienst ein.

Angeblich enthielt das aufgefundene Handy keine SIM-Karte. Ist das bereits beim Auffinden protokolliert worden oder verschwand sie einfach danach? Doch im Speicher des Telefons ist angeblich Wertvolles enthalten. Tausende Fotos sowie rund 200 Kontakte, die ein »Who is who« in der Naziszene bieten, sagt der Verfassungsschutz.

»Corelli« war nicht nur so allgemein in der Szene. Er kannte den mutmaßlichen NSU-Terroristen Uwe Mundlos aus Bundeswehrzeiten und blieb in dessen Adressliste. »Corelli« unterstützte das Fanzine namens »Der weiße Wolf«, dem der NSU geraubte Unterstützungsgelder zukommen ließ und dafür Dank in Form einer vielsagenden Anzeige erhielt. »Corelli« berichtete über den Ku-Klux-Klan (KKK) in Deutschland, hatte Kontakte zur Bruderschaft in den USA. Der V-Mann klärte maßgeblich die KKK-Mitgliedschaft von Polizisten aus der Einheit der im Jahr 2007 in Heilbronn mutmaßlich vom NSU ermordeten Michèle Kiesewetter auf. Zumindest per Internet war »Corelli« verbunden mit dem kämpfenden Arm von Blood&Honour in Großbritannien, dem gefürchteten Combat 18.

Das alles wusste Verfassungsschützer G. B., der Nutzer des Panzerschrankes, besser als jeder andere Geheimdienstler, denn: G. B. war seit Ende der 1990er Jahre »Corellis« V-Mann-Führer und offenbar so eng mit ihm, dass er anbot, mit dem abgeschalteten und unter neuer Identität versteckten Neonazispitzel in eine gemeinsame Wohnung zu ziehen.

Warum hielt G. B. das Handy unter Verschluss? Das große Interesse der parlamentarischen Untersucher kann ihm nicht entgangen sein, schließlich war er am 15. April 2013 Zeuge im 1. Bundestagsuntersuchungsausschuss. Was er dort sagte, ist noch immer geheim. Nachdem Zweifel am natürlichen Tod von Thomas Richter aufgekommen waren, setzte der Bundestag einen Sonderermittler ein. Jerzy Montag, Ex-Abgeordneter der Grünen, war bei der Vorlage seines Berichts Anfang November 2015 überzeugt, dass ihm der Geheimdienst äußerst transparent entgegengekommen sei.

Ein Nachsatz: Der NSU-Untersuchungsausschuss beschäftigte sich am Mittwoch planmäßig mit dem Auffliegen des NSU nach dem Sparkassenüberfall in Eisenach. Bei ihrer Entdeckung sollen sich Uwe Mundlos und sein Mittäter Uwe Böhnhardt selbst gerichtet haben. Als Zeuge hörte der Ausschuss den damalige Polizeichef Michael Menzel. Der musste sich in jüngster Zeit viel Kritik anhören ob seiner im Wortsinn zupackenden Ermittlungsweise. Doch so scheint der Polizist aus Gotha in wenigen Tagen mehr herausgefunden zu haben als ganze BKA-Heerscharen nach ihm. Das meinte offenbar auch der Unionsabgeordnete (und Polizeibeamte) Armin Schuster, als er Mittwochnacht seinem Kollegen bescheinigte: »Sie sind der einzige, den ich hier erlebe aus dem Bereich der Sicherheitsbehörden, der den Fall wirklich lösen wollte.«

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